Transsexueller:"Ich habe mich nicht aufgehoben gefühlt"

Kai-Moritz Gerstenberger kam als Mädchen zur Welt - jetzt lebt er als Mann. Und hilft anderen Menschen, die im falschen Körper leben. Eine Geschichte vom mühsamen Weg zum anderen Geschlecht.

Laura Bohlmann

Kai-Moritz Gerstenberger ist ein Mann. Seit fünf Jahren auch äußerlich. Gerstenberger ist transsexuell. Mit 26 Jahren sieht er aus, wie er sich schon immer gefühlt hat. Um anderen Transsexuellen auf ihrem Lebensweg zu helfen, hat er die Trans-Tagung München am vergangenen Wochenende mitorganisiert. Außerdem leitet er die Jugendgruppe "FrienTS" im Jugendzentrum Diversity in München.

Transsexueller: Kai-Moritz Gerstenberger kam als Mädchen zur Welt - im falschen Körper. Heute lebt er als Mann.

Kai-Moritz Gerstenberger kam als Mädchen zur Welt - im falschen Körper. Heute lebt er als Mann.

(Foto: Robert Haas)

Ich bin mit mir als ganzes Wesen zufrieden", sagt Kai-Moritz Gerstenberger. Er sitzt auf einem Barhocker, trinkt Milchkaffee und erzählt seine Geschichte. Es ist die Geschichte einer langen Suche nach sich selbst. Wenig esoterisch, aber sehr biologisch. Der 26-Jährige kam als Mädchen zur Welt. So gefühlt hat er sich nie. "Ich habe schon immer gewusst, dass etwas seltsam mit mir ist", erklärt er. Wenn er für einen Jungen gehalten worden ist, habe er das cool gefunden.

Bis zur Grundschule sei es kein Problem gewesen, dass er sich wie ein Junge benommen hat. "Ich habe zwei Brüder, mit denen bin ich immer durch die Gegend gestromert, hatte Jungenkleidung an." Erst auf dem Gymnasium sei es schwierig geworden. "Da gab es die Kerle, die Tussis und mich." Obwohl er äußerlich ein Mädchen war, konnte er sich nicht mit ihnen identifizieren. Für die Buben war er aber nicht Kerl genug. "Ich habe lange mit dem Konflikt leben müssen was von mir erwartet wird und wie ich mich fühle", sagt er.

Transsexuelle sind Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren können. Sie haben das Gefühl, im falschen Körper geboren worden zu sein. Eine biologische Diagnose gibt es bisher nicht. In Deutschland ist Transsexualität als Identitätsstörung anerkannt. Um die biologische Identität auch der geistigen anpassen zu können, werden Hormontherapien und Operationen durchgeführt. Bevor es dazu kommt, müssen Transsexuelle psycholgische Gespräche führen und Gutachten einholen, wenn die Identitätsstörung vom Therapeuten bestätigt wird, zahlt die Krankenkasse die notwendigen Therapien. In München ist eine einjährige Therapie Pflicht, bevor Hormonbehandlung und OP von der Kasse übernommen werden.

Kai-Moritz Gerstenberger hat sich lange ausprobiert, bevor er wusste, was mit ihm ist. In der Pubertät hat er eine Zeitlang als Lesbe gelebt. "Erstens stand ich sowieso auf Frauen und zweitens kann man da ein bisschen anders sein." In der lesbischen Szene sei es normaler, wenn Frauen auch männlich wirken. Richtig angefühlt hat sich sein Leben trotzdem nicht. "Ich habe mich viel mit Geschlechtertheorien beschäftigt und mir überlegt, dass ich keinem Geschlecht angehöre." Aber wirklich zufrieden war er damit nicht. "Ich habe mich einfach nicht aufgehoben gefühlt."

Irgendwann ist er im Internet über den Begriff Transsexualität gestolpert. "Da habe ich zum ersten Mal gedacht, dass könnte auch auf mich zutreffen", erzählt er und nickt kräftig mit dem Kopf. In Internetforen hat er sich ausgetauscht und informiert, ist das erste Mal zur Münchner Selbsthilfegruppe Viva gegangen. "Da habe ich einen anderen Transmann kennen gelernt und mich lange mit ihm unterhalten", erzählt er. Jetzt war er sich sicher, im falschen Körper aufgewachsen zu sein.

"Bin ich männlich genug für einen Mann?"

Transmänner sind Frauen die durch die Hormonbehandlung zu Männern werden, Transfrauen Männer, die zu Frauen werden. Eines der prominentesten Beispiele für Transsexualität ist Balian Buschbaum. Er war als Yvonne Buschbaum eine erfolgreiche Stabhochspringerin und hat ein Buch über seine Lebensgeschichte geschrieben. Männer in schrillen Frauenkleidern wie die Hamburgerin Olivia Jones sind zwar transsexuell, leben aber nicht im falschen Körper.

Olivia Jones ist eine Dragqueen, das ist eine Kunstform und mehr ein Spiel mit den Geschlechtern. Er ist ein Mann, der in die Rolle der Frau Olivia schlüpft und sich in dem Moment mit ihr identifiziert. Transsexuelle benutzen selber gerne den Begriff Transident, weil es sich nicht um eine sexuelle Neigung sondern eine Frage der Identität handelt.

"Bei meinem Therapeuten habe ich mir immer wieder die gleiche Frage gestellt: Bin ich männlich genug für einen Mann", erzählt Kai-Moritz Gerstenberger von seiner Identitätsfindung. Es habe lange gedauert, bis er sich als Mann so wie er ist akzeptiert hat. "Es hat sich zwar richtig angefühlt, aber ich wusste nicht wie ich mit den Erwartungen von außen umgehen sollte", sagt er. Die Erwartungen der anderen und Anerkennung sind immer wieder Thema an diesem Abend.

Sein Coming-out sei gut gelaufen. "Meine Mutter hat mich angesprochen. Sie hat gesehen, dass ich einen Artikel über Transsexuelle in Indien gelesen habe und mich direkt gefragt, ob das für mich zutrifft." Im Nachhinein sagt er und wird nachdenklich, sei das eine ungewöhnliche Frage gewesen. So, als hätte sie gewusst, was los ist. "Sie hat dann viele Coming-outs in der Familie für mich übernommen", erzählt er. Einfach sei es sicher nicht für seine Eltern gewesen. "Das ist ein bisschen so, als hätten sie ihr Kind verloren. Ihre Tochter haben sie ja auch wirklich verloren, dafür aber einen Sohn bekommen." Eine zeitlang sei er von seinen in Plauen lebenden Eltern nur als das "Münchner Kindl" bezeichnet worden. Beruflich sei seine Geschlechtsumwandlung kein Problem gewesen. "Ich bin sehr offen damit umgegangen, meine Chefin hat das verstanden. Im Studium waren wir so viele, da ist das gar nicht aufgefallen." Seine engen Freunde hätten ihn auch als Kai-Moritz akzeptiert. Inzwischen ist er Tierarzt und arbeitet in einer Klinik bei Augsburg.

Seit fünf Jahren nimmt Gerstenberger jetzt Hormone. Seine Stimme ist tiefer geworden, seine Gesichtszüge haben sich verändert, ihm wächst ein Bart. Seine Brüste hat er wegoperieren lassen. "Das Fett verteilt sich von der Hüfte zum Bauch", sagt er und lacht. Gerstenberger ist klein und schlank. So wie Transfrauen große Frauen seien, sei er eben ein kleiner Mann sagt er lapidar. Nicht nur äußerlich verändert er sich: "Männer denken anders als Frauen, ich nehme mir vieles nicht mehr so zu Herzen." Ein Frauenversteher sei er nicht, weil er sie noch nie verstanden habe. Inzwischen lebt er mit einem Mann zusammen. "Das ist ein bisschen verrückt bei mir. Als Frau habe ich mir eine Partnerschaft mit einem Mann nicht vorstellen können, jetzt schon."

Um anderen Transsexuellen helfen zu können, hat er mit einem Freund die Jugendgruppe FrienTS gegründet. Sie nutzen die Räumlichkeiten des Diversity Jugendzentrums. Jeden Monat treffen sie sich an einem Samstag, damit auch Transsexuelle von außerhalb teilnehmen können. "Wir sind keine Selbsthilfegruppe, wir sind eine Freizeitgruppe. Es geht uns darum, den Jugendlichen einen geschützten Raum zu geben, in dem sie verstanden werden", erklärt Gerstenberger.

Sie gehen grillen, Fußball spielen oder in die Kneipe, manchmal bleiben die jungen Transsexuellen einfach auch im Jugendzentrum. In den Pfingstferien fahren sie vier Tage zusammen nach Morsbach. "Da kommen um die 70 Leute mit", sagt Gerstenberger nicht ohne Stolz. Auch wenn er selbst in seinem Körper angekommen ist, nimmt das Thema nach wie vor viel Platz in seinem Alltag ein. "Ich helfe, weil mir es auch geholfen hat, mich austauschen zu können", sagt er.

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