Transplantationen im Klinikum Großhadern:"Natürlich wurde dort manipuliert"

Kompetenzzentrum für Thoraxchirurgie

Nach welchen Kriterien geht es, wenn Ärzte eine Herztransplantation vornehmen? Das Klinikum Großhadern tut sich mit den Antworten schwer.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)
  • Das Klinikum Großhadern weist weiterhin alle Vorwürfe zurück: Es soll keine Manipulation bei Transplantationen gegeben haben.
  • Nun kommen derartige Vorwürfe zum ersten Mal von einem Patienten.
  • Der herzkranke 40-Jährige berichtet von seltsamen Angeboten von Ärzten und gestellten Situationen auf der Intensivstation.

Von Christina Berndt

Im Skandal um Herztransplantationen gerät das Klinikum Großhadern unter stärkeren Druck. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) hat das Klinikum der Universität München jüngst aufgefordert, seine Verteidigung endlich aufzugeben. Auch ein Patient erhebt nun schwere Vorwürfe: Ärzte aus Großhadern und dem angegliederten Krankenhaus Neuwittelsbach hätten ihm angeboten, seinen Gesundheitszustand gegenüber der Organvermittlungsstelle Eurotransplant zu dramatisieren, um ihm schneller ein Spenderherz zu verschaffen, versichert der 40-jährige Friedrich Müller (Name geändert). E-Mails belegen dies. Er würde sich "etwas einfallen lassen", schreibt darin ein Arzt. Müller müsse nur sagen, wann er bereit sei.

Nachdem seit 2012 fünf Unikliniken Unregelmäßigkeiten bei Lebertransplantationen vorgeworfen worden waren, weitete sich jüngst der Skandal um Herztransplantationen aus: Von diesem ist neben dem Deutschen Herzzentrum Berlin und dem Uniklinikum Heidelberg auch Großhadern betroffen.

Wie München alles abstreitet

Doch während Berlin und Heidelberg Manipulationen einräumen, streitet Großhadern dies ab: Die Patienten seien nach dem neuesten Stand der Wissenschaft behandelt worden, der in den veralteten Richtlinien für Herztransplantationen nicht abgebildet werde, so der Ärztliche Direktor, Karl-Walter Jauch.

Mit dieser Argumentation gerät das Klinikum nun zunehmend in die Isolation. Während des vor kurzem zu Ende gegangenen Kongresses der DTG in Dresden hat deren Ethikkommission deutliche Worte formuliert. "Mit großer Sorge" nehme man die Begründungen aus Großhadern zur Kenntnis, "da sie nahezu jeder Evidenz entbehren und auf teilweise populistisches Niveau reduziert sind."

Wenn Ärzte neue Verfahren für sinnvoll halten, die den Transplantations-Richtlinien widersprechen, dann könnten sie schließlich Ausnahmeanträge stellen und dafür sorgen, dass die Richtlinien langfristig geändert werden, so die DTG. Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen der Großhaderner Herzen ausgeweitet. Sie richten sich nun gegen zwei Herzspezialisten, von denen einer nicht mehr in München arbeitet. Dass es um Geld gegangen ist, gilt als unwahrscheinlich.

Was ein HU-Patient ist

Die Vorwürfe gegen Großhadern bestätigt mit Friedrich Müller nun erstmals auch ein Patient. "Ich kann mir diese Ausreden nicht länger anhören", sagt er, "natürlich wurde dort manipuliert." Der schwer herzkranke Mann hat bis heute kein Spenderherz bekommen, weil er - wie er sagt - bei den Schiebereien nicht mitmachen wollte. "Die Sache muss ans Tageslicht", sagt er. "Es gibt Tote, die noch leben könnten, wenn es gerecht zugegangen wäre, und es gibt Menschen, die etwas in sich tragen, was ihnen nicht zustand."

95 Herzen

95 Herzen wurden am Klinikum Großhadern zwischen 2010 und 2012 transplantiert. Bei mindestens 17 Patienten sei "bewusst und gewollt" gegen die Richtlinien für Herztransplantationen verstoßen worden, heißt es in einem Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK), welche die Transplantationszentren kontrolliert. Diese Patienten seien auf der Warteliste bevorzugt worden. Auch in Berlin und Heidelberg hat die PÜK größere Unregelmäßigkeiten bei Herztransplantationen entdeckt. Im Gegensatz zu diesen beiden Zentren bestreitet Großhadern die Vorwürfe. bern

Üblicherweise hat ein herzkranker Patient erst dann eine Chance auf ein Spenderorgan, wenn eine Transplantation als "hochdringlich" gilt (HU, für "high urgency"). Dann bekommt er "vorrangig vor allen anderen Patienten" ein Herz, wie es in den Richtlinien heißt. Dazu muss sein Zustand aber "akut lebensbedrohlich" sein: Er muss auf der Intensivstation liegen und sich auch durch hohe Dosen herzstärkender Medikamente nicht stabilisieren lassen.

In Großhadern und Neuwittelsbach aber hätten Patienten solche Medikamente nur erhalten, um einen HU-Status vorzutäuschen, heißt es in einem Bericht der für die Kontrolle der Transplantationsmedizin zuständigen Kommission. Die Patienten hätten die Medikamente gar nicht gebraucht, manche hätten sie nur alle acht Wochen bekommen - immer wenn eine neue HU-Listung fällig war.

Welche Vorwürfe ein Patient erhebt

Friedrich Müller erzählt Ähnliches. Seit fast zehn Jahren schon leidet er unter Herzschwäche. Oft fällt ihm das Atmen schwer. Doch auf der Intensivstation war Müller nicht, als Ärzte ihm anboten, ihn als hochdringlichen Fall zu melden. "Ich fürchte ja, dass Ihr Herz weiterhin ,zu gut' für HU sein wird. Aber für Sie würde ich versuchen, mir etwas einfallen zu lassen", schrieb ihm ein Großhaderner Arzt Anfang 2008.

Die HU-Listung klingt in den Mails des Arztes nach einem Wunschkonzert. Ob er lieber nach Neuwittelsbach oder Neuperlach möchte und wann er mit der Wartezeit auf der Intensivstation beginnen wolle? "Das können wir dann besser berücksichtigen", heißt es im Februar 2011. Und im Dezember 2010 erklärt der Arzt: "Leider gilt nach wie vor die intensivmedizinische Behandlung als Voraussetzung für eine Dringlichkeitslistung. Sagen Sie uns einen Termin und wir kümmern uns um einen zeitnahen Platz in einer ,Warteklinik'." Nach einem Zustand, in dem akut das Ableben droht, klingt das jedenfalls nicht.

Im Sommer 2014 lag Müller tatsächlich wegen akuter Gesundheitsprobleme im Krankenhaus Neuwittelsbach. "Die HU-Patienten liefen da gemütlich rum", erzählt er, und seine Frau ergänzt: "Sie sahen richtig fit aus. Sie trugen keine Kabel und liefen ohne Stütze, trugen ihre Essen-Tabletts selbst raus." Einer habe sich sogar eine Stange für Klimmzüge anbringen lassen. Müller dagegen war so schwach, dass er "keinen Schritt mehr alleine gehen" konnte, wie er sagt. "Ich konnte mich nicht mal im Bett aufsetzen."

Wie die Listung nach Müllers Angaben vorgetäuscht werden sollte

Dass ihm eine HU-Listung trotz relativ stabilen Gesundheitszustands angeboten wurde, legt auch ein Arztbrief vom 2. Oktober 2013 nahe: "Von einer HU-Listung wird aktuell auf Wunsch von Hr. (Müller) abgesehen." Entlassen wurde Müller dann aber "in stabilem Allgemeinzustand" - ohne herzstärkende Medikamente. Wunsch des Patienten hin oder her: Eine HU-Listung wäre also ohne Manipulation wohl kaum möglich gewesen.

Eine besonders bizarre Situation hat sich nach Müllers Angaben vor fast zehn Jahren ereignet: Schon damals hatten ihn seine Ärzte von einer Transplantation überzeugen wollen, wie Müller sagt. Als er eines Tages zustimmte, wurden "mit einem Mal" Geräte in sein Krankenzimmer geschoben. "Plötzlich lag ich in einer Art Intensivzimmer. Ein EKG wurde geschrieben, ein Tropf wurde angehängt", erzählt er.

Da bekam er plötzlich Angst: "Ihr wollt mir doch keine Katecholamine geben?", fragte er unsicher. Ärzte hatten ihm immer gesagt, dass solche Medikamente ihm mehr schaden als nützen würden. "Nein, da ist nur Salzlösung drin", habe eine der Krankenschwestern zu seiner Überraschung erwidert. "Wir schreiben nur auf, dass es das Medikament ist." In dem Moment war Müller klar: "Das darfst du nicht!" Er wollte keine Transplantation mehr. "Dann wurden die Monitore wieder aus dem Zimmer getragen und der Tropf mit den ach so lebenswichtigen Medikamenten abgenommen", berichtet er.

Wie das Klinikum auf die Vorwürfe reagiert

Das Klinikum Großhadern weist die Vorwürfe des Patienten zurück. "Mir ist kein Fall bekannt, wo Ärzte in Großhadern oder Neuwittelsbach für Patienten einen HU-Antrag an Eurotransplant gestellt hätten, die nicht auf der Intensivstation lagen", betont der Ärztliche Direktor Karl-Walter Jauch. Bei allen HU-Patienten habe es eine klare Indikation zur HU-Listung gegeben. Es sei lediglich "vorstellbar dass Ärzte Patienten in deren eigenen Sinne zu sinnvollen, aber schweren Entscheidungen zu motivieren versuchten."

Dabei hätten "einzelne Mitarbeiter" offenbar in dem Wunsch zu helfen "unüberlegt und missverständlich" formuliert. Gewiss dürfe kein HU-gelisteter Patient die Intensivstation zwischendurch verlassen, betonen Großhadern und Neuwittelsbach unisono. Eine Klimmstange sei absurd, und Bewegung auf dem Gang nur "in einem äußerst begrenzten und kontrollierten Maße" möglich. Die Szene mit der Salzlösung weist Jauch besonders vehement zurück. "Das Szenario kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen", sagt er. "Wenn das so passiert wäre, hätte eine ganze Station konspirativ etwas inszenieren müssen." Friedrich Müller hingegen bringt Zeugen für seine Vorwürfe mit: Seine Tante, sein Vater, seine Ehefrau waren in den geschilderten Situationen jeweils anwesend.

Es wäre jedenfalls nicht der erste Fall von Konspiration bei Herztransplantationen: Schon vor einigen Jahren fielen mehrere deutsche Kliniken auf, bei denen angeblich hochdringliche Patienten eben nicht auf der Intensivstation lagen. Manche warteten sogar zu Hause auf ihr Herz. Müller treibt die Sorge um, dass er als Patient in Herzkliniken bald nicht mehr willkommen ist. Schließlich ist er als schwerst herzkranker Patient regelmäßig auf ärztliche Hilfe angewiesen. "Die Sache muss trotzdem an die Öffentlichkeit", sagt er. "Das bin ich meinem Gewissen schuldig."

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