Tierrettung:Katzenmilch für Eichhörnchen

Tierrettung: Viele Jungtiere entfernen sich zu weit vom Nest und finden dann nicht mehr nach Hause.

Viele Jungtiere entfernen sich zu weit vom Nest und finden dann nicht mehr nach Hause.

(Foto: Stephan Rumpf)

Was passiert mit Eichhörnchen, die von Krähen aus ihrer Höhle gestoßen werden? Die glücklichen unter ihnen werden von Sabine Gallenberger wieder aufgepäppelt.

Von Viktoria Großmann

Sabine Gallenberger hat in München den Verein Eichhörnchen Schutz e.V. gegründet. Seit zehn Jahren versorgt die 33-Jährige Wildtiere, viele davon in ihrer Wohnung. Rund um die Uhr ist sie erreichbar für Menschen, die ein verletztes oder hilfloses Eichhörnchen gefunden haben. Tierheime, Tierärzte, Feuerwehr und Polizei reichen ihre Adresse weiter. Sabine Gallenberger persönlich zu treffen, ist fast unmöglich. Beim ersten Gesprächsversuch geht die Mutter ans Telefon.

Gallenberger hat keine Hand frei, sie ist gerade mit einem neuen, ausgehungerten Baby-Eichhörnchen zur Tür herein gekommen.

SZ: Frau Gallenberger, bei Ihnen rufen Menschen an, denen Eichhörnchen nachlaufen?

Sabine Gallenberger: Ja. Die meisten Leute erschrecken sich, weil sie denken, das Eichhörnchen ist krank. Aber es hat einfach nur Hunger. Die ganz mutigen Tiere laufen dann zu Menschen oder versuchen, an ihnen hochzuklettern. Davor muss man keine Angst haben, Eichhörnchen übertragen keine Krankheiten, Tollwut bekommen sie sowieso nicht.

Also muss man das Eichhörnchen beherzt füttern?

Erst einmal streicheln, damit es sich beruhigt und Vertrauen fasst. Und ihm etwas zu trinken geben, mit einer kleinen Spritze oder Pipette. Wasser und Katzenmilch, keinesfalls Kuhmilch. Wenn Sie es transportieren müssen, dann am besten in einem Baumwollbeutel oder einem Karton, damit es nicht auskommt, Sie aber auch nicht zwickt. Auf gar keinen Fall jagen!

Tierrettung: Erste Eichhörnchen-Hilfe von Sabine Gallenberger: Streicheln, etwas zu trinken geben, aber keine Kuhmilch.

Erste Eichhörnchen-Hilfe von Sabine Gallenberger: Streicheln, etwas zu trinken geben, aber keine Kuhmilch.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wie kommt das denn, dass so ein Eichhörnchen in Not gerät?

Das sind meist Jungtiere, vielleicht sechs Wochen alt, die sich zu weit vom Nest entfernt haben und nicht mehr nach Hause finden, noch zu ungeschickt sind, um den Baum wieder hinauf zu laufen oder die ihre Mutter verloren haben. Es kommt auch vor, wie vergangene Woche, dass eine Familie nach dem Urlaub eine ganze Eichhörnchenfamilie auf dem Schrank findet.

Sind die Tiere denn so an die Zivilisation gewöhnt?

Nein, sie verlieren einfach ihren Lebensraum. Bäume werden gefällt, sie finden auch kaum Nistmaterial. Am liebsten wohnen sie aber in einer Baumhöhle und nicht in einem Nest. Dazu brauchen sie große Bäume, am besten alte Nadelbäume, in denen sie sich auch im Winter verstecken können. Die sind aber oft schon von Krähen bewohnt und die schmeißen die Eichhörnchen-Babys raus.

Warum Eichhörnchen keine Lobby haben

Eichhörnchen-Schutz ist nicht so bekannt wie zum Beispiel der für Igel. Fehlt den Eichhörnchen die Lobby?

Igel sind eben am Boden, die kann man leicht einsammeln, die laufen auch nicht weg. Eichhörnchen sind flink und eher unnahbar. Viele wissen fast nichts über Eichhörnchen, denken etwa, dass schwarze Eichhörnchen amerikanische sind.

Sind sie nicht?

Nein, die Tiere, die hier bei uns durch die Bäume springen, sind europäische Eichhörnchen, egal, ob sie hellrot, dunkelrot, braun, schwarz oder sehr selten auch grau sind. Ein rotes und ein schwarzes Eichhörnchen können auch Geschwister sein. Aber selbst Tierärzte kennen sich mit Eichhörnchen kaum aus.

Sie sind so gut wie gar nicht erforscht. Ich bin nicht vom Fach, ich habe Reiseverkehrskauffrau gelernt, aber ich kann mittlerweile ganz gute Diagnosen treffen. In diesem Jahr haben wir ungefähr 500 Eichhörnchen versorgt. Die Inventurliste steht noch bei 485, aber ich komme gerade nicht dazu, alles aufzuschreiben.

Sie führen Buch?

Na, sonst könnte ich ja alles behaupten. Jedes Tier wird registriert. Wir schreiben auf, wann es gefunden wurde und von wem, mit Adresse und Telefonnummer, und wir tragen auch ein, wenn eines stirbt.

Kommt das denn oft vor?

Manchmal sind die Eichhörnchen schon sehr krank, wenn sie hier ankommen. Manche sterben, manche müssen wir einschläfern lassen. Da können einem wirklich die Tränen kommen. Aber wenn soviel los ist wie dieses Jahr, bleibt noch nicht einmal Zeit, traurig zu sein.

Warum sind es dieses Jahr so viele?

Erst wurden im Frühjahr durch den Sturm Niklas viele Nester zerstört und Jungtiere aus den Baumkronen gefegt, dann folgte der zweite Wurf und nun wegen des langen, warmen Sommers der dritte. Zu tun haben wir eigentlich von Februar bis November. Und dann rufen die Leute ja auch noch wegen Fledermäusen, Siebenschläfern und Wildkaninchen an. Insgesamt bräuchten wir für Versorgung, Futter, Milch, Desinfizierung, Volieren und so weiter ungefähr 30 000 Euro im Jahr.

Und viele Hände.

Meine Mutter hilft mir und etwa 15 Ehrenamtliche, die sich besonders um die Betreuung kümmern und die Tiere bei sich aufnehmen und pflegen, bis wir sie auswildern können. Mein Vater steht oft für mich im Geschäft - ich habe einen kleinen Schreibwarenladen.

Auf Ihrer Homepage steht: "Der Kräfteverschleiß in der Eichhörnchenaufzucht ist enorm."

Ich schlafe selten mehr als fünf Stunden. Die Leute rufen auch spät abends noch an und die Tiere müssen gefüttert werden. Wir haben einige in Volieren in unserem Wohnzimmer, das schon lange kein Wohnzimmer mehr ist. Auch in meinem Laden habe ich oft ein paar ganz junge Eichhörnchen dabei, die rund um die Uhr betreut werden müssen.

Und wer betreut Sie?

(lacht) Ich habe fast keine Freunde mehr, außer im Tierschutz. Ich musste wohl zu oft kurzfristig Verabredungen absagen oder verschieben. Und das wegen eines Eichhörnchens, das verstehen nicht viele. Aus gesundheitlichen Gründen hätte ich schon längst aufhören müssen. Ich hatte seit Februar keinen einzigen freien Tag. Aber wenn ich nicht ans Telefon gehe, plagt mich das Gewissen.

Und wann haben Sie selbst Ihr erstes Eichhörnchen gefunden?

Ich habe noch nie ein Eichhörnchen gefunden. Ich komme ja auch gar nicht dazu. Entweder versorge ich gerade welche oder sitze im Auto oder bin auch mal im Laden. Unsere Nachbarin hat vor einigen Jahren ein verletztes Eichhörnchen im Garten gefunden und uns um Rat gefragt, weil sie wusste, dass wir eine tierliebe Familie sind.

Im Internet habe ich einen norddeutschen Verein gefunden, der uns beraten und dann gebeten hat, auch in Zukunft ab und zu ein Tier aufzuziehen. Es kamen dann zehn Eichhörnchen und im zweiten Jahr schon mehr als 100. Jetzt mache ich das seit bald zehn Jahren.

Dann wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben, als mit dem Eichhörnchen-Notruf immer weiter zu machen.

Wir sind im Gespräch mit der Stadt München, um von da finanzielle Unterstützung zu bekommen. Mein Wunsch ist, dass in Bayern eines Tages eine Wildtierauffangstation eingerichtet wird. In der möchte ich dann gern arbeiten.

Eichhörnchen

Eichhörnchen Schutz e.V. ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein und Mitglied im Deutschen Tierschutzbund. Im Jahr 2014 erhielt der Verein den bayerischen Tierschutzpreis. Wer helfen möchte, kann für 20 Euro im Jahr Mitglied werden oder eine Spende überweisen. Gesucht werden auch Menschen, die Platz für eine Eichhörnchen-Voliere im Garten haben oder ein Grundstück in Waldrandnähe, das sich dafür eignet. Menschen, die Hilfe mit einem Eichhörnchen benötigen, können den Verein unter der Nummer 0176 / 55 37 68 64 erreichen oder unter www.eichhoernchen-schutz.de nachlesen, wie man den Tieren helfen kann. vgr

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