Tanz den Gasteig:Erst Schlange, dann Tango

Die Münchner verwandeln ihr Kulturzentrum in ein riesiges Tanzparkett und feiern dort bis spät in die Nacht eine rauschende Party

Von Anna Hoben

Was ist denn das? Gruppen-Yoga? Im Hof des Kulturzentrums Gasteig stehen geschätzt 200 Menschen und zeigen mit ihren Armen, wie der Mond aufgeht. Es geht zwar in München um 18 Uhr noch lange kein Mond auf; die Sonne strahlt so schön, wie sie nur kann. Aber die Sache mit dem Mondaufgang gehört zur Übung, und die hat mit Yoga nichts zu tun. Der Hof des Gasteigs trägt den schönen Namen Celibidacheforum, nach Sergiu Celibidache, dem ehemaligen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Auf einem Podest steht nun eine Frau, und auch sie dirigiert, wenn man so will - nämlich die 200 Leute, denen sie gerade das Tanzen à la Bollywood beibringt. Und dazu gehört auch die Geste mit dem aufgehenden Mond.

Paare, Studenten, gestandene Männer, Frauen mit Tuch auf dem Kopf und Kleinkind im Arm, Jugendliche, Frauen mit Sektgläsern, sie alle wollen die Choreografien aus den beliebten Filmen lernen, diese Mischung aus Jazz Dance, Hip-Hop und klassischen indischen Tänzen. Carolin Dassel und ihre Co-Vortänzerin, beide in leuchtend pinken Kleidern mit viel Glitzer, zeigen es ihnen gerne: "Jump, jump, turn", ruft Dassel, und dann kommt wieder eine Eselsbrücke für die nächste Geste: "Den Schleier vors Gesicht ziehen und dann öffnen." 200 Leute drehen sich, öffnen den Schleier, plaudern und lachen.

Im vergangenen Jahr war zum ersten Mal der ganze Gasteig zur Tanzfläche geworden, damals war es das Fest zum 30. Geburtstag des Kulturzentrums. Es geriet zur rauschenden Party, die Veranstalter waren überwältigt von dem Besucheransturm. Und so fand die Veranstaltung in diesem Jahr erneut statt. Einen konkreten Anlass gab es dieses Mal nicht. Aber reicht es nicht, dass der Sommer da ist? Dass die Menschen vor Lebenslust fast platzen? Und dass in München offenbar ein überragendes Bedürfnis nach Veranstaltungen wie dieser existiert? "Wir haben da in etwas reingestochen, von dem wir gar nicht wussten, dass es das gibt", sagt Gasteig-Sprecher Michael Amtmann. Deshalb soll "Tanz den Gasteig" auch 2018 stattfinden, in der Walpurgisnacht, als Tanz in den Mai anlässlich des Faust-Festivals. Allerdings dann nur drinnen, nicht im Freien.

Die Idee ist auch einfach gut. Niemand muss Eintritt zahlen, jeder kann kommen, vom Nachmittag bis tief in die Nacht, kann Schnupperkurse absolvieren oder Profis zusehen. Schon am frühen Abend drängen sich die Menschen draußen auf dem Celibidacheforum und drinnen in den Räumen. Auf den Stufen zur Rosenheimer Straße sitzen Mädchen, verspeisen ein Vesper und massieren sich die Waden, vielleicht haben sie sich beim Hip-Hop verausgabt.

Nach drinnen, durch den Haupteingang, einen Blick in die Mini-Disco werfen, wo kleine Menschen ab sechs Jahren sich ausprobieren dürfen und das ganz unter sich - es herrscht Elternverbot. Die Sache mit den Wegen an diesem Tag ist bloß die: Man kommt erst einmal gar nicht da hin, wo man eigentlich hin will, weil es unterwegs immer etwas anderes Tolles gibt, das man sich auch noch anschauen will. Auf dem Weg zur Mini-Disco sind es zwei silbergrau gekleidete und geschminkte Tänzer vom Ballett des Gärtnerplatztheaters: Sie nutzen die Rolltreppe, eine fährt aufwärts, eine abwärts, für eine melancholische Choreografie. Großer Applaus.

Das Gärtnerplatztheater, erzählt Gasteig-Sprecher Michael Amtmann, ist heuer das erste Mal mit dabei, und dessen Tänzer lieferten gleich jede Menge Ideen. Zum Beispiel draußen, auf dem Forum: Da steht ein Fahrrad, und wer sich darauf eine Weile lang abstrampelt, bringt damit nicht nur eine Glühbirne zum Leuchten, sondern auch David Valencia zum Tanzen. Korrespondierend mit der Intensität des Pedaltretens und dem Flackern der Glühbirne bewegt und verdreht der Tänzer sich, zuckt, hüpft und erstarrt.

Vor dem Chorprobensaal: eine etwa 20 Meter lange Schlange, die in kurzer Zeit auf 50 Meter anwächst. "Steht ihr alle für Tango an?", fragt eine junge Frau in die Schlange, die Antwort: Nicken. "Ja brutal." Die Tangokurse müsse man beim nächsten Mal größer machen, wird Sprecher Amtmann später sagen. Obwohl der Kurs drei Mal nacheinander angeboten wurde, hat es nicht gereicht; einige Interessierte mussten abgewiesen werden. Rosi Dellinger und Reinhilde Rapp haben es hinein geschafft. Die beiden 68-Jährigen sind extra aus Passau mit dem Zug gekommen, sie haben schon gleich zu Beginn zur Volksmusik mitgetanzt, "das war ganz toll", sagt Rosi Dellinger. Sie wollen noch zu den höfischen Tänzen und zum Boogie Woogie. "Und dann müssen wir wieder heimfahren." Der Zug geht um halb zehn.

"I wanna dance", ich will tanzen, ruft ein kleines Mädchen kurz darauf in der Philharmonie. Die Tanzschule Wolfgang Steuer gibt einen Walzerkurs, die Fläche ist voll, bisher Fremde fordern einander auf, und dann geht's auch schon los zum Dauerbrenner "Que sera". Scheinwerfer tauchen die Menge in ein bläuliches Licht.

Zu Hochzeiten seien 3000 Menschen gleichzeitig da gewesen, schätzen die Verantwortlichen tags darauf. Über den Tag verteilt könnten es bis zu 9000 gewesen sein. Das Beste sei zum Schluss gekommen, sagt Sprecher Amtmann: Salsa, Rock 'n' Roll, Swing. Elektronische Tanzmusik vom Club Harry Klein, kombiniert mit den Tönen der Jazzrausch Bigband in der Black Box. Viele junge Leute kamen spät - und sie blieben lang. Zur Musik der DJane Stefanie Raschke wurde auch um 2.30 Uhr noch getanzt und getanzt und getanzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: