The National in München:Wunden lecken mit Matt

The National in München: Aufrichtige Betroffenheit, schönste Melancholie: Matt Berninger von The National im Juli 2010 beim "Dachauer Musiksommer".

Aufrichtige Betroffenheit, schönste Melancholie: Matt Berninger von The National im Juli 2010 beim "Dachauer Musiksommer".

(Foto: DAH)

Nach jedem Song greift er zum Weinglas, jedes leere Weinglas zerdeppert er, am Ende sogar die ganze Flasche: Beim The National-Konzert in München zeigt Sänger Matt Berninger groteske Gefühlsausbrüche - und fällt am Ende fast von der Bühne.

Von Christiane Lutz

Musik ist eine ernste Angelegenheit und der Weg zu ihr beschwerlich. Was nicht nur an einer Baustelle im Münchner U-Bahnsystem liegt, sondern auch an der Band, die am Montagabend im Zenith spielt. The National geben ihren Fans mit ihrer düsteren Musik voll lyrischem Herzschmerz ein anspruchsvolles Päckchen zu tragen. Was will man auch anderes erwarten von einer Band, die ihr aktuelles Album "Trouble will find me" genannt hat? Die Fans aber schultern es begeistert und mit Würde.

Der Abend beginnt mit einem vorsichtiges Beschnuppern. Man hat sich schließlich lange nicht gesehen, The National gaben ihr letztes Konzert in München im Jahr 2005. Seitdem ist viel passiert, sowohl in München als auch bei The National, der Indie-Band, die spätestens seit dem Hit "Bloodbuzz Ohio" (2010) jeder, wirklich jeder kennt, und über die im Juli sogar die Musikdokumentation "Mistaken for Strangers" in die Kinos kommt.

Zum Warmwerden also spielen The National eingängige Songs "Don't swallow The Cap", "I Should Live In Salt" und "Mistaken For Strangers". Die Band aus Ohio, die inzwischen in Brooklyn, New York, lebt - wo auch sonst? -, besteht im Kern aus Sänger Matt Berninger und den Zwillingspaaren Aaron und Bryce Dessner sowie Scott und Bryan Devendorf. Für die Tour aber haben sie sich die Verstärkung einen Trompeter und einen Posaunisten geholt.

Am Ende fällt Sänger Berninger fast von der Bühne

Es folgen eben jenes "Bloodbuzz Ohio", bei dem auf der Videoprojektion passend rote Blutkörperchen explodieren, "Squalor Victoria", "I Need My Girl". Und plötzlich sind alle aufgewacht, alle da, Band und Publikum. Entsteht eine Atmosphäre aus aufrichtiger Betroffenheit und schönster Melancholie. Das Konzert ist ein gemeinsames Wundenlecken, ein Austausch der Band mit dem Publikum über all die Widerlichkeiten, die das Leben und erst recht die Liebe mit sich bringen.

Dass das funktioniert, mag nicht nur, aber vor allem an Matt Berninger liegen. Er ist ein verkopft wirkender, wortkarger Typ mit ernstem Blick und jeder Menge zu bewältigendem Schmerz. Nach jedem Song greift er zum Weinglas, jedes leere Weinglas zerdeppert er, zuletzt die ganze Flasche. Seine scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum explodiert stets rechtzeitig in einem grotesken Gefühlsausbruch, bevor Zweifel aufkommen können, ob er wirklich Freude an dem hat, was er gerade tut. Mehrere Male schlägt er sich mit dem Mikrofon an den Kopf.

Und dann ist da Berningers Stimme. Sein tiefer Bariton versöhnt das Ohr mit dem Krach dieser Welt. Er schmeichelt dem Schmerz und, natürlich, dem Herzen. Seine Stimme ist Wundsalbe. Sie verdient einen eigenen Lexikon-Eintrag.

So verzeiht man Berninger auch, dass er am Ende des Konzerts ordentlich angetrunken wirkt. Aufgebracht jagt er bei der zweiten Zugabe "Mr. November" mitten durchs Publikum, seine Kabelträger ihm mit Mühe folgend, und endet seinen Sprint an der Bar, natürlich. Die eben noch so ernste Masse jubelt. Dann, als letztes, treten Musiker und Sänger nach vorn und singen, nur von der Gitarre begleitet, die Ballade "Vanderlyle Crybaby Geeks" des letzten Albums "High Violet" im Chor mit dem Publikum. Berninger fällt fast von der Bühne und wirft dann seinen Mikrofonständer um. Egal. Inbrunst braucht keine Verstärkung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: