Trauerfeier:Was die Münchner in die Kondolenzbücher zum Amoklauf schrieben

Trauerfeier: Das Kondolenzbuch im Rathaus am Marienplatz.

Das Kondolenzbuch im Rathaus am Marienplatz.

(Foto: Catherina Hess)

Die Seiten zeigen, wie groß Anteilnahme, Angst, aber auch Dankbarkeit in der Stadt sind.

Von Jakob Wetzel

Die Kondolenzbücher sind geschlossen - und am Ende sind einige Seiten weiß geblieben. Eine Woche lang lagen die beiden Bücher aus, bis Freitag eines im Neuen Rathaus am Marienplatz und bis Samstag eines im Untergeschoss des Olympia-Einkaufszentrums (OEZ) in Moosach. Bis zuletzt haben sich trauernde Münchner eingetragen. Insgesamt aber habe sich der Andrang doch in Grenzen gehalten, heißt es bei der Stadt. Vielleicht sei das aber auch ganz gut: So hätten die Besucher Zeit gehabt, um innezuhalten, in den Büchern zu blättern und zu lesen.

Wer das tut, der spürt, wie tief der Amoklauf die Münchner getroffen hat. Viele der Schreiber haben nur wenige Worte gefunden - "Wir werden euch nie vergessen", hat einer zum Beispiel notiert; ein anderer schrieb lediglich: "Ihr solltet leben". Viele haben ihr Mitgefühl mit den Familien der Opfer festgehalten, manche auch ihr Mitleid mit der Familie des Täters.

Einige haben auch die Gelegenheit genutzt, um ihre Dankbarkeit aufzuschreiben: gegenüber den Polizisten und Rettungskräften, den Ärzten und allen Münchnern, die ihre Türen am Freitagabend für Fremde geöffnet haben - oder, in den Worten zweier Münchnerinnen, ganz konkret gegenüber "dem Mann, der die Treppe heruntergekommen ist, um uns zu helfen", oder auch gegenüber einem anderen, "der uns davor bewahrt hat, ins Parkhaus zu fahren", in dem gerade der Amokläufer war.

"Aber letztlich können wir nur beten und hoffen, dass die Gewalt aufhört."

Immer wieder heißt es, man müsse nun nach vorne blicken. Doch das fällt auch denen schwer, die es schreiben. "Es ist so traurig, einfach so traurig", sagt etwa eine junge Mutter mit zwei Söhnen. Am Montag vergangener Woche war sie bereits auf der Trauerfeier im OEZ, am Freitag hat sie sich dort in das Kondolenzbuch eingetragen. Die Gewalttat ist eine Woche her, doch die Frau ist noch immer den Tränen nahe; in ihrer Trauer möchte sie anonym bleiben. Sie wohne in der Gegend und komme regelmäßig her, gehe zum Friseur oder auch zum Blumengeschäft, erzählt sie, aber das Gefühl sei nicht mehr dasselbe wie zuvor. Man müsse jetzt einfach weitermachen; "aber es ist schon ein bisschen Angst geblieben", sagt sie. Und die werde nur langsam besser.

"Es hat sich etwas geändert", sagt auch eine Münchnerin im Neuen Rathaus; auch sie möchte mit ihren Gefühlen nicht namentlich in der Zeitung stehen. Am Tag des Amoklaufs sei sie in der Innenstadt gewesen, erzählt sie. Noch immer sehe sie vor sich, wie die Leute am Stachus in Scharen aus der U-Bahn rannten, "wie in einem Film war das". Stundenlang saß sie danach in einem Café in der Nähe, schließlich ging sie zu Fuß zu ihrer Wohnung in Bogenhausen. Die ersten beiden Tage danach sei sie wie gelähmt zu Hause gesessen.

Dieser erste Schock zumindest sei nun vorüber. Aber der Alltag sei noch immer fern, die Angst sei allgegenwärtig. Menschenmengen wolle sie meiden, ebenso das Oktoberfest. So unbedarft wie zuvor gehe sie nicht mehr durch die Stadt, sagt sie. "Es fühlt sich an wie nach dem Wiesn-Attentat. Das kam auch aus dem Nichts - und danach war das Oktoberfest nicht mehr dasselbe." Jetzt helfe nur noch die Augen offenhalten. "Aber letztlich können wir nur beten und hoffen, dass die Gewalt aufhört. Und dass so etwas hier oder sonstwo nicht noch einmal passiert." Die beiden Kondolenzbücher wird die Stadtverwaltung nun nicht direkt den betroffenen Familien übergeben, sondern dem Münchner Stadtarchiv. Die Angehörigen könnten Kopien bekommen, wenn sie wollten, heißt es aus dem Rathaus. Die Originale aber seien Dokumente der Zeitgeschichte.

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