Trendsport Fingerboard:Für ein optimales Fahrgefühl

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Er ist Fingerboarder der ersten Stunde, Buchautor und Erfinder: Alleine seine Miniaturreifen mit richtigen Kugellagerrollen haben Martin Winkler berühmt gemacht. Den Durchbruch hat er mit Keilriemen geschafft.

Sabine Buchwald

Vom Schlüsselanhänger zum selbst konstruierten Kugellager: Martin Winkler ist seit 25 Jahren als Skateboarder und Fingerboarder aktiv. (Foto: Jakob Berr)

Er rollt mit seinem Skateboard über Rampen und Treppen, kracht über Geländer. Er hält sein Board in der Luft, kippt und drallert es. Besuchern, die mit offenen Mündern vor ihm stehen bleiben, schiebt Martin Winkler eines der schwarzen Bretter zu und fordert sie zum Nachmachen auf. Fünf, sechs Leute fahren gleichzeitig, kommen sich dennoch nicht in die Quere, weil sie die Boards nicht mit den Füßen, sondern den Händen bewegen.

Am "Funtainment-Stand" Anfang November auf der Spielemesse in Freimann ist auf einem Tisch ein Parcours aufgebaut mit Rampen - kaum höher als ein Buch, Geländern, nur so dick wie Makkaroni. Winklers Gerät, knapp zehn Zentimeter lang und einen Daumen breit, scheint ihm an den Fingern zu kleben. "Wer Klavier spielt, tut sich leichter damit", sagt Winkler. Mit dem Fingerspreizen meint er. Selbst hat er das Instrument nie gelernt. Er zieht seine Zeige- und Mittelfinger auseinander und lacht: "Der Abstand könnte breiter sein." Nicht wirklich schlimm, solange das Fahren Spaß macht.

Der Münchner ist Teil einer weltweit agierenden Community - so nennen sie sich in ihrem denglischen Slang -, die mit Fingerboarding einen Lifestyle aufrecht halten. Sich mit anderen messen bei Wettbewerben oder nur treffen an einem lokalen "Spot" (einem guten Skaterort), das ist wohl der Kick daran.

So ein Fingerboarder-Eldorado steht am Patentamt an der Isar. Eine Metallskulptur von Eduardo Paolozzi. Zum Quatschen, üben, zeigen, was man drauf hat, versammeln sich hier, die Fingerboarder-Kids, Martin Winkler schaut auch hin und wieder vorbei. Anders als beim Original für die Füße kann man sich kaum verletzen, wenn man mit den Fingern auf einem Miniboard fährt.

Sammelleidenschaft und Skateruniform

Martin Winkler mag sich nicht mehr die Knöchel verstauchen, seine besten Zeiten als Skater auf der Straße hat er hinter sich. Winkler ist 39 Jahre, trägt Jeans, die locker um den Po hängen, immer noch gern Kapuzenjacken, Turnschuhe und auch, selbst wenn es nicht kalt ist, oft eine Mütze. Skateruniform. Unter seinen Brillengläsern verstecken sich ein paar Fältchen, wenn er lacht. Und er lacht oft und gern.

Er ist bekennender Sammler. 3000 Platten hortet er in seiner Wohnung, mehr als 100 Paar Schuhe, eine riesige Fingerskateboard-Kollektion. Besuchen dürfen ihn nur die allerengsten Freunde. Spricht er zu Jugendlichen, muss er sich ein wenig nach vorne beugen, weil er sie überragt. "Ich habe Style, sagen die Kids von mir. Dabei sind die doch inzwischen alle viel besser als ich", sagt Winkler.

Vielleicht liegt es an den Bartstoppeln, dass er an einen Bär erinnert, an einen alterslosen, unverzichtbaren Teddy. "Martin Winkler breathes fingerboarding", steht auf der Webseite von Blackriver, der Fingerskateboarder-Firma im oberfränkischen Schwarzenbach. Über sie kann man die patentierten Winkler-Wheels bestellen. Reich könne man davon nicht werden, sagt ihr Konstrukteur. Auch wenn ein Set von vier Rollen um die 30 Euro kostet. Winkler würde gern vom Fingerboarding leben, muss aber doch arbeiten gehen.

Martin Winkler hat Anfang der 90er Jahre eine Lehre in einem Münchner Sporthaus gemacht, in dem er während der Schulzeit seine Skaterausrüstung kaufte. Seine Vorstellung, zwei Jahre nur bei den Rollbrettern zu stehen, erfüllte sich nicht. Aber er bekam bei jedem Einkauf Prozente, das allein machte die Lehre für ihn lohnenswert.

Bis vor ein paar Jahren hat Winkler dann beim Bund für Zivildienst die Zivis an den Münchner Unikliniken betreut. Seitdem es sie nicht mehr gibt, verwaltet er die Hörsäle der Unikliniken. Ein Halbtagsjob, den er nicht mehr ganz so spannend findet, der ihm aber Zeit lässt für anderes. Er kommt gut aus mit jungen Leuten, freut sich, wenn er von Schulen eingeladen wird als Fingerboarder. "Auf Events wird Winkler belagert von den Jungen, er kommt supergut an", sagt Thomas Hansen von Blackriver. Er verkörpere die Kreativität des Sports, und er habe eine ganz, ganz wichtige Bedeutung für das Fingerboarding in Deutschland.

Die Firma Blackriver in Schwarzenbach sagt von sich, sie sei Weltmarktführer in professionellem Zubehör - Rampen, Achsen, Räder - produziere 95 Prozent im Land. In Schwarzenbach finden seit Jahren die Weltmeisterschaften im Fingerboarding statt. Amtierender Weltmeister ist der Schleswig-Holsteiner Valentin Leiber. Die Fußballnation Deutschland ist also auch eine Fingerboardernation.

Man holt sich bei Winkler Anerkennung, wenn man immerhin weiß, dass in Schwarzenbach Erika Fuchs gelebt hat, die kongeniale Übersetzerin von Donald-Duck-Geschichten. Schwarzenbach in Blackriver zu übersetzen, ist nicht vergleichbar genial, aber die Firma besteht seit 1999 und beschäftigt 25 Mitarbeiter.

Als Vater der Miniatur-Funsportart gilt der Amerikaner Lance Mountain, der mit selbst gebauten Boards in einer Küchenspüle rumsauste und sich dabei filmen ließ. Das Video bringt 1985 den "absoluten Durchbruch", schreibt Martin Winkler über seinen Lieblingsport in seinem Buch, das 2011 im Riva Verlag erschienen ist. Es ist zu einem Fingerboarder-Standardwerk geworden mit 15.000 verkauften Exemplaren.

Mit Keilriemen zum Durchbruch

Locker erklärt Winkler Tricks wie den "Ollie" ("die Revolution"), den Threesixty-Shovit oder den Bigspin, und erzählt seinen Lebensweg. Als Bastelfreak und Straßenskater hat er sich als Schüler begeistert für die Dinger, die in jede Hosentasche passen. Skateboard-Firmen haben sie Anfangs als Schlüsselanhänger produziert. Winkler baut seine eigenen.

Aus Radiergummis stanzt er mit Füllerkappen Rollen aus. Zerschnittene Cola-Dosen werden zu Achsen, Holzlineale zu Decks, die über einer Kerze die Form der großen Vorbilder bekommen. Unterstützt von seinem Vater tüftelt Winkler an den Rädern, lange eine Schwachstelle jedes Eigenbaus. 1990 entstehen aus einem PVC-Keilriemen schließlich die ersten Winkler-Wheels. Das Besondere daran: Es sind richtige Kugellagerrollen für ein "optimales Fahrgefühl".

© SZ vom 16.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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