Gewalttat:Wie Münchner Schulen den Amoklauf aufarbeiten

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Auch die Grund- und Mittelschule Unterhaching trauert um einen Schüler. Nun geht es darum, Vertrauen und Zusammenhalt zu fördern. (Foto: Angelika Bardehle)

Am ersten Schultag nach der Gewalttat bemühen sich Lehrer und Psychologen, mit den Kindern und Jugendlichen wieder in den Alltag zu finden.

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Die für diesen Montag geplante Exkursion wurde nicht abgesagt, das wollten auch die Schüler nicht. Ihre Betroffenheit aber hätten sie dennoch zeigen wollen, sagt René Horak, der Leiter des Gymnasiums München-Moosach. Und so seien sie am Ende des Ausflugs gemeinsam zum Tatort gegangen, die ganze Klasse, um dort Kerzen anzuzünden und an die Toten zu denken. Erst danach wollten die Schüler nach Hause.

Der Alltag ist noch fern an den Münchner Schulen. Bei dem Amoklauf am Freitag sind vor allem Jugendliche ums Leben gekommen. Dieser Montag war der erste Schultag danach; es war ein Tag, um Trauer zuzulassen, um über Ängste zu sprechen, aber auch, so formuliert es Horak, um zu versuchen, sanft zur Alltagsroutine zurückzufinden.

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Auch an Schulen, die nicht unmittelbar betroffen waren, so wie das Moosacher Gymnasium. Keiner der Getöteten besuchte hier den Unterricht. Doch das Gymnasium liegt nur 500 Meter Luftlinie vom Olympia-Einkaufszentrum entfernt, dem Ort der Schießerei. Und im Viertel kenne man sich eben, viele Schüler seien daher doch direkt betroffen, sagt Horak. Einzelne hätten den Amoklauf gar selbst miterleben müssen, seien im OEZ eingesperrt gewesen und deshalb auch am Montag nicht zur Schule gekommen.

Jede Schule müsse grundsätzlich selbst entscheiden, wie sie auf den Amoklauf reagiere, sagt Alexandra Brumann, die fachliche Leiterin des staatlichen Schulamts in München, das für Grund- und Mittelschulen zuständig ist. Jede Schule habe aber einen Handlungsplan für Krisenfälle, darunter nicht zuletzt Notfallnummern, und dieses Alarmsystem habe gut funktioniert.

Am Freitagabend habe das bayerische Bildungsministerium das Kriseninterventions- und -bewältigungsteam der Bayerischen Schulpsychologen (KIBBS) damit beauftragt, die Schulen zu unterstützen; am Samstagvormittag hätten erste Schulen dort um Hilfe gebeten. Am Sonntagnachmittag gab es in mehreren Schulen erste Konferenzen, um zu klären, wie man die Schüler auffangen sollte. KIBBS-Mitarbeiter halfen dabei.

Am Montag besuchten dann 35 Psychologen des Teams verschiedene Schulen in München und im Umland, um Lehrer zu beraten und Kinder zu betreuen. Die Helfer seien immer zu zweit, sagt Hans-Joachim Röthlein, KIBBS-Koordinator für Oberbayern. Für die Schulen leiste man dabei Hilfe zur Selbsthilfe.

Welche Ängste und Fragen die Kinder nach dem Amoklauf besonders umgetrieben hätten, könne er noch nicht sagen, sagt Röthlein - die Situation sei noch neu, erst am Montagabend wolle man die ersten Erfahrungen austauschen. Einzelne Lehrkräfte berichten von langen Gesprächen über mehrere Schulstunden hinweg bereits in der Grundschule. Die Kinder sprachen etwa über die Gründe für eine solche Tat - und sie sagten, sie seien vor allem durch die Videos verunsichert worden, die im Internet zu sehen seien.

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Grundsätzlich gehe es nun darum, das Sicherheitsgefühl der Schüler wiederherzustellen, sagt Evelyn Sehling-Gebranzig, die fachliche Leiterin des staatlichen Schulamts für den Landkreis München. Ihr untersteht unter anderem die Mittelschule in Unterhaching, die um einen toten Schüler trauern muss. Was tun? Gruppenspiele könnten das gegenseitige Vertrauen fördern, sagt Sehling-Gebranzig.

Und für die letzte Woche des Schuljahres könnten die Schulen kurzfristig Unternehmungen und Projekte planen, auch um die Kinder abzulenken. Durch all das stärke man auch das Gemeinschaftsgefühl der Klassen - und dass die Schüler hier zusammenhalten und keiner alleine stehe, das sei auch präventiv wichtig.

"Schaut aufeinander" - Bernd Hieronymus hat diesen Satz seinen Schülern deshalb per Durchsage mitgegeben, und: "Mobbing steht immer am Anfang." Hieronymus leitet das staatliche Luitpold-Gymnasium im Lehel. Es ist weit weg vom OEZ, dennoch wisse er, dass einige seiner Schüler betroffene Familien kennen, sagt er.

Und die eigenen Schüler machten ebenfalls Schlimmes mit: 120 Schüler der siebten Jahrgangsstufe waren am Freitagabend mit fünf Lehrern und Eltern zum Abschluss eines Jahresprojektes in den Kammerspielen an der Maximilianstraße. Als sie die ersten Nachrichten über den Amoklauf erreichten, sperrten die Erwachsenen die Kinder ein.

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Sie öffneten erst wieder die Türen, als klar war, dass den Kindern draußen keine Gefahr drohte. Erst um halb zwei Uhr morgens waren die letzten Kinder wieder zu Hause. Die Siebtklässler würden nun gesondert betreut, sagt Hieronymus. Um die anderen Schüler hätten sich die Klassenlehrer in den ersten Schulstunden gekümmert.

Ähnlich hat auch das Moosacher Gymnasium reagiert: Am Montag rief die Schulleitung bereits um 7.30 Uhr zur ersten Lehrerkonferenz. In der ersten Schulstunde sollten die Kinder Raum haben, um sich zu äußern. Das schulinterne Kriseninterventionsteam stand bereit, Psychologen und Sozialarbeiter warteten in zwei extra eingerichteten Gesprächsräumen auf Schüler, die alleine mit jemandem reden wollten, nicht vor der Klasse.

Die Kinder sollten sich nicht alleine gelassen fühlen, sondern aufgehoben. Das sei geglückt, hofft Horak: Die Stimmung sei zwar gedrückt gewesen, aber ruhig. Um zehn Uhr standen alle auf für eine Schweigeminute. Schon am Samstag hatte Horak die Eltern über die Internetseite der Schule gebeten, sich viel Zeit für die Kinder zu nehmen, viel mit ihnen zu sprechen oder auch einen Ausflug mit ihnen zu unternehmen.

Wie es weitergeht? Am Dienstagmorgen um 8 Uhr treffe sich erneut das schulinterne Kriseninterventionsteam, sagt Horak. Dann werde man die Erfahrungen zusammentragen.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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