Traditionslokale:Der Charme des Stillstands

Nostalgische Cafés und eine einst berühmte Bar - eine Reise in die Vergangenheit.

Andrea Surkus

Wo findet man heute noch "Kaffee Diplomat", Sie wissen schon, den mit Eierlikör und Sahne, diesen Inbegriff wirtschaftswunderbarer Behaglichkeit?

Traditionslokale: Mädchenhaft mit Mitte 80: Irmin Bunjes im Café Jasmin

Mädchenhaft mit Mitte 80: Irmin Bunjes im Café Jasmin

(Foto: Catherina Hess)

Wird dem Toast Hawaii, jener exquisiten Komposition aus zwei Brotscheiben, Schinken, Schmelzkäse und einer Scheibe Ananas, auf irgendeiner Speisekarte die Würdigung zuteil, die ihm gebührt? Und wer, bitte, besingt sie noch, die Unschuld der eingelegten Cocktailkirsche am Stiel?

Das Tor in die Vergangenheit und ihre Genüsse schwingt an der Augustenstraße auf, eine verhangene Glastür mit dem Schriftzug Café Jasmin, und gibt den Blick frei auf goldmattierte Wände, eine Fünfziger-Jahre-Bar aus altweißem Leder mit Goldknöpfen sowie Sessel aus grünem Samt.

In denen sitzen vereinzelt Damen vor ihrer Torte, die sich Fragen nach dem Alter kokett verbitten. Eine kleine, gebückte Gestalt im weiß glänzenden Häkelpulli - Irmin Bunjes, mädchenhaft mit Mitte 80 - durchmisst winzigen Schrittes ihr Reich, ein hauchdünnes Glas in Händen, und zwitschert: "Hier, Ihr Likörchen!"

Nur ganz fern hört man noch die Jetztzeit brummen in diesem Kokon aus Raffgardinen. "Ich kenn' sie alle, weiß, der will Sahne auf den Kuchen, der andere nicht", sagt Irmin Bunjes und lächelt.

Isetta und Volksempfänger

Versonnen streicht sie über die stromlinienförmige Bar, in deren Kühlvitrine Torten warten. Die Kaffeemaschine "President", vom Design her eine Kreuzung aus Isetta und Volksempfänger, blubbert. "In den fünfziger Jahren gab es keinen Cocktail, den wir nicht hatten.

Die Gäste kamen in Abendgarderobe nach der Oper oder dem Theater, um ihren Drink zu nehmen. Das war damals vornehm, sehr schön!", schwärmt sie. Damals, als das Café Jasmin bis Mitternacht geöffnet hatte und nicht nur bis halb acht und Pärchen den Teppich rausschafften, um zur Musik der Drei-Mann-Kapelle zu tanzen.

"Ein schicker Kellner im Smoking schob den Servierwagen von Tisch zu Tisch. Er hat die Cocktails gemixt und am Tisch flambiert. Das war eine Schau!" Irmin Bunjes spitzt entzückt die hellrot geschminkten Lippen.

Ihr Blick schweift über die Messingspiegel - von ihr selbst entworfen für das Ur-Café Jasmin, das sie mit ihrem Mann 1948 in einem flachen Behelfsbau neben dem Künstlerhaus am Lenbachplatz eröffnete. Ein Café, das zugleich Münchens einziges Tonstudio war.

"Da pressten deutsche Eiskunstläufer Platten für ihre Kür, und amerikanische Offiziere, die im Künstlerhaus einquartiert waren, besprachen Scheiben für ihre Familien." Nach dem Abriss zog man 1955 in die Augustenstraße - samt Bar und Cocktailkarten.

Unter der Theke hütet Irmin Bunjes noch eine davon, auf der zwischen den Flecken von Jahrzehnten außer Martini Cocktail, White Lady, Gin Fizz, Tom Collins ("wie Gin Fizz mit Kirsche und Zuckerrand") und Prärie Auster ("mit 1 Schuss Catchup") auch ein geheimnisvoller Jasmin Cocktail zu entziffern ist.

Als Männer noch charmant waren

"Heute werden Mixgetränke nicht mehr verlangt. Die Leute waren damals anspruchsvoller." Und die Männer so viel charmanter und stattlicher! "Der Orson Welles war viel bei uns, der Julio Iglesias auch - ich hab schöne Aufnahmen mit ihm. Die Männer hatten eine andere Wesensart. Sie haben einem die Tür aufgehalten und den Einkauf reingetragen."

"Sie dürfen nie was ändern!", bitten die Gäste und kehren immer wieder - wenn es im Café Jasmin auch ruhiger geworden ist, seit hier keine Straßenbahn mehr hält.

Studenten kommen, Filmleute auf Inspirationssuche, aber noch mehr ältere Frauen, um eierlikörselig Irmin Bunjes' "Oldtimern", etwa Bill Ramseys Souvenirs, zu lauschen. Den Zigarettenrauch schrubbt die 85-Jährige immer im Frühjahr von der Goldwand, die Erinnerungen nicht.

Viele Stammgäste sind ihr weggestorben. Wer aus der Nachbarschaft nicht mehr mobil ist, den versorgt sie mit allem, was die kleine Karte bietet: Strammer Max, Hühnerfrikassee, Gulaschsuppe, Schinkenbrot, Hawaiitoast, Piccolo, Kaffee Diplomat, Vanilleeis mit Eierlikör ...

Später wird sie ihre einzige Serviererin Elli - 67 und seit 45 Jahren der "Hausgeist" - mit Kuchen ins Pelzgeschäft gegenüber schicken.

Auf der Suche nach dem Götterdotter führt der Weg weiter an den Johannisplatz im Dorf Haidhausen zur nicht ganz so eleganten Kultkneipe Johannis-Café. Denn, wie von Olaf Schmidt, dem Wirt seit 1991, zu erfahren ist: "Nichts ist bei uns so beliebt wie Eierlikör."

Das liegt, vermutet nicht nur er, vor allem an der scheußlich-schönen, ziemlich verrauchten Fototapete: Bergsee, Gipfel und Wipfel vor zahnpastablauem Himmel, umrankt von einer Kunsttannenzweig-Girlande.

Elvis überm Lüster

Bei dem Anblick kann man gar nicht anders: Eierlikör, am besten noch mit Limo zum legendären Blonden Engel veredelt!

Das Café gibt es seit 1925, und Schmidts Vorgängerin Balbina Wohlmuth, die es 1955 übernahm, richtete es so ein, wie es sich die wild gemischte Gästeschar heute noch lobt: Rot bezogene Fünfziger-Jahre-Stühle, Lüster, Kuchentheke; im Eck hängt der junge Elvis, über der Musicbox der Papst, wie er 1978 ausgesehen hat. Die Uhren stehen konsequent auf Winterzeit.

Als Fototapeten Ende der Sechziger schick wurden, erstand Balbina das Motiv "Palme vor Sonnenuntergang", das Jahre später durchs namenlose Gebirgs-Idyll abgelöst wurde. So kam das Johannis-Café zu seinem liebsten Zankapfel: "Watzmann oder was?"

Dem Spekulieren macht Olaf Schmidt, 38, gern mit der charmanten Behauptung ein Ende: "Das ist das Matterhorn von der italienischen Seite her gesehen." Er weiß es zwar selber nicht, "aber dann ist Ruhe".

Und die Gäste, die hier zum Beispiel Gog Seidel, Sir Alfred, Erich Hallhuber oder Drei-Finger-Eddie heißen, widmen sich wieder dem Schafkopfen, dem Komponieren, dem Schnitzel, der Zeitung und dem Sinnieren über die Vergänglichkeit.

Bei Letzterem ist übrigens unbedingt zu beachten, sich auf der Lederbank direkt unter den Berg zu setzen: Dann kann man in einem Spiegel, der hoch auf der gegenüberliegenden Wand hängt, genau dem Berggipfel zuprosten. Sowas ist wichtig beim Philosophieren.

Wären Tränen aus Gold, singt Marianne Rosenberg. Die Rumbombe schmeckt. Das Café bleibt, wie es ist. "Die Gäste fühlen sich wohl wie bei Oma, das ist das Geheimnis", weiß Schmidt.

Im psychedischen Strudel

Dass die Zeit stehen geblieben ist, wurde ihm mal wieder klar, als dieses Paar aus Australien kam, das sich in den Sechzigern im Johannis-Café stürmisch verliebt hatte - beide damals um die 20. "Nach der Hochzeit sind sie ausgewandert. Letztes Jahr kamen sie auf Urlaub und schlugen die Hände überm Kopf zusammen: ,Das gibt's ja nicht - das sieht ja noch genauso aus!'"

Lasst diesen Tag die Cocktailkirsche krönen! Durchgekämpft durchs Hauptbahnhofsgewimmel, hinein ins IC-Hotel an der Bayerstraße und die Lobby durchquert.

Kaum passiert man die schmiedeeisernen Schiebetüren, steht man schon mitten in der Orange Bar - und stürzt in einen psychedelischen Strudel aus orangefarbenen Vorhängen, orangefarbenen Sofas und einer mit orangefarbenem Leder bezogenen Bar, vor der sich wie fette Pilze acht Hocker von 1951 drehen.

Damals wurde die winzige American Bar mit dem ganzen "Bundesbahn-Hotel", wie es da noch hieß, eröffnet.

400.000 Menschen sollen sich am Tag im Bahnhof drängen? Abfahrende Züge, Pfiffe, Geschrei? Hier drinnen, wohlig geschmiegt in den knautschigen Clubsessel, hört man nur den Bossa Nova.

Barmann Peter Stern - seinen Frack ziert eine orangefarbene Fliege - mixt eine White Lady dazu: "Selbstverständlich, gnä' Frau!" Auch wenn die Fifties-Bar heute bei Medien- und Geschäftsleuten, Durchreisenden und Verliebten hoch im Kurs steht - die großen Berühmtheiten steigen nicht mehr ab.

Ganz anders vor 40 und 50 Jahren, als es im Hotel noch Filmpremieren mit rotem Teppich gab, die bayerischen Bühnen ihren Hausball hier feierten und sich Gerd Fröbe, Ingrid Bergman, Marika Rökk und Heinz Rühmann im Gästebuch verewigten.

Zarahs Zuhause

Johannes Mario Simmel schrieb zwar später im Leder-Eck an der Orange-Bar-Theke seinen Roman "Es muss nicht immer Kaviar sein", doch vor allem ein Stammgast spukt noch im Hotel: Zarah Leander, ehemaliger Ufa-Star.

Wenn die Schwedin nach einem Konzert im Deutschen Theater mit ihrem Pianisten und Lebensgefährten rüberkam, hatte Barkeeper Herbert Kunze schon auf Tisch zwo den Sektkühler mit der Flasche Wodka Moskovskaya bereitgestellt und einen Teller Matjesheringe.

"Sie hat ganz gut gegurgelt, die Gute", wie Kunze dem heutigen Hotelchef Conrad Mayer flüsterte. Der war damals noch ein Kind, das am liebsten "über den roten Teppich sauste" und aus nächster Nähe die Filmschauspielerinnen anschwärmte. "1967, ich war neun, sah ich Zarah Leanders Film ,Es war eine rauschende Ballnacht'", sagt er.

"Ich fand sie wunderbar! Als es hieß, sie steigt im Hotel ab, und sie dann eine Flasche Champagner auf dem Zimmer haben wollte, ging ich mit dem Kellner mit." Er schaudert ob der Erinnerung.

"Sie macht die Tür auf - und steht mit Lockenwicklern und ungefähr 28 Jahre älter in großem Nachthemd da. Da war der Traum vorbei und ich hab mich in Grace Kelly verliebt."

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