Kandidatin für den Tassilo 2018:Und das Wort ist Rhythmus geworden

Kandidatin für den Tassilo 2018: Von der Kanzel ins Rampenlicht: Mehr oder weniger durch Zufall fand Veronika Rieger den Weg auf die Bühne. Eine Freundin gab den wohl entscheidenden Impuls.

Von der Kanzel ins Rampenlicht: Mehr oder weniger durch Zufall fand Veronika Rieger den Weg auf die Bühne. Eine Freundin gab den wohl entscheidenden Impuls.

(Foto: Robert Haas)

Innerhalb eines Jahres schaffte es die Theologiestudentin Veronika Rieger ins Zentrum der Münchner Poetry-Slam-Szene. Ihre Texte handeln von den Problemen beim Ich und Du, von Selbstliebe und Sexismus, kurz: von Themen, die sie selbst bewegen.

Von Jacqueline Lang

Sie ist gerade - natürlich - unterwegs, Richtung Heppel & Ettlich an der Münchner Freiheit, wo sie bei einem Slam auftritt. Denn obwohl die Frau mit den einst feurig roten, jetzt rosafarbenen Haaren und den vergnügt dreinblickenden, blauen Augen zurzeit in Berlin weilt, reist sie mindestens jedes zweite Wochenende an die Isar. Wegen ihrer Freundin, die hier nach wie vor lebt - und wegen der Slams, bei denen sie trotz der fast 600 Kilometer Entfernung noch regelmäßig auftritt. Hinzu kommen nun aber auch Gastspiele an der Spree. "In Berlin habe ich noch einmal eine ganz andere Slam-Szene kennengelernt", erzählt Rieger begeistert. Sie habe Spaß daran, Neues kennenzulernen. Deshalb stehe sie gerne auf der Bühne, unterhalte das Publikum und schätze gleichzeitig, das Wort auch auf der Kirchen-Kanzel an die Gläubigen richten zu können. Klar, die Sprache sei dann eine etwas andere.

Altgriechisch, Althebräisch und Latein jedoch, drei Pflichtfächer in ihrem Theologie-Studium, würde die Künstlerin viel lieber durch mehr Praxiserfahrung ersetzen. Wenn sie im kommenden Frühjahr aber nun endlich ihr Hebraicum abschließen kann, will Rieger einen Textband herausbringen. Er soll eine Auswahl ihrer mittlerweile über 30 verfassten Slam-Lyriken enthalten. "Ich überarbeite die Texte gerade, damit sie auch gelesen funktionieren," sagt Rieger. Auch ihre Kurzgeschichten, die sie bislang nur für sich selbst schreibt, würde sie gerne irgendwann veröffentlichen. Zunächst will sie aber sehen, wie ihre Slam-Auslese bei den Lesern ankommt. Noch hat die 23-Jährige, die in Garmisch-Partenkirchen groß geworden ist, keinen Verleger gefunden.

Überall unterwegs

Name: Veronika Rieger

Alter: 23

Genre: Poetry-Slam

Wo findet Ihre Kunst im Alltag statt? Auf Poetry-Slam-Bühnen in ganz Deutschland

Wo ist Ihr nächster Slam? Am 17. Februar, Best Of Tempel Slam, Berlin jala

In ihren Texten seziert sie gern Probleme im gesellschaftlichen Miteinander, im Privatleben hinterfragt die Studentin die Verhältnisse nicht weniger leidenschaftlich. Das war am Ende auch einer der Gründe, weshalb sich Veronika Rieger nach abgebrochenem Lehramt-Studium der Theologie zugewandt hat. Meckern könne jeder, aber am Ende gehe es doch darum, was man selbst daraus für Schlüsse ziehe. Für sie spiele etwa keine Rolle, dass sie nicht bibeltreu sei und nicht schon ihr Leben lang an Gott geglaubt beziehungsweise dessen Existenz zuweilen ganz in Frage gestellt habe. Heute sagt sie: "Mein Gott hat viele Namen". Nach ihren Vorstellungen sei er gütig und halte es auch aus, hinterfragt zu werden. "Von den Stereotypen, die man mit Pfarrern verbindet, trifft kein einziges auf mich zu", sagt die angehende Theologin selbstbewusst.

Von der Kanzel ins Rampenlicht kam Veronika Rieger durch Zufall. Sie erzählte ihrer Freundin Felicitas Brembeck, in der Slam-Szene deutschlandweit als "Fee" bekannt, von ihrer Schreiberei - und die ließ nicht locker, bis sie einen ihrer Texte lesen durfte. Die Erfahrene überredete die Unerfahrene, bei einem Poetry Slam in der Münchner Kneipe Stragula aufzutreten. "Ich dachte mir schon, bevor ich einen von ihren Texten gelesen habe, dass Veronikas Persönlichkeit wie für die Bühne gemacht ist", sagt Fee, die selbst 2016 unter den Tassilo-Preisträgern war. Sie sei sich sicher gewesen, dass Veronika nicht nur schöne sprachliche Bilder zu Papier bringen, sondern diese auch für das Publikum lebendig werden lassen könne.

Riegers Texte handeln von Selbstliebe, von Misshandlungen, von Homophobie, von Sexismus - gegenüber Männern und Frauen. Es sind gesellschaftlich relevante Themen, aber vor allem Themen, die sie selbst bewegen, wütend machen, nachdenklich stimmen. Zu ihr, die nicht nur slammt und studiert, sondern auch noch ausgebildete Notfallseelsorgerin ist, seien schon häufiger Menschen gekommen, die Opfer von psychischer und physischer Gewalt geworden sind. Fast täglich wird sie auf den verschiedensten Kanälen mit allen erdenklichen Formen von Alltagssexismus konfrontiert. In ihren Texten gibt es natürlich immer ein lyrisches Ich - das nicht mit Veronika übereinstimmen muss.

Slammen? Predigen? Gibt es denn da überhaupt Unterschiede in den Texten? "Als Slammerin bin ich Entertainerin, als Pfarrerin verkünde ich das Wort Gottes". In beiden Fällen gehe es aber um die Wahl der richtigen Worte, darum, seine Zuhörerschaft zu erreichen, aber eben mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln und mit anderer Intention. Auf der Bühne will Veronika Rieger ihr Publikum unterhalten. Auf der Kanzel schon auch - aber hier sei sie zusätzlich Dienstleisterin für ihre Gemeinde.

Vorschläge für den Tassilo-Preis können per E-Mail unter tassilo@sueddeutsche.de oder stadtviertel@sueddeutsche.de oder per Post an die Stadtviertel-Redaktion geschickt werden: Hultschiner Straße 8, 81677 München. Einsendeschluss ist Mittwoch, 28. Februar.

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