Trudering:Die Jugend schmeißt den Laden

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Acht Auszubildende haben die Stadtbücherei Waldtrudering in Alleinregie übernommen. Bis Weihnachten zeigen die künftigen Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, was in ihnen steckt

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

- Die junge Mutter klappt das Bilderbuch auf und zu, wieder auf und wieder zu. Es ist eigentlich ein sprechendes Buch, doch es bleibt stumm. Hilfe suchend wendet sie sich an die junge freundliche Thekenkraft der Stadtbücherei Waldtrudering. Katharina Neujean blickt von ihrem Computer auf, klappt kurz die Seiten auf und weiß gleich Rat: Die Batterie muss ersetzt werden. Eine Frau sucht Reiseführer, ein junger Mann eine bestimmte CD. Und wieder ist ein Wagen voll mit kiloweise zurückgebrachter Lektüre, die sogleich einsortiert werden muss.

Alltag in der Bücherei, doch eine Herausforderung nach der anderen für die aktuelle Belegschaft. Denn die acht Leute, die hier bis Weihnachten den Betrieb am Laufen halten werden, sind im zweiten und dritten Lehrjahr. Die Azubis durften die Ausleihstelle an der Waldtruderinger Straße 241 komplett übernehmen. Leiter Markus Hemminger und die technische Leiterin Carola Ziemer halten sich zurück und lassen den Nachwuchs machen. Die anderen Mitarbeiter sind zeitweise versetzt in andere Filialen.

Die Stadtbibliothek München schenkt ihren Azubis mit der Aktion Vertrauen und bereitet sie auf ihren Beruf vor. Zugleich will die städtische Einrichtung damit zeigen, was man alles lernen darf und wie abwechslungsreich diese Arbeit ist. Ende des Jahres ist Bewerbungsschluss für das neue Ausbildungsjahr und die Stadt hofft auf geeignete Kandidaten. Offenbar ist vielen bücherverrückten Realschulabsolventen gar nicht bewusst, dass auch sie gute Chancen haben.

Vitus, Stefanie und Thomas (v.l.) zeigen, wie sie den Betrieb der Stadtbücherei Waldtrudering mit jugendlichem Elan am Laufen halten. (Foto: Fotos: Robert Haas)

Julia Göhler, Thomas Ippisch, Stefanie Froschmayer und ihre Kollegen schwärmen davon, wie gut das gerade erst entstandene Team sich ergänzt. Sie haben in ihrer Pause die kleine Küche okkupiert, Salzletten und Nüsschen liegen auf dem Tisch, Gläser, Tassen überall. Ein wenig "Chaos" herrsche auch im Büro, sagt die technische Leiterin, doch sie sagt es wohlwollend und augenzwinkernd: "Die sind super", fügt sie an. "Die Famis machen es anders, aber sie kommen zum Ziel", ergänzt Hemminger. "Fami", das ist die liebevolle Abkürzung für "Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste".

Die Routineabläufe haben sie im Griff, die Frühschicht lüftet, startet den Computer, putzt die Theke. Dann kommt schon bald der "Leihverkehr", bestellte Bücher oder zurückgekehrte aus anderen Filialen. Die "Famis" sind auch verantwortlich für die Veranstaltungen, für Führungen mit Kindern oder Klassen, Kasperltheater, Vorlesen und Basteln - das ganze Programm eben. Sie dürfen ferner alle Ideen in die Tat umsetzen, alles umräumen und neu ordnen, sie haben freie Hand.

Von 10 Uhr an ist die Theke besetzt. Die Stammkunden - und davon gibt es viele - freunden sich schnell an mit den Neuen: "Da haben Sie aber eine große Aufgabe", sagt ein älterer Herr anerkennend und fügt noch an, dass man genau so optimal lerne. Zwischendurch schreiben sie einen Blog auf Instagram, nehmen dafür als Maskottchen das Plüschtier Karl, eine graue Wühlmaus, zu Hilfe. Eine Rubrik ihres Blogs ist "Der Fehler der Woche", doch mehr als ein falsch herum aufgepapptes Etikett haben sie da bisher nicht zu bieten.

Acht Auszubildende führen die Stadtbücherei Waldtrudering in Alleinregie. (Foto: Robert Haas)

Aber jede Menge neue Erkenntnisse über die Unterschiede in den Filialen und Stadtvierteln gewinnen sie. Im Hasenbergl etwa, wo die Azubis im vergangenen Jahr sieben Wochen den Laden schmeißen durften, kommen viele Jugendliche den ganzen Nachmittag zum konzentrierten Lernen oder auch zum Rumblödeln. In Bogenhausen, der Basisbücherei von Thomas Ippisch, gibt es Platz, um die zurückgebrachten Bücher auch mal stehen zu lassen, und eine Sortiermaschine, die einem viel Arbeit abnimmt.

Waldtrudering ist anders: Die Minibücherei mit der Kinderabteilung im Keller platzt aus allen Nähten. Sie hat halb so viele Medien im Bestand wie eine Mittelpunktsbücherei, kann aber fast ebenso viele Ausleihen vorweisen. Rund 500 Kunden kommen pro Tag. Glaubt man den Azubis, schleppt manche Mutter mit vier Kinderausweisen ganze Bücherberge davon. Bildungsbürger leben hier, das ist die eine Erklärung. "Es fehlt an Platz, dass die Kinder auch mal ein Buch gleich an Ort und Stelle ansehen können", hat Ippisch erkannt.

Um ein wenig Raum für neue Medien zu schaffen, stellen die Azubis die Filmabteilung von breiten auf schmale Hüllen um, eine Menge Arbeit. Stress? "Teilweise schon", sagen sie: "Aber auch jede Menge Spaß." Wenn man irgendwas nicht wisse, sei es leichter, einen anderen Azubi zu fragen als seinen Ausbilder. "Man lernt viel intensiver", findet Thomas Ippisch. Schön sei die Erkenntnis "Ich kann es ja", sagt Julia Göhler. Noch schöner als Buchhändlerin sei ihr Beruf, meint Katharina Neujean: "Ich muss nichts verkaufen, weil die Stadt uns das Geld gibt, um die Medien zur Verfügung zu stellen." Sie ist offenbar fit für die Öffentlichkeitsarbeit.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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