Tod einer Prostituierten:Im Labyrinth der Triebe

Mitten im ,,Las Vegas'' an der Bayerstraße stirbt eine tschechische Prostituierte: Ein trauriger Ort am Ende eines traurigen Lebens.

Michael Tibudd und Susi Wimmer

Die Bestellung wird sie in unmittelbare Nähe des Tatorts führen. Fünf mal Cola soll die Bardame ins Erdgeschoss bringen, in einen Raum bei den Videokabinen. Sie öffnet den Kühlschrank, nimmt fünf Flaschen heraus und stellt sie auf ein rundes Tablett.

Tod einer Prostituierten: Die Treppe ins Erdgeschoss des Zockerladens Las Vegas.

Die Treppe ins Erdgeschoss des Zockerladens Las Vegas.

(Foto: Foto: Rumpf)

"Soll ich mitkommen?'', fragt die junge Frau auf der anderen Seite der Theke. "Es könnte ja sonst gefährlich werden.'' Beide Frauen lachen. Die Barfrau sagt, sie schafft das auch allein. Sie nimmt das Tablett und verschwindet nach unten. Die andere nimmt sich eine Boulevardzeitung vom Tisch gegenüber, blättert ein wenig darin und trinkt Tee.

Was am vergangenen Dienstagabend passiert ist, ist auch am Freitag um die Mittagszeit gegenwärtig in der Spielothek Las Vegas in der Bayerstraße. Eine 26-jährige tschechische Prostituierte lag an jenem Abend plötzlich tot in Videokabine 19, nachdem sie drei Freier dorthin mitgenommen hatte.

Die Polizei geht nicht von einem Gewaltverbrechen aus. Wohl deswegen gehen die zwei Frauen so locker mit der Situation um. "Ich weiß nur, dass die heroinsüchtig war'', sagt die junge Frau, die ihr langes schwarzes Haar offen trägt, körperbetonte, aber dezente Kleider anhat und sich ansonsten eine Freundin der Frau an der Bar nennt.

Die drei Verschwundenen

Tatsächlich weiß die Polizei bislang vom Leben der Prostituierten Jaroslava T. noch wenig: Sie wuchs in Marianske Lazne auf, in Marienbad, der 14 000-Einwohner großen Stadt im westlichen Tschechien, die als weltbekannter Kurort mit Heilquellen auf ausländische Gäste setzt.

Vor einem halben Jahr meldete sich die 26-Jährige offiziell in München an. Im September 2006 fiel sie auf einen Scheinfreier der Polizei herein und wurde wegen illegaler Prostitution im Bahnhofsviertel angezeigt.

Im Labyrinth der Triebe

Einen Beruf gab sie damals nicht an. "Bis die Informationen der Kollegen aus Tschechien kommen, wird es wohl noch dauern'', meint Polizeisprecher Damian Kania. Auch müsse man noch auf das ausführliche Obduktionsergebnis warten. Bis jetzt ist nur klar:

Die Frau hatte an diesem Dienstagabend 3,2 Promille Alkohol im Blut, die winzige Videokabine, in der sie innerhalb von 20 Minuten mit drei Männern Geschlechtsverkehr hatte, war stickig. Die Frau könnte also an Organversagen gestorben sein.

Äußere Gewaltanwendung gab es jedenfalls nicht, so die ersten Resultate. Die drei Männer, die mit der Frau in der Kabine waren und dringend als Zeugen gesucht werden, haben sich, wenig überraschend, nicht gemeldet.

Ein Meer von Männern

Die Theke im ersten Stock des Las Vegas ist so etwas wie eine Insel. Eine Insel der Ruhe, denn nirgendwo sonst ist es so still. Und eine Insel in einem Meer von Männern, denn nirgendwo sonst halten sich Frauen auf.

Zwei Eingänge führen hinein in diesen Ort des Spiels und der Lust. Oder dessen, was sich hier Spiel und Lust nennt. Neben dem direkten Weg durch die offene Tür des Las Vegas können auch Kunden des nebenan gelegenen Beate-Uhse-Sexladens ohne Umweg über die Straße die Videokabinen und die Zockautomaten benutzen.

Ein labyrinthischer Gang führt über viele Ecken von Spiel- zu Sexshop. Ohne trennende Tür, was die Zugehörigkeit undurchschaubar macht. Tatsächlich ist beim Kreisverwaltungsreferat die Beate Uhse Einzelhandels GmbH als Betreiber für beide Einrichtungen gemeldet.

Las-Vegas-Gründer Walter Staudinger tritt nach Angaben von KVR-Sprecher Christopher Habl seiner Spielhalle nur als Untermieter auf, die Videokabinen gehörten zur Uhse-Filiale.

Der Beate-Uhse-Laden hatte Dienstagabend geschlossen, als die Prostituierte ihre Freier mit in eine der Videokabinen zerrte. Ein Blick auf das Szenario im Las Vegas zeigt: Es muss nicht unglaubwürdig sein, dass sie das unbeobachtet tun konnte.

Vom Eingang aus sieht man zunächst nichts als Videospiel- und Zocker-Automaten. Aus allen Richtungen bauen sich das Fiepsen, Dröhnen, Zischen und Donnern der Geräte zu einer Lärmkulisse auf, die dem Ausdruck "Spielhölle'' mehr als gerecht wird.

"Länger Spaß haben"

Ein Flugsimulator steht neben einem für Autorennen, auch Ballerspiele gibt es, bei denen man mit Gewehren auf die Figuren auf dem Bildschirm zielt. Die Männer hier sind mit Höchstpunktzahlen und Bestzeiten beschäftigt.

Ein paar Meter weiter gilt die Konzentration dem Geld: An Automaten wie dem "Merkur Cash Fire'' oder einem im Fußball-Design mit dem Namen "World Cup'' sitzen die Zocker. Knopf drücken, Ergebnis abwarten, keine Regung zeigen, wieder Knopf drücken.

In ihrem Rücken Männer, die warten. Nach einem für Eingeweihte offenbar einleuchtenden System tauschen Spieler und Wartende hin und wieder Plätze, weitgehend wortlos. Überall strahlen Leuchtröhren ständig wechselnde Neon-Farbtöne aus. Etliche Spiegel multiplizieren diese Farb-Darbietung scheinbar ins Unendliche.

Hier im Labyrinth der Videokabinen starb die junge Tschechin. Die Kabinen haben unterschiedliche Standards. Neben modernen Exemplaren mit breiten roten Ledersitzen mit Flachbildschirm im 16:9-Format und einer sauberen Bedien-Tastatur gibt es auch die engere, etwas heruntergekommene Variante, in der der Kunde über einen abgegriffenen Joystick Optionen wie Vor, Zurück, Zeitlupe, Zeitraffer oder Standbild wählt.

Es gibt Kosmetiktücher und Abfalleimer, bezahlt wird mit Geldscheinen oder Rabatt-Kundenkarte, Werbespruch: "Reinstecken und länger Spaß haben.'' Auf dem Weg nach draußen steht ein DVD-Automat: Ein Gerät von dem Typ, aus dem sonst an Bahnhöfen Süßigkeiten verkauft werden, bietet hier Filme mit Titeln wie ,,Kaffeefahrt Vol.2'' (mit alten Frauen) für den Hausgebrauch an.

Es ist die dunkle Seite einer schönen Stadt, und nichts erinnert daran, dass hier vor wenigen Tagen ein Mensch gestorben ist.

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