Tennis-Turnier mit langer Geschichte:Weg mit der Bügelfalte

Von Kampfspielen zu hoch dotierten Wettbewerben: Zum einhundertsten Mal finden die internationalen Tennismeisterschaften von Bayern statt. Stars wie Boris Becker werden hier entdeckt, andere scheiden früh aus

Von Thomas Becker

Die Teilnehmer der ersten internationalen Tennismeisterschaften von Bayern stehen schon vor dem ersten Ballwechsel im Halbfinale. Gerade mal vier Spieler streiten auf der Rasenanlage an der Karl-Theodor-Straße um den neuen Titel: ein Russe, ein Österreicher und zwei Deutsche. Es gewinnt der Russe Wladimir Gladky gegen Heinrich Kleinschroth, von dem noch zu reden sein wird. Wir schreiben das Jahr 1906, der Kaiser heißt Wilhelm II., und der Münchner Tennis- und Turnierclub (MTTC) Iphitos, der erste Tennisverein der Stadt, ist 14 Jahre alt und hat 149 Mitglieder. Die Regeln sind streng: Wer mit Absätzen auf den Platz geht, muss fünf Mark Strafe zahlen.

Iphitos-Mitglied Dr. Heinrich Kleinschroth, Spitzname "Der eiserne Heinrich", ist einer der ersten Tennishelden dieser Zeit. 1913 steht er in Wimbledon im Doppel-Finale, ist viele Jahre lang Kapitän der deutschen Davis-Cup-Mannschaft, Trainer des "Tennis-Barons" Gottfried von Cramm und gewinnt Anfang der Zwanzigerjahre drei Mal in Folge die internationalen Tennismeisterschaften von Bayern - ein Hattrick, wie ihn 30 Jahre später nur noch Budge Patty geschafft hat. Zwischen 1928 bis 1948 hat Kleinschroth auch öfter Doppel gegen den schwedischen König Gustav gespielt, allerdings nicht beim MTTC Iphitos.

Tennis-Turnier mit langer Geschichte: Volles Haus beim MTTC Iphitos: Zum einhundertsten Mal finden in diesem Jahr die internationalen Tennismeisterschaften statt.

Volles Haus beim MTTC Iphitos: Zum einhundertsten Mal finden in diesem Jahr die internationalen Tennismeisterschaften statt.

(Foto: imago)

In den Dreißigerjahren werden dort lediglich vier Turniere ausgetragen, so genannte Tennis-Kampfspiele. Der Gewinner von 1935 ist in der Siegerliste bereits mit einer Hakenkreuzfahne verzeichnet. Nach Kriegsende beschlagnahmen die Amerikaner die Anlage, bis 1949 ruht der Turnierbetrieb. Aufgenommen wird er wieder auf der neuen Klubanlage am Aumeisterweg, am nördlichen Ende des Englischen Gartens, nunmehr auf Sand statt Rasen. Der neue Held und Sieger von 1949 und 1950 heißt Gottfried von Cramm, der vor dem Krieg Jura studierte und Diplomat werden wollte, 1938 von der Gestapo verhaftet wird, die Ostfront überlebt, 1947 der erste "Sportler des Jahres" wird und bei der Gründung des Deutschen Tennisbundes eine entscheidende Rolle gespielt hat. Ein eleganter, für seine Fairness bekannter Spieler, stets mit messerscharfer Bügelfalte in der langen Hose.

Erst Mitte der Sechzigerjahre kann Christian "Kiki" Kuhnke am Aumeisterweg den nächsten deutschen Turniersieg landen, was dem späteren Davis-Cup-Kapitän Wilhelm Bungert dagegen verwehrt bleibt: Zwei Jahre in Folge verliert er im Finale, hat dafür aber 20 Jahre später mit einem gewissen Boris Becker umso mehr Erfolg. Die Siebzigerjahre beginnen spektakulär: Ilie Năstase und der spätere Turnierdirektor Niki Pilić liefern sich beim Iphitos ein mehr als vierstündiges Fünf-Satz-Match über zwei Tage, an dessen Anschluss der völlig erschöpfte Kroate auch noch Doppel spielt und schließlich das Finale gegen Ion Ţiriac, den späteren Manager von Boris Becker, in vier Sätzen verliert - die einzige Niederlage seiner Karriere gegen den zottelhaarigen Rumänen.

Michael Stich BR Deutschland Iphitos München

Michael Stich hat schon in jungen Jahren bei den Bayerischen Meisterschaften gespielt.

(Foto: Imago)

In den kommenden zehn Jahren gibt es fünf Finals mit deutscher Beteiligung, doch nur Jürgen Faßbender (1974) und Rolf Gehring (1980) triumphieren; Harald Elschenbroich (1973) und Karl Meiler (1975/76) scheitern. 1984, im Jahr vor seinem ersten Wimbledonsieg, spielt der 16-jährige Boris Becker am Aumeisterweg. Auf dem ungeliebten Sand fliegt er im Einzel raus, holt aber den Doppel-Titel mit dem polnischen Routinier Wojciech Fibak, der ihn kurz zuvor eigentlich noch managen wollte, aber im Wettlauf gegen Ion Ţiriac den Kürzeren gezogen hat. Zehn Jahre später reckt ein Becker-Besieger den Pokal in die Höhe, der 1990 mit dem MTTC Iphitos deutscher Mannschaftsmeister geworden ist: Michael Stich. Drei Finals in Folge spielt der Wimbledonsieger von 1992, verliert zunächst gegen den alten Ivan Lendl, besiegt dann den jungen Tschechen Petr Korda und unterliegt 1995 dem Südafrikaner Wayne Ferreira.

Doch nicht alle Cracks hängen sich immer voll rein. Die Liste der schon in der ersten oder zweiten Runde gescheiterten Welt-Stars liest sich wie ein "Who is Who" des Tennissports: Björn Borg, Michael Chang, Thomas Muster, Yannick Noah, Stefan Edberg und in der jüngeren Vergangenheit auch die beiden Franzosen Gaël Monfils und Jo-Wilfried Tsonga. Oft hat das so ausgesehen: Antrittsprämie kassieren, sich kein Bein ausreißen und tschüss! Andre Agassi, ansonsten ja ein Sympathieträger sondergleichen, betreibt das Spielchen Mitte der Neunzigerjahre einmal ziemlich dreist: Zum Fototermin strahlt er für die Fotografen noch mit einem Gamsbart auf dem Resthaar, verliert dann aber sang- und klanglos in Runde eins - und sitzt schon am Abend wieder im Flieger. Wie sich später herausstellt, hat er den Lear Jet, der ihn von München aus zu seiner eigentlichen Privatmaschine nach London geflogen hat, schon vor dem Match für den Abend bestellt . . . Legendenkollege Jimmy Connors gibt nach seinem frühen Ausscheiden 1989 wenigstens noch eine öffentliche Trainerstunde für ein paar Jugendliche.

Sixtant Cup beim MTTC Iphitos Ion Tiriac Rumänien

Ion Ţiriac gewann das Turnier im Jahr 1970.

(Foto: imago/WEREK)

Ein Spiel herschenken: So ein Gedanke kommt Roger Federer natürlich gar nicht erst in den Sinn. Noch heute schwärmen sie bei Iphitos vom Frühjahr 2003, als der Stern des jungen Schweizers aufgeht. Am 4. Mai 2003 besiegt er in München den Finnen Jarkko Nieminen und gewinnt ein paar Wochen später in Wimbledon seinen ersten Grand-Slam-Titel - der Beginn einer sensationellen Karriere. Ein ganz besonderes Finale erleben die Fans im Jahr 2013: Tommy Haas gegen Philipp Kohlschreiber, das erste rein deutsche Finale seit Christian Kuhnke gegen Ingo Buding 1965. Ein brisantes Match, sind sich die beiden Kontrahenten nach diversen Scharmützeln um das Thema Davis Cup nicht gerade grün zu diesem Zeitpunkt. Kohlschreiber hätte seinen dritten Sieg in München einfahren können, doch Oldie Haas behält noch einmal die Oberhand und trägt sich zum ersten Mal in die Siegerliste ein. Ein Erfolg, den der mal wieder an der Schulter verletzte Haas heuer nicht wiederholen kann. Egal welcher der 32 Spieler als 100. Champion der Internationalen Tennismeisterschaften von Bayern in die Fußstapfen des russischen Ur-Siegers Wladimir Gladky tritt: Er wird mehr für den Sieg tun müssen als damals die vier Herren in den schicken langen Hosen.

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