MVV-Tarifreform:Ein Soli für Bus und Bahn

MVV-Tarifreform: Ist es sinnvoll, wenn niemand in München mehr zahlen muss als bisher? Oder sollte mit den Steuergeldern lieber die Infrastruktur verbessert werden?

Ist es sinnvoll, wenn niemand in München mehr zahlen muss als bisher? Oder sollte mit den Steuergeldern lieber die Infrastruktur verbessert werden?

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Tarifreform des MVV hängt bislang an der Frage, wer künftige Einnahmeausfälle auffängt. Eine Idee: der Freistaat und die Kommunen, also die Steuerzahler. Aber wäre das gerecht?

Ein Pro und Contra von Kassian Stroh und Andreas Schubert

Na, bravo! Da hätte der MVV eine sinnvolle und überfällige Reform seines komplizierten Tarifsystems beschließen können. Und woran hakt es? Am Geld. Es ist nun mal so: Wird das Ticketsystem einfacher, dann wird es für manche teurer, für andere günstiger. Das ist Mathematik. Und es muss scheitern, wenn man sich darauf versteift, dass insgesamt nicht weniger Geld in die Kasse kommen darf, dass aber auch künftig niemand mehr zahlt als bisher. Das ist Politik. Beides verträgt sich nicht, es sei denn, man wählt einen Ausweg: Die öffentliche Hand, also die Kommunen und der Freistaat, müssen den Fehlbetrag ausgleichen, müssen Geld zuschießen, Steuergeld. Und das wäre sinnvoll.

Sicher: Der öffentliche Nahverkehr wird schon jetzt massiv subventioniert bei Investitionen in die Infrastruktur, beim Bau neuer Gleise etwa - und zwar mit weit mehr Geld, als jetzt bei der Tarifreform in Frage steht. Aber es gibt gute Gründe dafür, dies auch beim Betrieb zu tun, also bei dem, was bisher weitgehend durch die Ticketverkäufe gedeckt wird.

Am deutlichsten wird das am Beispiel der Sozialtickets, die künftig auch in den Landkreisen im Umland gelten sollen. Lange haben sich die Landräte geweigert, diese Ermäßigung aus ihren Etats zu zahlen; nun verweigert der Freistaat seine Zustimmung. Daran die Reform mit scheitern zu lassen, wäre indes absurd. Hier geht es um Sozialpolitik, nicht um Verkehrspolitik; es leuchtet nicht ein, warum der Bahnfahrer A den armen Rentner B quersubventionieren soll. Das muss der Steuerzahler tun.

Das gilt aber auch generell für die Tickets: Wenn niemand in München mehr als bisher zahlen soll (ein hehres Anliegen in dieser teuren Stadt), dann muss die öffentliche Hand einspringen. Und herauskäme eine Tarifreform mit Wucht; sie wäre die beste Werbung für den MVV, würde den Nahverkehr auch attraktiv machen für Menschen, die bislang das Auto vorziehen. Wäre das ungerecht, weil dann auch der radfahrende Innenstadt-Bewohner, der keine U-Bahn braucht, mit seinen Steuern eben jene U-Bahn mitbezahlt? Ja. Aber er hätte auch was davon: weniger Schadstoffe in der Luft zum Beispiel.

Bisher scheuen die Politiker vor diesem Weg der Zuschüsse auch deshalb zurück, weil sie Angst haben, dass die EU dies als unzulässige Unterstützung der Verkehrsbetriebe werten könnte. Aber es ist auch diese EU, die (völlig zu Recht) darauf pocht, Grenzwerte der Luftbelastung einzuhalten, bei Feinstaub wie Stickoxiden. In einer wachsenden Stadt gibt es da nur eine Lösung: Mehr Menschen aufs Rad und in den öffentlichen Nahverkehr. Diese Auseinandersetzung muss geführt werden - zur Not auch mit der EU.

(Von Kassian Stroh)

Contra: Mit dem Steuergeld lieber die Infrastruktur verbessern

Jede Reform hat ihre Gewinner und Verlierer. Im Falle des MVV wären die Verlierer die Zeitkartenkunden, die bisher mit nur zwei Ringen auskamen. Alle anderen mit Wochen- oder Monatstickets im Stadtgebiet kämen deutlich billiger weg. Dass die Stadt die Zwei-Ring-Fahrer schonen will, ist ja ganz ehrenhaft. Aber man kann es auch anders sehen, wenn man den öffentlichen Nahverkehr als Solidarsystem begreift - und zwar als Solidarsystem der Fahrgäste, nicht aller Bürger. Letzteres wäre es, wenn man noch zusätzlich Steuergeld ins System pumpen würde.

Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn MVV-Kunden ein Ticket kaufen müssen, mit dem sie sich unbegrenzt in der Stadt bewegen können? Im Maximalfall 120 Euro im Jahr mehr ist durchaus bezahlbar, ein einziger Besuch auf der Wiesn kostet da oft mehr. An diesem Betrag muss keine Reform scheitern. Für Rentner und Bedürftige sowie für Jugendliche gibt es ohnehin Ermäßigungen.

Die MVV-Kunden, die künftig mehr bezahlen, können dann ja auch in einem deutlich größerem Gebiet fahren. Bisher kommt man mit zwei Ringen nicht einmal bis zum Olympia-Einkaufszentrum. Im Zweifelsfall nutzt der Zwei-Ring-Fahrer dann halt doch das Auto, verschwendet Benzin, Parkgebühren, und - in München ganz besonders - viel zu viel Lebenszeit. Hauptsache, er ist vom MVV nicht ungerecht behandelt worden, willkommen in der Ich-Gesellschaft. Die bisherige Blockadehaltung von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der sich ja stets für weniger Auto- und mehr öffentlichen Nahverkehr ausspricht, ist da nur bedingt nachzuvollziehen. Aber so ist das oft in der Politik: Bevor man es sich mit irgendwem verscherzt, macht man am besten gleich gar nix.

Dann gibt es noch die Baustelle Sozialticket. Die Landkreise und die Stadt wollen sich an der Finanzierung beteiligen, der Freistaat muss noch überzeugt werden. Was ist aber, wenn er sich nicht überzeugen lässt? Bisher betonte das Innenministerium stets, dass das Land mit der Bestellung der S-Bahn schon genug Geld für das Angebot im MVV ausgebe. Man sollte sich also nicht darauf verlassen, dass das Sozialticket mit Steuermitteln finanziert werden kann.

Dann sollte man ernsthaft überlegen, ob nicht jeder Kunde einen kleinen Mehrpreis für sein Ticket erduldet. Mit dem vorhandenen Steuergeld sollte man lieber die Infrastruktur verbessern, neue Tram- und U-Bahnlinien erschließen, ein dichteres Busnetz schaffen. Wer ein gutes Angebot bekommt, der ist auch eher bereit, ein Zeichen der Solidarität zu setzen und ein bisschen mehr für sein Ticket auszugeben. Billiger als Autofahren ist eine Jahreskarte im MVV allemal.

(Von Andreas Schubert)

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