Therapiehunde:Schulgeld für den schnuffigen Leo

Therapiehunde: "Leo" ist für kleine Patientinnen, wie Leonie, kein Spielzeug. Unter der Anleitung von Psychologin Maria Licata soll er ihnen etwas beibringen.

"Leo" ist für kleine Patientinnen, wie Leonie, kein Spielzeug. Unter der Anleitung von Psychologin Maria Licata soll er ihnen etwas beibringen.

(Foto: Robert Haas)

Ein sechs Monate alter Havaneser soll mit seinem offenen Wesen und unwiderstehlichen Charme im Nu die Herzen der kleinen Patienten im Kinderzentrum Großhadern erobern. Doch die Ausbildung zum Therapiehund ist teuer - deshalb hat die Klinik eine Spendenaktion gestartet

Von Stephan Handel

Alles begann damit, dass Maria Licata sich dachte: Eigentlich könnte ich mal einen Hund haben. Natürlich stellte sich, wie immer bei berufstätigen Menschen, die Frage nach der Tagesbetreuung. Also fragte Maria Licata ihren Chef, ob sie denn einen Hund mit zur Arbeit bringen könne. Nicht so einfach, meinte der, Versicherungsgründe usw. Aber er habe da eine andere Idee. Und so kam Leo in Maria Licatas Leben.

Leo ist jetzt sechs Monate alt und von ausgesprochener Schnuffigkeit. Wahrscheinlich empfände er es als Beleidigung, würde man ihn mit einem Dackel vergleichen, aber als Größenmaßstab kommt das hin. Leo ist aber ein Havaneser - die Leute, die es wissen müssen, nämlich der Verband Deutscher Kleinhundezüchter, verfallen bei den Charaktereigenschaften dieser Rasse geradezu in Euphorie: "Mit seinem offenen Wesen und seinem unwiderstehlichem Charme gewinnt er im Nu jedes Herz", schreiben sie.

Tiergestützte Therapie ist bewährt. Aber etwa Schwimmen mit Delfinen ist sehr aufwendig

Mag sein, jedes Herz. Nur das von Hanna nicht. Hanna mag nämlich gerade nicht spielen, schon gar nicht mit einem Hund und erst recht nicht, wenn sie dabei fotografiert werden soll. Später einmal werden genau Kinder wie Hanna Leos Job sein. Sein Frauchen nämlich, Maria Licata eben, ist Psychologin im Kinderzentrum in Großhadern, das zu den Kliniken des Bezirks Oberbayern gehört. Und die Idee, die Volker Mall hatte, der Direktor des Zentrums, als ihm seine Angestellte von ihrem Vorhaben berichtete, war die: Einfach einen Hund mitbringen, das ist schwierig. Aber einen Therapiehund, den könnten wir brauchen.

Tiergestützte Therapie ist keine Neuigkeit - vor allem im Umgang mit dementen, älteren Menschen sind Hunde vielfach im Einsatz. In der Behandlung von geistig behinderten Kindern - das ist, was am kbo-Kinderzentrum gemacht wird - ist bislang vor allem die Reittherapie und das vor allem aus Reisegründen aufwendige Schwimmen mit Delfinen bekannt. Aber auch Hunde können hier Vorteile bringen - für die Therapeuten, und damit auch für die jungen Patienten.

Maria Licata zählt auf, bei welchen Formen an Behinderung Leo künftig nützlich sein soll, alles durch Studien belegt: Bei Autisten verbessert die Anwesenheit eines Hundes die Kooperationsbereitschaft. Bei Aufmerksamkeitsstörungen hilft er den Kindern, sich zu konzentrieren. Bei Traumatisierungen können die Kinder am und mit dem Hund lernen, Vertrauen zu fassen und Beziehungen aufzubauen. Bei Kindern mit Down-Syndrom wurde sogar untersucht, ob es die lebende Kreatur ist, die positiven Einfluss auf die Therapie hat - Ergebnis: Ja, wenn ein echter Hund anwesend war, waren die Fortschritte größer als bei einem Stoffhund in der Ecke.

Natürlich kann nicht jeder dahergelaufene Straßenköter diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen - Leo wird sozusagen einen Hochschulabschluss brauchen, von der Hunde-Universität. Momentan wird er noch auf der normalen Hundeschule unterrichtet, wo er die übliche Folgsamkeit lernen soll, Sitz, Platz, diese Sachen. Wenn er aber ein Jahr alt ist, beginnt die Ausbildung zum Therapiehund. Die geht weiter über das hinaus, was ein gewöhnlicher Haushund können muss. Zum Beispiel: ungestümes und vielleicht auch aggressives Verhalten seiner Klienten zu ertragen, ohne seine Hunde-Reflexe aufkommen zu lassen. Nicht erschrecken, nicht bellen, wenn ihn jemand unerwartet zu umarmen versucht. Stress ertragen.

"Die Ausbildungs-Angebote", sagt Maria Licata, "beziehen sich allerdings hauptsächlich auf die Demenz-Therapie." Ob alles, was Leo dort lernen würde, immer sinnvoll ist für den Umgang mit behinderten Kindern, das muss ausprobiert werden. Demenzhunde zum Beispiel lernen, ruhig zu liegen, wenn sich der Mensch neben ihnen ebenfalls nicht rührt. Was aber, wenn genau das die Therapie sein soll - ein unansprechbares, starres, steifes Kind zu öffnen? Das wird mit den Ausbildern besprochen und dann in der Praxis ausprobiert werden müssen.

Ein bisschen im Einsatz ist Leo jetzt schon, unausgebildet. Und er hat sogar schon erste Erfolge vorzuweisen: Diagnose unklar, wahrscheinlich irgendetwas schizophrenes, wollte nicht mehr sprechen und nicht mehr zur Schule gehen. Aber mit Leo spielen, das wollte sie - also schloss der Therapeut einen Deal mit ihr: Wenn sie redet und den Unterricht besucht, kann sie den Hund sehen. Nach eingehender Erwägung ließ sich das Mädchen auf den Handel ein, nun redet sie wieder, und den Unterricht besucht sie auch.

Leo kommt jetzt schon täglich mit seinem Frauchen an deren Arbeitsplatz, damit die er sich an die Kinder gewöhnt und sie sich an ihn. Dass die sechsjährige Hanna gerade nicht mit ihm spielen mag, ist insofern kein Problem - ihre Zwillingsschwester Leoni ist hingegen mit Feuereifer bei der Sache, nur die Anweisungen des Fotografen sind manchmal schwer zu befolgen: Woher soll Leoni denn wissen, welche ihrer Hände die so genannte linke ist? Alle sechs Monate fahren die Eltern der beiden Mädchen für zwei Wochen aus Franken nach München, Fragiles-X-Syndrom, Entwicklungsverzögerung, das sind die Diagnosen. Die Aufenthalte in Großhadern zeigen durchaus Erfolg: Leoni und Hanna können jetzt laufen und werden das mit links und rechts auch noch hinbekommen.

Kann sein, dass Leo dabei - oder bei anderen Lernzielen der beiden Schwestern - seinen Teil beitragen kann. Dazu muss er aber erst einmal sein Hundeuni-Diplom haben, und das bereitet Maria Licata momentan noch am meisten Sorgen: Gekauft hat sie den Hund privat, was immerhin 900 Euro gekostet hat. Die Ausbildung aber schlägt noch einmal mit mehr als 2000 Euro zu Buche, das bezahlt keine Krankenkasse oder ein anderer Kostenträger. Deshalb hat das Kinderzentrum nun eine Spendenaktion gestartet: Für 50 Euro bekommt er eine Trainerstunde, für 15 Euro kann er eine Woche lang gefüttert werden, 280 Euro finanzieren eines der Ausbildungs-Wochenenden. Für den Flyer zu der Aktion musste Leo schon mal fotografiert werden, und alle Beteiligten, obwohl tagtäglich mit behinderten Kindern beschäftigt, erzählen davon, als seien das die anstrengendsten 60 Minuten Ihres Lebens gewesen.

Dafür macht Leo in dem Flyer jetzt eine ausgesprochen gute Figur: weiß das Fell mit schwarzen Flecken, dunkel der Kopf und ein Blick, bei dem die Geldbörsen tierlieber Menschen gar nicht anders können, als aufzugehen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass der Hund für die kleinen Patienten kein Spielzeug ist, sondern ihnen etwas beibringen kann. Als ein Mädchen in der Therapiestunde mit Leo das tat, was es auch in der Schule mit den Klassenkameraden immer machte, nämlich anstarren und erschrecken - da merkte es zum ersten Mal, was da geschieht: "Oh, der fürchtet sich ja vor mir", sagte das Mädchen. Mit dem Hund hatte es seine Verhaltensweisen ausprobiert und erkannt. Nun besteht Hoffnung, dass das Mädchen diese Erkenntnis auf seine Mitmenschen überträgt. Auch wenn die nicht immer so schnuffig sind wie Leo, der Therapiehund.

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