Teufelskreis Schulden:Vom Buhmann zum Helfer

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Vollstrecker mit Tränen in den Augen: Gerichtsvollzieher haben den Auftrag, Geld einzutreiben - immer häufiger werden sie aber zu Sozialarbeitern.

E. Müller-Jentsch

Gerichtsvollzieher haben in der Bevölkerung eher den Ruf gnadenloser Vollstrecker. Doch in Wirklichkeit werden sie immer häufiger unfreiwillig zu Sozialarbeitern. Eine wirksame Zwangsvollstreckung ist zwar ein wichtiger Faktor für den Wirtschaftsstandort München. Zunehmend sind Gerichtsvollzieher dabei aber mit psychisch auffälligen Menschen konfrontiert und so auch Extremsituationen ausgesetzt: Die Frauen und Männer werden nicht nur von zahlungsunfähigen oder -unwilligen Schuldnern tätlich angegriffen, sondern sind zunehmend auch einzige Ansprechpartner und Nothelfer.

Die Vollstrecker des Münchner Amtsgerichts werden tagtäglich mit sozialen Verhältnissen und privaten Schicksalen konfrontiert, die niemanden kalt lassen. Besonders problematisch ist es, wenn sie von Dritten erfahren, dass ein Schuldner akut selbstmordgefährdet sein soll: Ist die Warnung glaubhaft? Muss die Polizei verständigt werden?

Die Abwägung ist nicht immer einfach. Stimmt die Einschätzung nicht, wird der Schuldner über den Polizeieinsatz bestimmt nicht erfreut sein. Tun die Vollstrecker aber nichts, und der Schuldner bringt sich um, wird man es ihnen öffentlich zum Vorwurf machen.

Gerichtsvollzieher in emotionalen Extremsituationen

So berichtet ein junger Gerichtsvollzieher, dass er im vergangenen Herbst bei einer ehemals gut situierten Frau die Miete eintreiben sollte: Sie konnte sich aufgrund privater Umstände ihre anspruchsvolle Fünfzimmerwohnung in Schwabing nicht mehr leisten. Da die Frau zu ihrem Vermieter stets ein gutes Verhältnis gehabt hatte, war die Situation extrem peinlich. Dem Gerichtsvollzieher sagte sie, dass nur die Sorge um ihre Katze sie vom Selbstmord abhalten würde.

Der Gerichtsvollzieher suchte daraufhin in Zusammenarbeit mit dem städtischen Sozialdienst eine Ersatzwohnung für die Frau - als er der Frau mitteilen wollte, dass er eine gefunden habe, hatte sie sich schon wenige Tage zuvor das Leben genommen. "Ich war in diesen Tagen immer wieder an dem Haus der Frau vorbeigefahren - wenn ich mir vorstelle, dass sie sich vielleicht gerade in solch einem Augenblick umgebracht hat...", sagt er mit Tränen in den Augen.

Eine Gerichtsvollzieherin hat ähnliches erlebt. Sie sollte eine völlig verwahrloste Erdgeschosswohnung räumen. Der Mieter öffnete jedoch nicht, Hausmeister und Nachbarn hatten keinen Kontakt zu dem Mann. Kurz darauf rief eine direkte Wohnungsnachbarin bei der Gerichtsvollzieherin an: Der Mann habe sich bei ihr und anderen Mitbewohnern verabschiedet. Das sei ihr komisch vorgekommen, da er doch sonst jeglichem Kontakt aus dem Weg gegangen sei.

Die Gerichtsvollzieherin alarmierte sofort die Polizei. Die Beamten ließen von Feuerwehrmännern die Wohnungstür mit Äxten einschlagen und fanden den Bewohner mit aufgeschnittenen Pulsadern, aber noch lebend in der Badewanne. "Ohne den Anruf hätte ich den Mann am nächsten Tag bei der Räumung tot aufgefunden", sagt die Gerichtsvollzieherin. Für sie und ihren Kollegen steht außer Frage: "Unser Tätigwerden hat diese Schuldner letztlich zu den Suizidtaten veranlasst."

Respekt und Anerkennung statt Anklage

"Ich soll in der nächsten Woche eine Wohnung räumen, in der eine alleinerziehende Frau lebt, der kürzlich das Kind weggenommen wurde", sagt ein weiterer Gerichtsvollzieher. Der Sozialdienst habe ihn gewarnt, "vorsichtig" zu sein: Die Frau sei schon einmal in einer psychiatrischen Klinik gewesen. "Was heißt ,vorsichtig sein?", fragt sich der Mann nun und fühlt sich mit der Situation allein gelassen.

Sollte sich die Frau im Zusammenhang mit der Räumung womöglich das Leben nehmen, werde er noch öffentlich an den Pranger gestellt, befürchtet er - "denn man hat mich schließlich vorab auf das Problem hingewiesen". Tatsächlich stehe er aber nun mit diesen "kryptischen Worten" alleine da und solle die Situation meistern.

Ein Teufelskreis für den Gerichtsvollzieher und eine große Belastung, räumt Amtsgerichtspräsident Gerhard Zierl ein: "Gerichtsvollzieher oder Gerichtsvollzieherinnen sind oft der Buhmann - dabei verhindern sie Selbstjustiz und stärken unsere Wirtschaft". Denn die besten Urteile seien nutzlos, wenn sie nicht durchgesetzt werden könnten.

"Der Gläubiger, der seine Forderungen nicht bezahlt bekommt, ist der Schuldner von morgen", sagt Zierl. Wie wichtig die 111 Gerichtsvollzieher und Gerichtsvollzieherinnen des Amtsgerichts München für diese Stadt seien, zeige die Summe, die sie letztes Jahr für die Gläubiger vollstrecken konnten: 33 835 294 Euro. "Dafür verdienen sie unseren Respekt und unsere Anerkennung", meint der Präsident.

© SZ vom 15.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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