Türkenhof:Blaubart trifft Hirschkopf

Erst fürchtete man sich hier vor Vampiren, dann kamen rechte Burschenschaften: Der Türkenhof war früher ein zwielichtiger Laden, dann verwandelte er sich in eine Künstlerkneipe - heute ist das Lokal aus der Maxvorstadt nicht mehr wegzudenken.

Sabrina Ebitsch

Die Gäste seien gemischt, von jung bis alt, querbeet heißt es gerne über Kneipen. Damit wird eine manchmal nicht ganz uneigennützige Gastfreundschaft und ein milieuoffener Liberalismus signalisiert, man gibt sich multi-klientel. Auch dem Türkenhof wird derlei nachgesagt, bei dem das sogar stimmt. Nur eine gewisse Kundenschicht war nie willkommen: Jahrelang hing eine Knoblauchzehe zwischen Küche und Bar. "Die wurde schon immer wieder ausgetauscht", versichert Koch Lars Dams. Sein vampirgläubiger Vorgänger hatte sie aufgehängt. "Hat auch funktioniert", sagt Wirt Mark Altner, "es war nie einer da."

Türkenhof, Lokale Größe

Sattmacher: Der Türkenhof ist auch bei Studenten beliebt, weil die Portionen ziemlich großzügig sind.

(Foto: Florian Peljak)

Sonst waren aber alle mal da, Künstler und Rechtsanwälte, Professoren und Studenten, die Leute von gegenüber, die Kickerer und die Quartalsäufer. Ganz früher die Kutscher, als um die Jahrhundertwende im Hinterhof eines der ältesten Häuser der Türkenstraße Pferdeställe und Werkstätten untergebracht waren. "Zum englischen Stall", hieß die Wirtschaft damals.

Später, unrühmliches Kapitel einer langen Geschichte, kamen die Nazis. In den 1980er Jahren war die Kneipe mit dem für derlei Gesinnung so unpassenden Namen Treffpunkt rechter Studentengruppen, und die Wirtin goutierte oder tolerierte das zumindest. Als die Burschenschaftler wieder einmal ewiggestrige Lieder sangen und die rechte Hand hoben, boten ihnen andere Gäste Paroli. Sie wurden von den Rechten verprügelt, der Fall ging durch die Presse.

Die Augustiner Brauerei als Verpächter reagierte, machte die Kneipe dicht, renovierte und suchte einen neuen Wirt. Seitdem führt Mark Altner, damals 23, mit abgebrochenem BWL-Studium und rückenlangen Haaren, wie ein Stammgast verrät, den Türkenhof. Er hat ihm buchstäblich einen neuen und ein wenig künstlerischen Anstrich gegeben. Die gesamte Bar und die mit Seilzügen zu öffnenden Regale dahinter sind aus Tabakkisten gezimmert, die Stehtische fertigten befreundete Künstler und Handwerker, die geflügelte Sonne über der Bar stammt aus der Konkursmasse eines irischen Wanderzirkus'.

Und dann natürlich das Türkenhof-Schild: ein Fez tragender Kopf, den von Ohr zu Ohr ein Pinsel durchbohrt. Gemalt hat ihn damals ein Meisterschüler des legendären Professor Blaubart, Robin Page, der tatsächlich einen blau gefärbten Bart hatte und mit Studenten regelmäßig im Türkenhof auf ein paar Bier vorbeikam und im Hinterhof Kurse gab.

Großzügige Schnitzelportionen und der Currywurst

Man sagt ja nicht von sich selbst, dass man eine Künstlerkneipe ist, das ist ja albern", sagt Altner, "aber damals waren viele da. Heute ist das nicht mehr so." Er versuche das Grundsätzliche zu erhalten, aber man müsse sich immer wieder mal neu erfinden. Eine Kaschemme sei das früher gewesen, sagt der Koch. Altner hat vor gut zehn Jahren umgebaut und erweitert, im hinteren Teil Kickertische aufgestellt und eine Lounge eingerichtet. An den Wänden warten Hirschköpfe aus Plastik auf Jacken und Taschen. Die kämen aus der "Jägermeisterecke" und würden regelmäßig abgeschraubt, sagt Altner. "Ich hab' bestimmt 50 neu hingeschraubt, inzwischen dürfte der Markt gesättigt sein."

Er sagt von sich, er sei früher so jung wie seine Gäste gewesen, die damals, als die Kneipe noch enger war, in Dreierreihen um die Bar drängten. Heute sei er in "einem klassischen verlängerten Wohnzimmer" so mittendrin unter seinen Gästen. Heute kommen Studenten, wegen des guten und günstigen Essens, der großzügigen Schnitzelportionen und der Currywurst. "Das ist der Vorteil, wenn der Koch aus dem Pott kommt, der kann echt gute Currywurst machen", sagt Geschäftsführerin Maria Trapsoki.

Die Kickerspieler kommen wegen der Kickertische mit Turnierstandard. Donnerstags gibt der aktuelle Deutsche Meister kostenlos Unterricht. Und die Älteren kommen aus Tradition. "Die können hier drin miteinander, draußen könnten sie wahrscheinlich nicht mehr", sagt Altner.

Stammgäste ohne Vornamen

Herr Becker zum Beispiel hat im Türkenhof keinen Vornamen, obwohl Stammgast noch eine Untertreibung wäre und ihn die Bedienungen besser kennen als die Zapfanlage. Er heißt aber nur Herr Becker, weil er gerne die Geschichte erzählt, wie ihn seinerzeit eine Tanzstundenliebe, "eine nette Lady", mit eben dieser Anrede enttäuschte, statt ihn Dieter zu nennen.

Türkenhof, Lokale Größe

Mark Altner hat eine alte Kaschemme in ein Lokal mit Künstler-Flair verwandelt.

(Foto: Florian Peljak)

Herr Becker kennt den Türkenhof noch aus Zeiten, von denen es heißt, die Schnitzel hätten sich mithilfe des in der Küche zahlreichen Ungeziefers quasi selbst paniert. Die Wirtin Erika hat Herrn Becker aber irgendwann Lokalverbot erteilt, wegen Kartenspielens, sagte Herr Becker, wegen illegalen Glücksspiels, meinte damals die Erika. Und als er ihr dann nicht einmal einen Schnaps ausgeben wollte, war es vorbei.

Und noch eine Geschichte erzählt er mit einer Halben vor sich gern, nämlich dass er der zweite Gast im dann neuen Türkenhof war, weil er mit einem Freund am Tag der Eröffnung irrtümlich schon um fünf am Nachmittag statt um sechs vor verschlossener Tür stand, wartete, noch vor dem offiziellen Startschuss eingelassen wurde, aber gentlemanlike dem Kumpel den Vortritt ließ. "Deswegen war er der erste Gast", sagt Herr Becker. Jeden Tag war er früher im Türkenhof, "oder sogar zwei Mal am Tag". Heute sei er Großvater, da komme er nur noch einmal die Woche her.

Die Geschichten sind es, die eine Kneipe wie den Türkenhof ausmachen, auch wenn es nicht mehr nach Knoblauch riecht und keiner blauen Bart trägt und es hinten eine Lounge gibt. Und die Geschichten sind es auch, die sich halten, anders als zum Beispiel Hirschköpfe.

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