Technische Universität:Trotz Pfusch am Bau ein Leuchtturmprojekt

Das neue TU-Katalysezentrum in Garching hätte vor drei Jahren eröffnet werden sollen. Doch wegen erheblicher Mängel mussten der Estrich herausgerissen, die Fenster ausgewechselt und die Treppen erneuert werden. Präsident Wolfgang Herrmann ist dennoch auf das Ergebnis stolz

Von Jakob Wetzel

Die Metalltafel fasst nur wenige Wörter, aber in diesen steckt das ganze Drama dieses Hauses. Die Platte befindet sich im Boden, wenige Schritte hinter der Eingangstür in das neue Katalysezentrum der Technischen Universität (TU) auf dem Campus Garching. Das Haus ist ein Leuchtturmprojekt der Universität und des Freistaats. Und errichtet worden sei es unter der Präsidentschaft von Wolfgang Herrmann, heißt es auf dieser Tafel - und zwar von 2008 bis 2012.

Drei Jahre später, im Oktober 2015, steht das 57 Millionen Euro teure Gebäude nun endlich vor der Eröffnung. Beim Bau war gepfuscht worden, nicht einmal, nicht zweimal, sondern in gleich acht Gewerken. Einmal musste im ganzen Gebäude der Estrich herausgerissen werden, mitsamt Fußbodenheizung und Trockenwänden. Ein anderes Mal mussten sämtliche Fenster ausgewechselt werden, weil die Jalousien zwischen den Scheiben festklemmten. Die Treppen wurden falsch verlegt, sie mussten neu gemacht werden. Und dann leckte auch noch ein Schlauch der Entsalzungsanlage im Keller, Salzwasser lief aus. Es dauerte, bis das jemandem auffiel, weil das Gebäude noch nicht in Betrieb war. Weil der Estrich noch nicht beschichtet war, musste der Boden an dieser Stelle ebenfalls erneuert werden, schon wieder.

Und unter all dem litt einer ganz besonders: Wolfgang Herrmann, der TU-Präsident. Der 67-Jährige ist selbst Chemiker und Katalyseforscher, und als es an den Bau des Zentrums ging, da hegte er Hoffnungen, hier auch einmal zu experimentieren, zumindest für kurze Zeit. Jetzt aber ist es dafür zu spät, vor zwei Jahren hat Herrmann seinen Lehrstuhl für anorganische Chemie aufgegeben. Nutzen werden das Zentrum künftig andere. Doch Herrmann lässt es sich nicht nehmen, vor der Eröffnung wenigstens einmal durch das Gebäude zu führen.

Es ist Montag, als der TU-Präsident die Räume präsentiert, in denen er nun doch nicht forschen wird. 100 Meter ist das Gebäude lang, 50 Meter breit, es fasst netto 6000 Quadratmeter, in der Mitte gibt es einen Innenhof. Auf drei Stockwerken sollen an etwa 620 Luft-Abzügen 310 bis 320 Wissenschaftler arbeiten können. Es gibt Abzug-Verschlusstüren, die automatisch nach unten fahren - so ließen sich zwei Drittel der Saug-Energie einsparen, erklärt Dimitrios Mihalios, der technische Geschäftsführer des Zentrums. Es gibt kombinierte Notschalter für Strom, Wasser und Gas, mit denen sich handstreichartig ganze Labore lahmlegen lassen. Im Haus verteilt stehen 25 Handschuhkästen, die mit dem Edelgas Argon gefüllt sind, damit Forscher an Substanzen arbeiten können, ohne dass diese mit dem Sauerstoff in der Luft reagieren. Und es gibt Geräte wie das wuchtige Röntgen-Diffraktometer, das für sich einen halben Laborraum ausfüllt und allein eine Million Euro kostet. Damit könne man die Struktur von Molekülen und Kristallen untersuchen, sagt Herrmann. So lasse sich etwa herausfinden, wo Katalysatoren andocken könnten.

Der TU-Präsident zeigt auch die Fenster, das Treppenhaus und die Entsalzungsanlage im Keller. Die Baumängel sei natürlich ärgerlich gewesen, "nicht zu glauben". Auch für den Bauherrn, das staatliche Bauamt, aber besonders für die Universität. Forschungsprojekte steckten fest, Wissenschaftler mussten vertröstet werden, nicht alle bewiesen Geduld, manch einer sagte ab. Auf das Ergebnis ist Herrmann dennoch stolz: "Ich habe den Eindruck, dass durch die Pannen am Ende alles immer noch ein bisschen hochwertiger geworden ist als zuerst geplant."

Wünsche an das neue Gebäude habe er selbst nur zwei gehabt, sagt Herrmann: Ein Atrium habe er gewollt, und darin einen Grünsandstein aus seiner Heimat bei Kelheim. Beides hat er bekommen. Am Ende würden aus dem Stein sogar farbige Fontänen spritzen, sagt Mihalios. Das Bunte wird dann dem Hof entsprechen, denn der ist rot, blau, grün, orange und schwarz. Der Boden ist mit einem vielfarbigen Copolymerisat bedeckt, wie man es von Sportplätzen im Freien kennt. Es ist ein praktischer Boden, er dämpft Stürze. Aber für Herrmann ist er vor allem ein typisches Produkt von Katalyse.

Chemische Heiratsvermittlung

Wenn er Katalyse erklären will, zeigt TU-Präsident Wolfgang Herrmann gerne zwei chinesische Schriftzeichen. Ausgesprochen werden sie "Tsoo Mei", und sie bedeuten "Heiratsvermittlung" oder "Dating-Agentur". Ein Katalysator hat den Zweck, chemische Substanzen zusammenzubringen, damit sie auf eine bestimmte Weise miteinander reagieren. Er beschleunigt diese Reaktion oder setzt sie bei relativ geringer Energiezufuhr überhaupt erst in Gang. Er kann auch steuern, welche Stoffe bei einer Reaktion entstehen und welche nicht, und so Energie und Ressourcen zu sparen. Forscher arbeiten auch daran, mit Hilfe von Katalysatoren anderweitig nicht mehr brauchbare Kunststoffe abzubauen, und daran, neue Rohstoffquellen zu erschließen, beispielsweise Methan. Herrmann nennt die Katalyse aus diesen Gründen "grüne Chemie". Nicht zuletzt aber ist Katalyse auch ein großer Markt. Ein einziges Molekül eines Katalysators könne eine gewünschte chemische Reaktion gut eine Million Mal auslösen, sagt Herrmann. Um 100 000 Tonnen Polypropylen herzustellen, brauche man daher nur etwa 70 Kilogramm eines Katalysators - der aber sei dafür ziemlich teuer. Den Weltmarkt für chemische Katalysatoren beziffert der TU-Präsident auf 12 Milliarden Euro. wet

Die Welt des heutigen TU-Präsidenten ist lange die Chemie-Fakultät nebenan gewesen. Parallel zum Neubau des Katalysezentrums hat die TU dieses Gebäude sanieren und umbauen lassen. 820 Laborplätze für Studierende gibt es dort noch, andere wurden in Büros verwandelt. Das Innere atmet den Geist der Siebzigerjahre. Die Gänge sind verschachtelt, die Treppenhäuser bunt und freundlich, aber sie wirken eng. Herrmanns altes Büro ist verschwunden. Wo früher sein Zimmer, sein Sekretariat und die Räume seine Hilfskräfte waren, gibt es nun einen Durchgang vom Altbau zum Katalysezentrum.

Herrmanns Lehrstuhl wird im Januar Roland Fischer übernehmen, ein Chemiker von der Ruhr-Universität Bochum und Alumnus der TU. Er sei spezialisiert auf Trägersubstanzen für Katalysatoren und werde neue Schwerpunkte setzen, sagt Herrmann. Es klingt wie ein Abschied.

In einem der Treppenhäuser des Altbaus hängt eine Galerie der Lehrstuhlinhaber. Das jüngste Porträt zeigt Ernst Otto Fischer: Der Chemie-Nobelpreisträger von 1973 war Herrmanns Vorgänger und sein Mentor. Nach ihm ist nun die Straße benannt, an der das Katalysezentrum liegt, "das hätte ihn gefreut", sagt Herrmann. Neben Fischers Bild wartet ein leerer Fleck. "Da hängt ihr aber erst was hin, wenn ich wirklich weg bin", warnt Herrmann. Aber die Schrauben stecken bereits in der Wand.

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