Tierschützerin Birgitt Thiesmann:Einsatz für vier Pfoten

Tierschützerin, die gegen die osteuropäische Welpen-Mafia kämpft mit ihrem Hund: Birgitt Thiesmann Head of Competence Center Companion Animals VIER PFOTEN âē Stiftung für Tierschutz

Birgitt Thiesmann (hier mit ihrem Terriermischling Rudi) setzt sich gegen illegalen Tierhandel ein.

(Foto: Florian Peljak)
  • Birgitt Thiesmann arbeitet in München als Kampagnenleiterin für "Vier Pfoten", eine internationale Tierschutzstiftung.
  • Sie kämpft seit dem Jahr 2009 gegen die osteuropäische Welpen-Mafia.
  • Neben direkter Hilfe sind es die Kampagnen und die Lobbyarbeit, mit denen die Organisation die Rechte von Tieren durchsetzen will.

Von Helmut Zeller

Wer zu Birgitt Thiesmann will, muss zuerst an Rudi vorbei, und das ist gar nicht so einfach. Rudi hat eine ziemlich gute Nase. Der fünfjährige Terriermischling merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt. Manchmal geht er schon auf Verdacht los. Dann kann es einem ergehen wie neulich dem Vermieter, dem bei seiner überhasteten Flucht das Lächeln verging. Diesmal hat Rudi, der angefahren an einer Straße in Bukarest gefunden wurde, keine Einwände. Er hüpft auf den Schoß des Besuchers, legt sich auf den Rücken, streckt alle vier Pfoten in die Luft und lässt sich kraulen. Das sei, sagt Thiesmann, ein Gunstbeweis, auf den man stolz sein könne.

Birgitt Thiesmann ist übrigens kein Frauchen. Sie ist eine kluge, charmante Frau. Mit ihren langen blonden Haaren vermuten viele sie vielleicht eher beim Film oder in der Modebranche. Doch die 52-Jährige, die aus Nordrhein-Westfalen stammt, arbeitet in München als Kampagnenleiterin für "Vier Pfoten", eine internationale Tierschutzstiftung mit Hauptsitz in Wien. Thiesmanns Leben ist aufregend, fast schon ein Thriller, denn sie kämpft seit dem Jahr 2009 gegen die osteuropäische Welpen-Mafia. Das bedeutet: Gegen Kriminelle, die nicht weniger brutal vorgehen als Drogendealer oder Menschenhändler. Der illegale Handel mit Welpen ist ein Millionengeschäft. Vor allem aus Ungarn, Tschechien, Polen, Rumänien und der Slowakei gehen Hunderttausende Tiere nach Italien, Spanien, Deutschland oder den Niederlanden.

Viele verdienen an dem schmutzigen Geschäft

"Vier Pfoten"-Aktivisten durchleuchteten das Netzwerk: Vermehrer, wie zwielichtige Züchter genannt werden, Transporteure, Zwischenhändler, Verkäufer und korrupte Tierärzte verdienen an dem schmutzigen Geschäft mit Profitraten bis zu 500 Prozent. Durch einschlägige Internet-Foren weitet sich das Geschäft seit fünf Jahren über ganz Europa aus. In einem Fall führte die Spur zu einem Hundehändler mit Verbindungen zur neapolitanischen Mafia. Da zögerte auch Thiesmann, die sonst genug Risiken auf sich nimmt, um an Händler und Hintermänner heranzukommen.

Einsatz auf dem Markt in Słubice an der deutsch-polnischen Grenze: Tausende von Touristen kommen über die Oder. Birgitt Thiesmann und Rechtsanwalt Christopher Posch haben sich im Hotel verkabelt. Ein breites Klebeband an Hüfte und Rücken hält die Kabel für die versteckte Kamera der Aktivistin. "Komm, komm", lockt ein Anbieter. Der Welpe, ein Winzling, der nicht einmal stehen kann und noch blaue Augen hat, rührt Thiesmann so stark, dass sie fast in die Mitleidsfalle tappt und ihn kauft. Dann bemerkt sie die finsteren Gestalten, die sie und ihren Begleiter umkreisen und näherkommen. Da hilft nur noch ein Sprint zum Auto. Das neue Tierschutzgesetz in Polen ist eindeutig: Seit 2012 dürfen Hunde nicht mehr auf öffentlichen Plätzen verkauft werden. Die Polizei geht aber nicht allen Strafanzeigen nach.

Tritte und Fausthiebe

Nicht nur einmal wurde Birgitt Thiesmann mit Tritten und Faustschlägen traktiert. Aber die blauen Flecken schmerzen sie weniger als die Bilder, die sie nicht mehr vergessen kann. "Manchmal träume ich sogar davon", sagt sie. Zum Glück gibt es wenigstens Gregor. Der zwei Meter große Hüne ist so etwas wie Thiesmanns Agent in Polen. So einen wünschte sie sich für alle anderen Länder in Osteuropa. Die Morddrohungen der Welpen-Mafia erschrecken ihn nicht. "Dann sterbe ich eben für das, wofür ich lebe", sagt er. Seit mehr als einem Jahr hatte er einen Vermehrer im Visier. Gregor begleitet Thiesmann ins Inferno: "Unser Weg führte uns in den Wald. Endlos aneinandergereihte Steine machten ein Durchkommen auf der Piste fast unmöglich. Rechts und links nichts als dichtes Gestrüpp. Zentimeter für Zentimeter tasteten sich die Fahrer über das Hindernis."

Dann, nach einer Kurve, sieht die Aktivistin ein heruntergekommenes Anwesen. Sie erinnert sich: "Das giftige Gas, hervorgerufen durch Urin, Exkremente und mangelnde Belüftung, kratzt in Hals und Augen. In kaltem Neonlicht wimmeln Hunderte von Hunden. Sie bellen ohrenbetäubend, hüpfen an den Wänden ihrer Verschläge hoch oder ducken sich mit angstgeweiteten Augen in die Ecken. Hundemütter mit riesigem, entzündetem Gesäuge kauern kraftlos auf dem Boden. Um sie herum liegen tote Welpen und noch lebende." Zwei Welpen sterben vor den Augen der Aktivistin. Drei Mal pro Jahr zwingen die Vermehrer Hündinnen, Welpen zu gebären. Mit vier oder fünf Jahren werden sie ausgemustert und getötet oder für Tierversuche an Laboratorien verkauft und durch jüngere ersetzt. Die süßen Welpen sind in den meisten Fällen nicht geimpft, voller Würmer und Viren, kaum ernährt und verhaltensgestört, weil sie viel zu früh von der Mutter getrennt und in verdreckten Käfigen oder Verschlägen gehalten werden. Für die bis zu 2000 Kilometer langen Transportwege ohne Wasser und Futter werden sie medikamentös aufgepäppelt.

Ein todkranker Hund für Hunderte Euro

Die Käufer der Welpen wissen das in den allermeisten Fällen nicht - oder wollen es nicht wissen. Sie freuen sich über einen Rassehund mit gefälschten Papieren für nur 100 bis 500 Euro - bei einem seriösen Züchter würde das Tier 800 bis 1000 Euro kosten. Wenn die Wirkung der Medikamente nachlässt, hat der Besitzer einen todkranken Welpen zu Hause, der trotz teurer Behandlung durch einen Tierarzt nach wenigen Tagen qualvoll stirbt. "Eine EU-weite Pflicht zur Kennzeichnung und Registrierung für alle Hunde würde die Welpen, aber auch die Käufer schützen", erklärt Birgitt Thiesmann.

Mit der internationalen Kampagne gegen den illegalen Welpenhandel will "Vier Pfoten" die Bevölkerung aufklären und Politiker dafür gewinnen, europaweite Gesetze zum Schutz der Tiere zu erlassen. Eine zähe Angelegenheit. Bundestierärztekammer, Prominente, Tierärzte, Betroffene und andere unterstützen die Kampagne. Einen großen Erfolg kann Birgitt Thiesmann verbuchen: Nach jahrelangen Recherchen der Märkte in Ungarn, Polen, der Slowakei und Rumänien sowie der Vertriebswege in halb Europa sind, wie sie sagt, "die Türen zur Unterwelt der Hundemafia" geöffnet. "Endlich konnte ich die schrecklichen Zuchtbedingungen der Welpen dokumentieren, die unter falschen Angaben zu Tausenden auf Märkten und im Internet angeboten werden." Sie und andere Tierschutzaktivisten von "Vier Pfoten" haben 50 Orte in Europa unter die Lupe genommen und 30 internationale Handelsbeziehungen aufgedeckt.

Die Liebe zu den Tieren

Und sie selbst? Ganz ohne Folgen sind die Reisen ins Inferno nicht geblieben. "Ich versuche, meinen Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren", sagt sie. Aber es lacht sich nicht mehr so einfach. Doch sie macht weiter, recherchiert, schreibt Berichte, macht Interviews und spricht mit Politikern, führt internationale Fernsehteams in die Brennpunkte des Welpenhandels. Wie kommt jemand dazu? Das kann sie selbst nicht genau beantworten. Tiere mochte sie schon als Kind, las Mäuse oder kranke Vögel auf dem Heimweg von der Schule auf. Aber das allein ist es nicht.

Zunächst ging sie einen völlig anderen Weg, arbeitete als Fremdsprachenkorrespondentin, schrieb dann, von 1996 bis 2008, für Bravo Reportagen, darunter über Tiermissbrauch. Sie spielte auch mal die Kummerkasten-Tante der Zeitschrift. "Aber irgendwann musste damit Schluss sein. Man sollte nicht über die Gefühle von Jugendlichen schreiben, die einige Jahre jünger sind." Dann "Vier Pfoten", 1988 von Heli Dungler gegründet. Die Organisation setzt sich für viele Tiere ein: Streunerhunde und Streunerkatzen, Labor-, Nutz- und Heimtiere, aber auch Bären, Großkatzen und Orang-Utans aus nicht artgemäßer Haltung. Inzwischen gibt es Niederlassungen in Deutschland, Belgien, Bulgarien, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Rumänien, Schweiz, Südafrika, Ungarn und den USA.

Erfolg in Tschechien

Neben der direkten Hilfe sind es die Kampagnen und die Lobbyarbeit, mit denen die Organisation die Rechte von Tieren durchsetzen will. Verhaltensbiologen haben das Vorurteil, das Tieren Denken und Fühlen abspricht, längst erschüttert. Aber außerhalb der wissenschaftlichen Kreise ist das noch nicht so richtig angekommen. Schon gar nicht in der Politik. Politiker scheuen vor einem Engagement für den Tierschutz eher zurück, weil sie das nachsichtige Lächeln ihrer Parteifreunde fürchten. Aber bei der Tagung über den Welpen-Handel im tschechischen Senat hat Birgitt Thiesmann Erfolg - die Politiker reagieren beeindruckt. Mehr als in Brüssel, dort geht es kälter zu, wie sie sagt. Die tschechischen Politiker in Prag signalisieren nach Thiesmanns Vortrag Unterstützung für die "Vier-Pfoten"-Kampagne gegen die Welpen-Mafia. Das muss gefeiert werden. Die Jazz-Bar "blue light" liegt versteckt in einer Gasse nahe der Karlsbrücke. Hier trifft sich der Underground, vermischt mit ein paar wagemutigen Touristen; viele Ohrringe, lange Haare - Rock 'n' Roll bis vier Uhr am Morgen. Ein perfekter Tag. Fast, nur Rudi fehlt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: