Trudering:Hart an der Grenze

OB Reiter beschleunigt die Verhandlungen bei der seit Jahrzehnten durch Grundstücksstreit blockierten Erschließung eines Baugebiets in Haar. Nun müssen sich die betroffene Grundeigentümerin aus Trudering und die Stadt München nur noch einigen - dabei geht es vor allem ums Geld

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

Die Zustände im illegalen Gewerbegebiet am Rappenweg haben einen neuen, prominenten Kritiker: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigt sich in einem Schreiben an den SPD-Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer als "höchst unzufrieden darüber, dass die Landeshauptstadt München es aus vielerlei Gründen jahrzehntelang nicht geschafft hat, für bau- und planungsrechtlich geordnete Verhältnisse an der Grenze zur Gemeinde Haar zu sorgen".

In dem Brief wird deutlich, dass dem Oberbürgermeister der Zusammenhang zwischen dem wild wuchernden Automechaniker- und Baufirmen-Areal und der Erschließung für eine immerhin 132 000 Quadratmeter große Baufläche der Stadt im Haarer Ortsteil Gronsdorf am Schneiderhofweg sehr wohl bewusst ist. Denn weil sich am Rappenweg eine Eigentümerin ihr Baurecht inzwischen in zwei Instanzen gerichtlich hatte bestätigen lassen, ist die wichtige Erschließungsstraße für die Schneiderhofstraße an der Bahn entlang - die sogenannte Nordtangente - nur noch möglich, wenn die Stadt mit dieser Eigentümerin auf dem Verhandlungswege einigt.

Reiter versichert, es werde, "insbesondere auf mein Betreiben hin mit Nachdruck an einer Lösung gearbeitet". Zwar ließen sich angesichts der Vielschichtigkeit der Problemlage nicht die einzelnen Schritte aufzählen, er sei jedoch überzeugt, dass Haar und München zur Erschließung dieser Wohnbaupotenziale "das Verfahren in absehbarer Zeit abschließen werden können". Bis dahin bittet er Gantzer - der sich jüngst kritisch an den OB gewandt hatte - "um noch etwas Geduld". Doch die Lage ist hoch komplex und das Zeitfenster nun, nach Jahren des Schluderns und Scheiterns, sehr eng, denn die Fläche könnte bald auch endgültig bebaut sein.

Das Gewerbegebiet Rappenweg war nach dem Krieg in den Fünfzigerjahren auf einer verfüllten Kiesgrube entstanden, wurde geduldet, da gebraucht, die Klitschen bekamen Strom, Wasser und Hausnummern. Nach einem Brand in den Achtzigerjahren war der Stadt klar geworden, dass die Zustände dort vielleicht wildromantisch, gleichwohl auch sehr gefährlich sind. Spätestens seit damals besteht der Wille, alles zu legalisieren. Generationen von Politikern riefen der Stadt das auch immer wieder einmal ins Gedächtnis.

Trudering: Quelle: SZ-Grafik

Quelle: SZ-Grafik

Doch es gab dort mehrere Eigentümer, ein jeder mit eigenen Interessen, die Altlasten im Boden sind ungleich verteilt, jeder hatte Angst, bei internen Tauschmanövern den Kürzeren zu ziehen, die Stadt bekam die Beteiligten nicht unter einen Hut - und das bis heute nicht. Einer Truderinger Familie gehört in diesem Gewerbegebiet eine Fläche gleich an der Bahn und direkt an der Grenze zu Gronsdorf - inzwischen das Schlüsselgrundstück, denn nur durch dieses Areal führt die letzte sinnvolle Trasse zur Erschließung des großen Wohnbaureservoirs Schneiderhofstraße, das angesichts von Preisen von 1000 Euro pro Quadratmeter in Haar einen großen, ungenutzten Wert darstellt. Die Familie aber hat gerichtsfest dort Baurecht, sie darf laut konkreter Baugenehmigung der Stadt vier Hallen auf ihre Fläche setzen. Das städtische Kommunalreferat hat laut Sprecher Bernd Plank längst geprüft: Enteignen kommt nicht in Frage."

Bleibt nur reden. Der Sohn der Eigentümerin beklagt bitter, dass die Stadt genau dies viel zu selten angeboten habe. Das Kommunalreferat verweist darauf, dass diese Eigentümerfamilie auch im Herzen Straßtruderings ein Grundstück habe, gleich angrenzend ans alte Truderinger Rathaus. Daher wolle sie genau dieses alte Truderinger Rathaus im Tausch gegen ihr Gewerbegrundstück, das nun so wichtig geworden ist. Um reden zu können, brauche die Stadt erst einmal eine aktuelle Bewertung dieser Immobilie. Das dauere, denn das Bewertungsamt arbeite "am Limit". Er wisse schon, sagt Plank, dass er genau diese Auskunft vor einigen Wochen auch schon einmal gegeben habe, aber mehr könne er nicht sagen. Ob sich die Bewertung in diesem Falle priorisieren lasse, vorgezogen werden sollte oder sogar schon vorgezogen sei, das wisse er nicht. Klar sei nur: "Wir sind dran." Dass man selbst im Kommunalreferat von der durch OB Reiter beschleunigten Entwicklung derzeit überrollt wird, zeigt dessen Antwort auf eine SZ-Nachfrage von Ende vergangener Woche. "Gerade weil ich bereits priorisiert habe, liegen die erforderlichen Grundlagen seitens der Stadt vor", sagt Reiter. Da die von der Stadt zu erbringende Bewertung also bereits vorgenommen ist, stehe derzeit stehe nur noch die Bewertung des Grundstücks der Eigentümerfamilie aus, die von dieser selbst in Auftrag gegeben und ebenfalls in absehbarer Zeit zu erwarten sei. "Wenn sie vorliegt, werden Kommunalreferat und die Eigentümer des Privatgrundstücks erneut in Verhandlungen eintreten."

Möglicherweise fordere die Eigentümerfamilie nun angesichts ihrer komfortablen Verhandlungsposition auch mehr als den Gegenwert des Marktwertes, mutmaßt Kommunalreferatssprecher Plank. Der Münchner Oberbürgermeister sieht auch das optimistischer. "Ich denke, beide Seiten sind an einer einvernehmlichen Lösung interessiert." Das Kommunalreferat selbst hat jedenfalls keinen Spielraum, das kann dann nur der Stadtrat entscheiden. Ob die Stadt das alte Rathaus aus der Hand geben wolle, könne laut Plank ebenfalls nur der Stadtrat entscheiden. Wie das wohl ausgehen kann, erscheint ungewiss, denn einerseits zeigte bisher kein Referat Interesse an der Immobilie, obwohl der Bezirksausschuss Trudering-Riem zahlreiche Ideen zur bürgerschaftlichen Nutzung hat, andererseits liegt es im Sanierungsgebiet "Aktive Zentren", könnte also seinerseits eine Schlüssel-Immobilie sein, um der kränkelnden Straßtruderinger Einkaufsmeile wieder neues Leben einzuhauchen. Schnell kommt dieser Beschluss also wohl nicht.

Guter Wille reicht nicht

Kommentar von Thomas Kronewiter

Nur eine Posse am Stadtrand, weit weg vom Marienplatz? Oder doch ein Beispiel für Verschwendung, Versäumnis, Fehleinschätzung? Die nun schon Jahrzehnte währende Blockade aller Zukunftsplanungen an der Schnittstelle zwischen Haar und Trudering ist ein Paradebeispiel dafür, wie mit etwas politischem Willen und dem nötigen Nachdruck hehre Zielvorstellungen zu Realpolitik werden können.

Nicht einmal ein Jahr ist es her, dass OB Dieter Reiter und zahlreiche Bürgermeister, Verwaltungsexperten und Multiplikatoren aus der ganzen Metropolregion im Alten Rathaussaal zusammensaßen, um sich über die Herausforderungen an die Boom-Region und über gemeinsame Strategien gerade im Wohnungsbau auszutauschen. Viel guter Wille wurde damals signalisiert, allerseits Kooperationsbereitschaft bekundet.

Die Klage über unwillige Umland-Gemeinden, die sich zu wenig im Wohnungsbau engagierten, läuft aber ins Leere, wenn die Landeshauptstadt sich selbst bei diesem Ziel im Weg steht. Denn wird das einzige vorhandene Hindernis - die Einigung mit einer einzigen Grundeigentümerin - beseitigt, werden auf einen Schlag am Stadtrand erhebliche Wohnbaupotenziale geschaffen.

Der städtische Verhandlungsführer hat es dennoch nicht leicht: Er ist eingeklemmt zwischen dem Druck des Oberbürgermeisters, der die Angelegenheit zur Chefsache gemacht hat, und dem Druck des Stadtrats, der bei der Verhandlungsmasse ebenfalls mitzureden hat und derzeit sehr auf sparsames Haushalten sehen muss. Am Rappenweg ist noch nicht alles in trockenen Tüchern.

Otto Steinberger (CSU), der Bezirksausschuss-Vorsitzende von Trudering-Riem, will gar nicht viel sagen in diesem "laufenden Verfahren". Georg Kronawitter (CSU), ehemaliger Stadtrat, schon eher: Eine Schlüsselfigur sei Reiter nun in diesem Drama, das schon gut 45 Jahr dauere, und bei dem alle seine Vorgänger letztlich versagt hätten. Man müsse den Oberbürgermeister beim Wort nehmen, er müsse das wirklich zur Chefsache machen, nicht nur bei der Bewertung der Immobilie, sondern am besten auch gleich höchstpersönlich mit der Eigentümerfamilie sprechen "und sich auch entschuldigen im Namen der Stadt", denn diese sei "jahrelang von ihrem hohen Ross nicht heruntergekommen". Spätestens als in einem benachbarten, ganz ähnlichen Fall gerichtlich Baurecht erstritten wurde, hätte der Stadt klar sein müssen, dass auch diese Eigentümer sehr gute Karten haben. Die haben sie wirklich. "Und sie pokern hoch damit", sagt Steinberger. Der Wohnungsbau könnte am Ende der Verlierer sein.

Offenbar glaubt auch Haar nicht recht an schnelle Verhandlungserfolge in München, denn die Gemeinde klagt nun gegen die Baugenehmigung auf dem Schlüssel-Grundstück - mit dem Argument, sie sei erteilt worden, ohne die Nachbarn, also Haar, anzuhören. Dabei soll das Grundstück ja bekanntlich von Haar aus erschlossen werden. Jedenfalls baut Haar damit neuen Druck auf.

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