TSV 1860 München:Wie ein Münchner Punk die Sechziger-Hymne erschuf

Lesezeit: 4 min

"Ich war von Haus aus schon Sechziger-Fan", sagt Sigi Hümmer. Für das Foto kehrt der Sänger und Bassist gern zum Stadion in Giesing zurück. (Foto: Robert Haas)

Mit seiner Band "Marionetz" hat Sigi Hümmer seinem Lieblingsverein 1860 München den Brüllersong "Heya Heya TSV" gewidmet - und der hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert.

Von Ralf Dombrowski

Wahrscheinlich ahnte Jack White nicht, was er anrichtete, als er "Seven Nation Army" schrieb. Schon bald nach der Veröffentlichung entdeckten Fußballfans die Hymnentauglichkeit des Gassenhauers. Während des Uefa-Cups 2003/2004 reklamierten belgische Stadionsänger den Song für sich. Mit der Weltmeisterschaft 2006 schwappte er in die italienischen Ränge, dann zu so ziemlich jedem Verein hinüber, der etwas zu grölen hat. Seitdem gehört er zum Stadionstandard und walzt auch hier so manches heimische Gewächs platt.

Dabei gibt es durchaus regionale Errungenschaften der Sangeskunst, die fest in der bayerischen Vereinskultur verwurzelt sind. Klar, sagt zum Beispiel der gemütliche Mann mit dem Medizinball unter dem hellblauen Trikot, klar kenne er "Heya Heya TSV", das gehöre doch dazu. Gerade trifft er sich zusammen mit Gleichgesinnten vor dem Stadion an der Grünwalder Straße, um bald darauf seinen Verein anzufeuern, damit das was wird gegen den FV Illertissen. Dass der hagere, braun gebrannte Freak mit Hut und Bassgitarre, der gerade für den Fotografen posiert, den alten Song geschrieben hat, findet er einen Moment lang stark, pilgert dann aber weiter, angezogen von der Magie der Stadionränge.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Und Sigi Hümmer, einer der dienstältesten Punks Münchens und Urheber des Ohrwurms, muss schmunzeln. Denn all das mit dem Mitfiebern, Johlen und Feiern kommt ihm wunderbar bekannt vor. "Mein Vater hat mich als kleiner Bua, als ich zehn, elf Jahre alt war, immer aufs Grünwalder Stadion mitgenommen", erinnert er sich. "Ich war quasi von Haus aus schon Sechziger-Fan. Dann kam die Punk-Zeit, da wir waren auch oft im Stadion, mit Freunden, mit der Band. Als wir dann eine Platte aufnehmen wollten, haben wir uns gesagt: Jetzt machen wir mal einen Fußballsong! Der Alfi, mein Nachbar und Sänger der FKK Strandwixer, mit dem habe ich so einen Blödsinnstext ausgedacht, nachdem wie wir im Olympiastadion waren - damals haben die Sechziger in der Bundesliga gespielt. Jedenfalls hatten wir schon ein paar Bier getrunken und so kam ein Text heraus, der ziemlich frech war."

Und eingängig. Im Jahr 1981 erschien "Heya Heya TSV" auf dem Album "Jetzt knallt's" von den Marionetz, Hümmers Band. Gesungen wurde auf Deutsch - "weil ich nicht so gut Englisch konnte" -, richtig alberne Lieder wie "Susi Schlitz" oder "Peter Pimmel", auch ein bisschen Sozialprotest wie "Die Nachbarn", vor allem aber Partysound in schrill zerrupften Klamotten, mit tief gehängten Gitarren und schnellem, herbem Rock'n'Roll.

Anarchie in der München-Version, der wattierten, saturierten Stadt, wo es eigentlich kaum Grund zu rebellieren gab. Das Album wurde zu einem der Geburtshelfer des deutschen Fun-Punk. Später sollten sich Kollegen wie Campino oder Die Ärzte auf die Marionetz berufen, die eher aus Zufall, denn aus Berechnung den englischsprachigen Vorbildern in den Hintern kickten. Die Ursprungs-Phase des Lustigen, Unbedarften war allerdings schnell vorbei. Punk wurde in Windeseile von der Neuen Deutschen Welle korrumpiert und massentauglich.

Die Marionetz gerieten in Vergessenheit, nur der Fußballsong hielt sich wacker - und bekam sogar eine neue Geschichte verpasst: "Wir waren ja richtige Sechziger-Fans, und das, obwohl der Verein oft verlor, es immer recht derb zuging und man depressiv nach Hause kam. Trotzdem steht man da und plärrt: Heya Heya TSV! In dem Lied erzählen wir das aus der Perspektive von Bruno Brüller, einem Fußballfan, der a bisserl deppert ist. Das ist erst einmal gut angekommen. Die haben das Lied sogar im Olympiastadion gespielt. Aber dann war es der Sechziger-Führung suspekt, weil es doch leicht ironisch, zynisch klang. Später ist uns der Song von Lustfinger abgekauft worden. Michael Holm, der Schlagersänger und Komponist, hat einen neuen Text dazu geschrieben: Nie mehr Bayernliga! Und so weiter. Dieser Song wurde dann richtig oft im Grünwalder Stadion gespielt, nicht mehr der von uns."

Da war bereits ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Sigi Hümmer hatte zwischenzeitlich mit dem Fernsehen geliebäugelt und spielte einen Rock'n'Roll-Sänger in der ARD Serie "Blam!". Der Punk wiederum war langweilig und legendäre Münchner Läden wie das "Damage" oder das "Lip-stick" längst Geschichte geworden.

Der Bass stand immer öfter in der Ecke, und Fußball war auch nicht mehr das, was er einmal war. Hümmer probierte alles Mögliche aus, ging nach Indien, meditierte, wurde Vegetarier, arbeitete im Naturkostladen, während "Heya Heya TSV" unabhängig von ihm eine schleppende, aber kontinuierliche Karriere machte, in wechselhaften Zeiten, als der Verein aufmunternden Fangesang dringend brauchen konnte.

Lieder über München
:Wie Willy Astor den FC Bayern zum "Stern des Südens" machte

Der Münchner Künstler hatte genau einen Hit in seiner Karriere. Der aber wurde zur Hymne und sogar von Lang Lang gecovert.

Von Bernhard Blöchl

Als dann Werner Lorant das Training beim TSV übernahm, ergab der aufgefrischte Text mehr und mehr Sinn, denn der Verein landete wieder in der Bundesliga. Als sich im Anschluss an den Grunge Mitte der Neunzigerjahre auch noch der Punk neu erfand, kamen die Musiker der Marionetz wieder öfter zusammen. Bis heute übrigens. Am Ende hat sich der Sound der Jugend doch als erstaunlich haltbar erwiesen, genauso wie "Heya Heya TSV" trotz White Stripes und diverser Konkurrenz irgendwie dazu gehört.

Sigi Hümmer jedenfalls hat noch am Abend des Fototermins beschlossen, es nach Jahren der Abstinenz noch einmal zu versuchen, und einem Händler vor dem Stadion eine Karte abgekauft: "Eine Zeitlang waren mir der Fußball und die Fans zu brutal geworden. Inzwischen sind die Sechziger mir wieder sympathisch. Jetzt ist ja der Daniel Bierofka dran, der hat Herzblut, damit komme ich zurecht."

Der Verein hat sich an Hümmers Versöhnungs-Termin richtig Mühe gegeben und Illertissen mit 5:0 nach Hause geschickt. Das Lied wurde nicht gesungen, dafür "Pippi Langstrumpf" in hellblauer Version und ein paar andere Löwensongs von Lustfinger. Aber der Klassiker "Heya Heya TSV" kann ja wieder kommen. Anfeuern hat noch nie geschadet.

Alle Folgen der Serie finden Sie hier. Die Songs und weitere München-Lieder gibt es bei Spotify auf der Playlist "Lieder der Stadt München".

Spotify

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von Spotify angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Spotify angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: