Telefonreanimation der Feuerwehr:Ein Anruf, der Leben retten kann

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Mund-zu-Mund-Beatmung, Herzdruckmassage oder doch nichts? Experten der Feuerwehr München sagen Anrufern in Notsituationen, was sie tun müssen, um Patienten wiederzubeleben. (Foto: dpa)

Wenn Menschen miterleben, wie jemand zusammenbricht, überfällt sie oft Panik. Was ist jetzt zu tun? Herzdruckmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung oder lieber gar nichts? Tatsächlich können Laien zu Rettern werden. Etwa mit Hilfe der Münchner Feuerwehr - und ihrer Telefonreanimation.

Von Florian Fuchs

Der Notruf kam um kurz nach zwölf: Ein Mann klagt über Brustschmerzen, kurz darauf ist er bewusstlos, nun liegt der 44-Jährige in der Wohnung. Die Ehefrau am Telefon ist aufgeregt, der Mitarbeiter in der Leitstelle der Münchner Feuerwehr alarmiert die Rettungskräfte. Dann leitet er eine Reanimation in die Wege: Am Hörer erklärt er der Frau, was sie tun muss, um ihren Mann wiederzubeleben.

Als fünf Minuten später die Rettungskräfte in der Wohnung in der Rheinsteinstraße eintreffen, reicht ein einzelner Schock mit dem Defibrillator, und der Patient hat wieder einen stabilen Kreislauf. Die Ärzte in der Intensivstation werden später einen Herzinfarkt diagnostizieren. Michael Karger sagt: "Durch die über Telefon angeleitete Reanimation und die gute Reaktion der Ehefrau hat der Mann gute Chancen, den Herzinfarkt ohne größere gesundheitliche Folgeschäden überstanden zu haben."

Karger arbeitet in der Integrierten Leitstelle an der Schwanthalerhöhe, wo alle Notrufe für Feuerwehr und Rettungsdienste aus München einlaufen. Der Lehrdisponent ist zuständig für die Weiterbildung der Kollegen und Experte für Telefonreanimationen. In knapp 200 Fällen haben Mitarbeiter der Leitstelle im vergangenen Jahr Anrufer über das Telefon angeleitet, Patienten zu reanimieren - egal ob zu Hause wie im Fall des Ehepaares oder an öffentlichen Plätzen, wo etwa Zeugen eines Unfalls Verunglückten helfen.

"Viele Leute haben Erste Hilfe einmal gelernt, sind in Notsituationen aber alleine überfordert, die richtigen Handgriffe auszuführen", sagt Karger. Unter seiner Leitung hat eine Arbeitsgruppe der Münchner Feuerwehr deshalb in den vergangenen Jahren die Telefonreanimation optimiert, Richtlinien geändert und einen Leitfaden erstellt. Nun, heißt es bei der Feuerwehr, klappten die Reanimationen viel besser.

Atmet der Patient noch?

Im Jahr 2003 hat sich die Münchner Feuerwehr erstmals mit Telefonreanimationen beschäftigt, da war das Thema in Deutschland noch kaum auf der Agenda. Das Problem in der Praxis war in den Folgejahren bloß, dass Experten und Laien oft aneinander vorbeigeredet haben. Die Mitarbeiter in den Leitstellen sind ausgebildete Rettungssanitäter, daher rutschen ihnen automatisch Fachbegriffe heraus. Ein Anrufer, der eine bewusstlose Person vor sich liegen hat, kann mit Expertenjargon jedoch meist nur wenig anfangen.

"Wenn der Mitarbeiter der Leitstelle zum Beispiel gesagt hat, man soll die Handballen auf den Thorax legen, dann haben das die meisten Anrufer nicht verstanden", sagt Karger. Die Feuerwehr hat das Prozedere deshalb weiterentwickelt: Wo die Mitarbeiter früher frei angeleitet haben, benutzen sie nun vorgegebene Begriffe und Sätze, die auch für Laien in Extremsituationen verständlich sind. Für eine Herzdruckmassage heißt es nun standardisiert: "Legen Sie einen Handballen auf die Mitte des Brustkorbes, zwischen die Brustwarzen. Legen Sie die andere Hand auf die erste Hand." Dies, sagt Karger, habe sich bewährt.

In einem übersichtlichen Leitfaden sind die Schritte aufgeführt, die der Mitarbeiter der Leitstelle nacheinander mit dem Anrufer durchzugehen hat. Zunächst weist er ihn an, den Patienten auf einer harten Unterfläche auf den Rücken zu legen, dann muss der Kopf vorsichtig nach hinten gekippt werden. Nun muss der Anrufer prüfen, ob die zu behandelnde Person noch atmet.

In manchen Fällen löst sich hier schon das Problem, etwa wenn der Helfer erkennt, dass im Rachen etwas festhängt oder der Patient seine Zunge verschluckt hat und deshalb keine Luft mehr bekommt. Meistens ist jedoch eine Herzdruckmassage erforderlich. Der Rettungssanitäter am Telefon geht jeden Handgriff Schritt für Schritt mit dem Anrufer durch, bis es in einem zweiten Zyklus um die Frage geht, ob sich der Helfer in der Lage sieht, den Patienten zu beatmen.

"Das ist gerade bei Leuten ein Problem, die sich nicht kennen", sagt Karger. Wenn sich Patienten erbrochen haben, viel Blut im Spiel ist oder Ansteckungsgefahr droht, kann man Helfern nicht vorwerfen, dass sie nicht beatmen wollen. "Dann machen Sie mit der Herzdruckmassage weiter."

Neben den praktischen Anleitungen müssen die Mitarbeiter der Leitstelle aber vor allem auch auf die Psyche der Anrufer eingehen. "Das ist eine extreme Belastung, wir müssen deshalb die Anrufer immer wieder motivieren, die Behandlung weiterzuführen", sagt Stefan Adam, Organisationschef der Leitstelle. Die ersten Sätze bei einer Telefonreanimation lauten deshalb immer: "Der Notarzt ist bereits zu Ihnen unterwegs. Ich sage Ihnen jetzt, was zu tun ist."

Viele Anrufer haben Angst, Patienten bei einer Druckmassage zu verletzen, diese Ängste nehmen ihnen die Fachleute am Telefon. "Eine gebrochene Rippe ist immer noch besser als ein Patient, der stirbt", sagt Adam. Schwierig wird die Motivation und Beruhigung der Anrufenden, wenn die Patienten Kinder oder Säuglinge sind. In solchen Fällen gibt es eigene Gesprächsanleitungen. "Eltern in so einer Situation über Telefon dazu zu bringen, rational zu handeln, ist manchmal schlicht unmöglich", so Adam.

Belastende Situationen

Wie wichtig aber Helfer sind, die rational handeln, zeigen Erhebungen, wonach Maßnahmen zur Wiederbelebung die Überlebensraten von Patienten nach einem plötzlichen Kreislaufstillstand verdoppeln oder gar verdreifachen. "Man geht davon aus, dass sich in jeder Minute, in der nichts getan wird, die Heilungsaussichten um zehn Prozent verschlechtern", rechnet Stefan Adam vor. Parallel zur Münchner Feuerwehr haben deshalb auch andere Leitstellen in Bayern ähnliche Gesprächsstandards entwickelt, das Bayerische Innenministerium hat entsprechende Empfehlungen herausgegeben.

In München haben die Mitarbeiter der Leitstelle mindestens einmal im Jahr eine Schulung, bei der sie Reanimationen am Telefon durchspielen. Nicht immer verlaufen Gespräche in Notsituationen so, wie man sie vorher am Reißbrett optimiert hat. Die Fachkräfte müssen deshalb lernen, auf spontane Probleme zu reagieren und trotzdem immer wieder zu den Abläufen des Leitfadens zurückzufinden.

Sie müssen aber auch selbst mit diesen belastenden Situationen umgehen können. Wer eine Reanimation am Telefon angeleitet hat, heißt es bei der Feuerwehr, brauche nach Möglichkeit im Anschluss erst einmal eine Ruhephase, vielleicht sogar psychologische Betreuung. Nicht immer verlaufen Telefonreanimationen so erfolgreich wie im Fall der Ehefrau, die ihrem bewusstlosen Mann in ihrer eigenen Wohnung wohl das Leben gerettet hat.

© SZ vom 11.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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