Trendsport:Stand-up-Paddling: Geboren für das Brett

Trendsport: Carol Scheunemann schwört auf tägliches Training in den frühen Morgenstunden, wenn es auf den Gewässern einsam ist.

Carol Scheunemann schwört auf tägliches Training in den frühen Morgenstunden, wenn es auf den Gewässern einsam ist.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit 57 Jahren ist Carol Scheunemann Bayerns beste Stand-up-Paddlerin. Zwar kam sie erst auf Umwegen zu dem Sport - doch er war ihr gewissermaßen vorbestimmt.

Von Alexander Augustin

Noch sind die Enten unter sich. Am frühen Morgen bewegt einzig der Wind die Oberfläche des kleinen Sees im Münchner Norden. Obwohl sich die Sonne schon langsam hinter den Bäumen im benachbarten Park erhebt, ist es noch relativ zapfig, viel zu kalt für Wassersport - eigentlich. Zu niedrige Temperaturen gibt es für Carol Scheunemann nicht.

Fast jeden Morgen fährt sie mit ihrem kleinen Auto an einen See in ihrer Umgebung - auch im Winter. Stets an Bord: ein Paddel und ein Brett, das einem Surfboard zum Verwechseln ähnlich sieht. Scheunemann betreibt Stand-up-Paddling. Sie liebt die morgendliche Ruhe auf dem Wasser, ist oft die Erste, die die nächtliche Privatsphäre der Enten beendet. Das jahrelange, unermüdliche Training hat Scheunemann zur bayernweit besten Vertreterin ihrer Sportart gemacht.

Stand-up-Paddling ist recht einfach zu erlernen. "Man bekommt den Dreh sehr schnell heraus, alles andere ist dann Übungssache", berichtet die gebürtige Amerikanerin. Sie hat mit der Ausübung des Sports erst vor vier Jahren begonnen. Damals war sie schon 53 Jahre alt und entdeckte durch Zufall ihre Leidenschaft für den Wassersport: "Eine Freundin hat sich eine Ausrüstung gekauft und mich mit zum Ammersee genommen."

Scheunemann, zu dieser Zeit aktive Läuferin, hatte sich gerade an der Achillessehne verletzt. An Wettkämpfe war über ein halbes Jahr nicht zu denken. Weil sie diese Zeit aber nicht in sportlicher Untätigkeit verbringen wollte, probierte sie es mit dem ungewöhnlichen Wassersport, den ihr ihre Freundin gezeigt hatte - und zog ihn auch nach der Genesung ihrer Achillessehne dem Laufsport vor. "Als ich verletzt war, habe ich im Stand-up-Paddling vor allem einen guten Ersatz für das Laufen gesehen, weil dabei die Beine weniger beansprucht werden", erinnert sich die 57-Jährige. Schnell habe sie aber gemerkt, dass ihr der Wassersport viel mehr Spaß mache. "Der Körper wird ganzheitlicher beansprucht, man braucht Kraft im Oberkörper, Technik und einen guten Gleichgewichtssinn."

Dass sie diese Qualitäten mittlerweile perfektioniert hat, wird deutlich, wenn man ihr beim Paddeln zusieht. Ganz sicher steht Carol Scheunemann auf ihrem Brett, ins Wasser ist sie schon lange nicht mehr gefallen. Immer wenn sie eine Kurve fahren will, springt sie auf ihrem Board nach hinten, um dessen Schwerpunkt zu ändern. Dabei braucht es besonders viel Geschick.

Scheunemann hatte schon in ihrer Jugend ein Faible für Sportarten, in denen Feingefühl gefordert ist. 1976 wäre sie sogar beinahe zu Olympia gefahren - als Bogenschützin. Die amerikanische Norm hatte sie damals geschafft, in einem nationalen Ausscheidungsturnier scheiterte sie allerdings. Acht Jahre später wanderte sie nach Deutschland aus. Von ihrem amerikanischen Hintergrund merkt man heute - bis auf einen leichten Akzent - nicht mehr viel. Ursprünglich zog Scheunemann, die in Arizona Deutsch studiert hat, als Englischlehrerin nach München. Heute arbeitet sie als Redakteurin bei einer Kommunikationsagentur in der Nähe des Olympiaparks.

SUP steht für Stand-up-Paddling

Kurz nach ihrem Umzug Mitte der Achtzigerjahre lernte sie ihren Ehemann Rudi kennen, einen "waschechten Münchner", wie sie betont. Mit der Hochzeit nahm sie dessen Nachnamen an. Dass ihr Mädchenname heute eigentlich viel passender für sie wäre, konnte Scheunemann damals noch nicht wissen. In den USA wurde sie als Carol Sup geboren. SUP wird das Stand-up-Paddling in der Szene genannt. Die Leidenschaft für die Sportart war ihr also gewissermaßen schon in die Wiege gelegt. Sie brauchte lediglich über fünf Jahrzehnte und einen Namenswechsel, um diese zu entdecken.

Goldenes Abendlicht

Freiheit auf dem Wasser - zwei Stand-up-Paddler steuern in den Sonnenuntergang.

(Foto: dpa)

Heute fährt sie den meisten ihrer viel jüngeren Konkurrentinnen bei nationalen Wettkämpfen regelmäßig davon. Scheunemann betreibt Stand-up-Paddling fast ausschließlich als Ausdauersportart auf ruhigen Gewässern. In Amerika und Australien ist die Sportart vor allem als eine Abwandlung des Wellenreitens populär geworden. "Das kann ich überhaupt nicht, ich bin eine reine Flachwasserspezialistin", gibt Scheunemann zu. Dennoch versucht sie sich auch ab und zu in wilderen Gewässern. Bei Wettbewerben tritt sie in zwei Disziplinen an: auf der Langstrecke, die sich meistens über acht bis zwölf Kilometer erstreckt, und im Sprint über etwa 500 Meter. In beiden Kategorien gehört sie zur erweiterten Weltspitze, vor drei Wochen wurde sie in Rostock deutsche Vizemeisterin über die Langstrecke.

An vielen Stellen mangelt es an Lehrern

Die Erfolge haben ihr zwei Sponsorenverträge eingebracht, die ihr die profi-ähnliche Ausübung ihres Sports ermöglichen. Boards und Paddel bekommt sie kostenlos. Scheunemanns Ausrüstung ist einen niedrigen fünfstelligen Euro-Betrag wert, die materielle Unterstützung erleichtert ihr die Ausübung ihres Sports erheblich. Überhaupt seien die Kosten ein wichtiger Grund dafür, dass das Stand-up-Paddling den Status einer Randsportart, trotz eines Aufschwungs in den vergangenen Jahren, bisher nicht verlassen konnte, meint die 57-Jährige.

Ein Einsteiger müsse für eine hochwertige Ausrüstung, also Paddel und Brett, schon über 1000 Euro ausgeben. Mancherorts kann man sich aber auch Material leihen, am Ammersee und dem Starnberger See zum Beispiel. An professionellen Lehrern mangelt es in der Umgebung allerdings noch und so bleibt auch der große Andrang des Nachwuchses bisher aus.

Carol Scheunemann setzt sich seit Jahren dafür ein, dass ihr Sport bekannter wird. Sie regt eine Aufnahme des Stand-up-Paddlings in das Schulsportprogramm an. In einem Blog schreibt sie ihre Erfahrungen nieder. "Ich will die Leute für den Sport begeistern", sagt sie. Die nächste Möglichkeit dazu hat sie am 25. September bei den bayerischen Meisterschaften am Pilsensee. Dort startet sie als Favoritin. Die Enten werden dann, anders als sonst, nicht ihre einzigen Zuschauer sein.

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