TSV 1860 München:Weiß-blauer Wahnsinn

TSV 1860 München - 1. FC Saarbrücken

Ausgelassen feiern die Spieler des TSV 1860 München mit ihren Fans den Aufstieg in die dritte Liga.

(Foto: dpa)

553 Polizisten, Kartenpreise von über 1000 Euro, abgebaute Tore, quadratmetergroße Löcher im Rasen: Der TSV 1860 München kehrt zurück in den Profi-Fußball - und Giesing steht Kopf.

Von Christoph Leischwitz

Ob jemand noch eine Karte habe, fragte ein etwa 50-jähriger Mann an der Grünwalder Ecke Volckmerstraße eine Stunde vor dem Spiel. Was er denn zahlen würde? "Alles", sagte der Mann mit der Inbrunst des Löwen-Fans. Es gab keine Karten mehr. Ein paar andere hatten am Wochenende ihre Tickets bei Ebay eingestellt, ein lukratives Geschäft, mindestens eine Karte, für die Westkurve, knackte die 1000-Euro-Marke. Am Sonntagnachmittag um 15.52 Uhr waren die Tickets für das Spiel des TSV 1860 München gegen den 1. FC Saarbrücken bestenfalls noch ein Souvenir, zumindest wurden sie für den weiteren Aufenthalt im Grünwalder Stadion gänzlich irrelevant.

Da öffneten die Ordner nämlich die Tore zum Spielfeld, wie ein menschlicher Wasserfall strömten die Fans auf den Rasen, der binnen Sekunden geflutet war. Polizisten sicherten die Ostkurve und Teile der Haupttribüne, wo sich die Fans des 1. FC Saarbrücken befanden, doch abgesehen von Wortgefechten blieb im Stadion alles friedlich.

Von den Löwen-Fans dürfte niemand, egal ob er die normalen 14 oder 1000 Euro gezahlt hatte, bereut haben, an diesem Tag auf Giesings Höhen dabei gewesen zu sein. Die Löwen spielten zwar nur 2:2, doch das reichte dank des 3:2-Hinspiel-Erfolgs für den Aufstieg. "1860 ist nach einem Jahr in der Regionalliga zurück im Profifußball", rief Stadionsprecher Stefan Schneider ins Mikrofon. Nach dem Spiel feierten die in Weiß und Blau gekleideten Anhänger ausgelassen im Stadion weiter, im Wienerwald und in den umliegenden Kneipen um die Tegernseer Landstraße, und sie feierten auf dem Candidberg, wo sich dann auch noch die Mannschaft blicken ließ. Die Spieler standen auf einem Doppeldeckerbus der "Münchner Stadtrundfahrten", dazu ein Banner mit der Aufschrift "Aufstiegslöwen". Eine Rundfahrt zum Aufstieg? Mitnichten, der Bus stand nur, von irgendwo stieg blauer Rauch auf.

Für die umliegenden Anwohner mögen die Vorkommnisse ein wenig besorgniserregend gewesen sein. War der Rummel womöglich nur ein Vorgeschmack? Jetzt, wo die Löwen nach einem Jahr Amateur-Dasein wieder im Profifußball vertreten sind? Was passiert, wenn in der kommenden Saison auf Giesings Höhen Vereine wie der 1. FC Kaiserslautern oder der Karlsruher SC zu Gast sein werden? Und wenn noch dazu ab Ende Juli, zu Beginn der Drittliga-Saison, nach einem Umbau auch noch 2500 Zuschauer mehr ins Stadion dürfen?

"Nie meeeehr dritte Ligaaaa": Einige Fans der Löwen singen sich gleich noch ein Jahr weiter

Vieles spricht dafür, dass es sich beim Relegationsspiel, sowie um die Stunden davor und danach um ein einmaliges Erlebnis handelte - auch wenn einige Fans die Gelegenheit nutzten, voreilig "nie meeeehr dritte Ligaaaa" zu singen. Einen Aufstieg haben die Löwen eben schon lange nicht mehr erlebt, 24 Jahre, und dass er obendrein in der alten, neuen Heimat Grünwalder Stadion gefeiert werden konnte, im ersten Jahr nach dem Auszug aus der verhassten Arena in Fröttmaning, das kam obendrauf.

"Das ist als Sechzig-Fan eines der wenigen Highlights, das man erleben darf. Normal geht es mit Sechzig ja immer nach unten", sagte Fred Pfaller, der am Sonntagvormittag im Zug aus Eichstätt angereist war. Pfaller ist Jugendleiter des VfB Eichstätt, vor zwei Monaten war er als Funktionär des Gästeteams im Grünwalder, diesmal stand er in der Westkurve. Aus ganz Bayern waren Anhänger angereist. Eigentlich wie immer. Doch alle hatten mehr Emotionen mitgebracht als sonst.

"Ohne Biero wär'n wir gar nicht hier"

Am späten Vormittag feierten schon Tausende in den Kneipen oder auf dem Giesinger Grünspitz, die Stimmung war ausgelassen, wenngleich für Autofahrer schon zwei Stunden vor dem Spiel erhöhte Vorsicht geboten war. Alles begann diesmal deutlich früher als sonst, die Gerstensaft-Zufuhr, der Aufbau im Stadion, der Aufmarsch der 553 Polizisten. Diesen wiederum stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben, aber es blieb alles friedlich. Keine besonderen Vorkommnisse, heißt das im Polizei-Sprech.

Die Grünwalder Straße musste diesmal gesperrt werden. Die Gästefans aus Saarbrücken saßen und standen schon seit Stunden am Wettersteinplatz herum und warteten auf Einlass, der über das Osttor nahe der Haupttribüne abgewickelt wurde. Weil sich aber auch auf der anderen Straßenseite Sechzig-Fans zum Vorfeiern getroffen hatten, kam man sich zwischenzeitlich bedrohlich nahe. "Komplett selbstgemacht", rief einer von Dutzenden Polizisten in sein Funkgerät, offenkundig sollten solche Situationen eigentlich verhindert werden. Während und nach dem Hinspiel in Völklingen bei Saarbrücken war es zu tätlichen Angriffen auf Sechzig-Spieler gekommen.

Bengalos zu Beginn beider Halbzeiten

Auch während des Rückspiels war die Atmosphäre angespannt. Die Sechzig-Anhänger in der Westkurve zündeten zu Beginn der beiden Halbzeiten Bengalos, die Gäste bei Anpfiff Rauchbomben, und während der Partie kam es auch immer wieder zu Scharmützeln vor den Mannschaftsbänken, ähnlich jenen, die sich die Sechziger schon beim Derby gegen die U23 des FC Bayern geliefert hatten. Doch zu keiner Zeit bestand die Gefahr, das Spiel unter- oder sogar abbrechen zu müssen.

Als aus einem 0:2 ein 2:2 wurde und sich die Sechziger mit Krämpfen auch noch über die fünfminütige Nachspielzeit hinweggekämpft hatten und endlich der Aufstieg feststand, durften die Fans über eine Stunde lang auf dem Rasen feiern. Die Spieler hingegen nahmen die Zuschauerperspektive ein. Zunächst kletterten alle, inklusive dem besonders laut gefeierten Trainer Daniel Bierofka ("Ohne Biero wär'n wir gar nicht hier"), auf das gar nicht so stabile Dach der Ersatzbank, selbst Sascha Mölders zog sich irgendwie nach oben, obwohl er sich in der spannenden Schlussphase vor Schmerzen schreiend auswechseln lassen musste.

"Das Trikot? Hat mein Vater bekommen. Er hatte Tränen in den Augen", sagte der halbnackte Simon Seferings, der nur Sekunden nach seiner Einwechslung in der 82. Minute den Ausgleich zum 2:2 erzielt hatte. "Da wusste ich: Wir haben's geschafft." Nach Dutzenden Küsschen und Umarmungen mit Freunden, Verwandten und TV-Kommentatoren, wie den ehemaligen Sechzig-Spielern Michael Hofmann und Thorben Hoffmann, fand sich die Mannschaft auf der Haupttribüne ein. Ein Banner wurde ausgerollt ("Danke Fans, ihr seid löwenstark"), weiß-blaues Konfetti spritzte durch die Luft. Wenig später standen sie auf dem Bus.

Im Stadion zeigte sich schnell, dass der Rasen für die kommende Saison dringend ausgetauscht werden muss: Teilweise waren quadratmetergroße Stücke herausgerissen, außerdem hatten Fans die Tore zerlegt und von jenem vor der Westkurve die Pfosten mitgenommen. Die Latte lag noch da, zwischen Zigarettenkippen und Bierbechern. Selbst an einem Abend, an dem alle Dämme brachen, wäre sie wohl zu schwer gewesen, um sie auf der stundenlangen Aufstiegsfeier mit sich herumzutragen.

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