Tödlicher Unfall in Kletterhalle:Sicherheit gibt nur der Partner

DAV Kletterzentrum in München, 2011

In dieser Halle des DAV-Kletterzentrums ist eine Frau beim Ablassen am Seil tödlich verunglückt.

(Foto: Claus Schunk)

Brauchen Besucher von Kletterhallen künftig einen Kletterschein? Diese Frage wird nach dem tödlichen Absturz einer Frau diskutiert. Doch die Verantwortlichen beim Deutschen Alpenverein halten nicht viel von der Idee.

Von Isabel Meixner

Am Tag drei nach dem tödlichen Sturz einer 45-Jährigen ist alles wie immer im Kletterzentrum Thalkirchen: Ein paar Kletterer üben an den bunten Griffen, lassen sich abseilen, fachsimpeln darüber, wie eine Route am besten zu bezwingen ist. Bilder am Boden warnen vor Fehlern, die leicht passieren und die schlimme Folgen haben können.

Wie am Sonntag, als sich das Sicherungsseil vom Gurt einer Frau löste und sie vor den Augen ihres Mannes 13 Meter in die Tiefe stürzte. Die Münchnerin soll den Knoten nicht richtig an ihrem Gurt angebracht haben, heißt es. Ein Fehler, der nicht geschehen wäre, wenn die Kletterkenntnisse der Besucher kontrolliert würden?

Bisher gilt in der Kletterhalle: Wer zahlt, kommt rein

Thomas Bucher, Pressesprecher beim Deutschen Alpenvereins (DAV), widerspricht: "Der Unfall ist nicht etwa passiert, weil die Frau schlecht ausgebildet oder unerfahren war." Bei der Frau habe es sich vielmehr um eine erfahrene Kletterin gehandelt. Auch Markus Wiedemann von der Firma Orgasport, die das DAV-Kletterzentrum in Thalkirchen betreibt, sagt: "Einen solchen Unfall würde man nicht verhindern mit solchen Maßnahmen." An der Einlasspraxis werde man daher nichts ändern. Bisher gilt: Wer zahlt, kommt hinein. Das Thekenpersonal sei angehalten, Kletterern beim ersten Besuch fachliche Fragen zu stellen, um herauszufinden, ob sie über das nötige Wissen verfügen, sagt Bucher. Gemacht wird das aber nur unzuverlässig.

In einem Punkt möchte der DAV aber auf den tödlichen Unfall reagieren: Er will mit Plakaten, Flyern und im Internet vermehrt zum Partner-Check auffordern. Dabei kontrollieren sich die Kletterpartner gegenseitig, ob die Knoten richtig gemacht sind und der Hüftgurt sitzt. Das, vermutet Bucher, hätte den Unfall am Sonntag verhindern können. Schon jetzt weisen Hinweisschilder in Thalkirchen auf die gegenseitige Kontrolle hin, aber: "Wir werden diese Kampagne intensivieren müssen."

In den vergangenen Jahren hat der DAV in einer für die Kletterhallen zuständigen ehrenamtlichen Kommission immer wieder darüber diskutiert, ob Besucher nur in die Hallen dürfen, wenn sie etwa einen Kletterschein vorlegen. Das Thema sei unter Experten sehr umstritten, sagt Bucher. Für Stefan Winter, Ressortleiter Breitenbergsport beim DAV, ist das kein probates Mittel: Wissenschaftliche Studien hätten ergeben, dass Fehler unabhängig von Alter, Geschlecht, Schwierigkeitsgrad und Ausbildung passierten. Winter betont, dass Klettern nicht so gefährlich sei, wie es manchmal wahrgenommen werde.

In Deutschland gebe es inzwischen 500 000 Kletterer. "Wenn ich mir da die Unfallzahlen anschaue, liegen wir absolut im Promillebereich." Winter verweist auf die Unfallstatistik, die der DAV seit 2012 für seine 31 größten Hallen, darunter auch Thalkirchen, führt: Darin werden 161 Unfälle für 2012 und 2013 gelistet, bei denen ein Krankenwagen gerufen wurde.

Klettern liegt von der Gefahr her hinter Fußball

Auch Markus Wiedemann betont: "Klettern liegt von der Gefahr her hinter Fußball und anderen Sportarten." Dass beim Eintritt ein Kletterschein vorgelegt oder ein Kursbesuch nachgewiesen werden müsse, hält Winter allein aus praktischen Gründen für nicht realisierbar: "Wo sollen die 500 000 den Schein machen?" Benjamin Plahl, Geschäftsführer der privaten Kletterhalle Heaven's Gate am Ostbahnhof, glaubt, dass ein Nachweis Fehler nicht verhindern kann.

Dort müssen Kletterer unterschreiben, dass sie über die nötigen Kenntnisse verfügen; wenn nicht, dürfen sie nicht in die Halle. Im Heaven's Gate hatte sich im Frühjahr 2008 der letzte tödliche Kletterunfall in München ereignet. Ein neunjähriges Mädchen war damals abgestürzt. Unfallursache auch in diesem Fall: vermutlich ein falsch geknüpfter Knoten.

Klettern ist mittlerweile ein Breitensport

Im Kletterzentrum Thalkirchen, das mit einer Gesamtfläche von 6540 Quadratmetern und 550 verschiedenen Routen das weltweit größte ist, klettern täglich 750 bis 800 Menschen. Einen tödlichen Unfall gab es dort bis zum Sonntag nicht, zuletzt verletzten sich im März und April zwei Männer bei Stürzen. Der Grund für diese Unfälle war allem Anschein nach falsches Sichern durch den Partner am Boden.

Thomas Bucher erwartet, dass das Thema Sicherheit in Kletterhallen die DAV-Kommission in nächster Zeit weiter beschäftigen wird: "Das Klettern ist mittlerweile ein Breitensport." Sogar an Schulen wird es seit 1995 angeboten. Mit der Masse aber kämen natürlich auch Menschen, die nicht so erfahren seien. "Wir müssen uns fragen, ob wir die Standards in den Kletterhallen vereinheitlichen können." Derzeit kann jede Sektion selbst bestimmen, ob sie Nachweise für die Klettererfahrung der Besucher fordert oder nicht. Die meisten folgen aber der Empfehlung des DAV, darauf zu verzichten. "Die Diskussion wird kommen", glaubt Bucher. Er hofft, dass mit mehr Aufklärungsarbeit Fehler wie der, der am Sonntag zum tödlichen Sturz der 45-jährigen Frau geführt haben, "zu 99,9 Prozent" verhindert werden: "100 Prozent ist nicht möglich."

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