Wandel in München:Wenn aus der Tankstelle eine Galerie wird

Wandel in München: Wenn die Zapfsäulen verschwinden, wird oft auch die Untertagewelt einer Tankstelle mit Rohren und Tanks aus dem Boden gerissen. So auch bei der zur Galerie umfunktionierten Metropol-Garage.

Wenn die Zapfsäulen verschwinden, wird oft auch die Untertagewelt einer Tankstelle mit Rohren und Tanks aus dem Boden gerissen. So auch bei der zur Galerie umfunktionierten Metropol-Garage.

(Foto: Stephan Rumpf)

Kleinere Betriebe, die weder einen Shop noch eine Waschanlage haben, müssen in München oft aufgeben.

Reportage von Heiner Effern

Für Günter Friedl war es eine Lebensentscheidung. Er hatte sich durchs Bildungssystem gekämpft, eine Lehre als Kfz-Mechaniker absolviert, den Meister draufgesetzt, das Abitur nachgeholt, studierte Maschinenbau. Und da kam das Angebot, eine Tankstelle zu übernehmen. Nicht durch Zufall, Friedl kannte sich aus, er hatte schon im Zapfstellen-Geschäft gejobbt. Also wog er ab, die Lage für Ingenieure galt damals nicht als rosig, und er schlug zu. Er wählte in den 1990ern die vermeintlich sichere Lösung, doch wenn er sich nun in München umschaut, sieht die Lage anders aus. "Es gibt ein Tankstellen-Sterben", sagt Friedl.

Der Unternehmer, der selbst ein Autohaus und eine Tankstelle an der Dülferstraße betreibt, kennt dieses Phänomen aus Gesprächen mit Kollegen. Dazu hat er als Vorsitzender des Verbands des Tankstellengewerbes in Bayern auch einen Überblick über die Branche und die aktuellen Zahlen in Deutschland. Die meisten Stationen gab es im Jahr 1969, damals wurden in der Bundesrepublik 46 684 gezählt.

So wenige wie im vereinigten Deutschland des Jahres 2017 registrierten die Statistiker seit Beginn der Aufzeichnungen nicht: 14 152 Tankstellen. In den letzten Jahren gehen die Zahlen zwar weiter konstant zurück, aber eher schleichend. In München dagegen zeichnet sich ein anderes Bild ab. Aktuell sind laut den Statistiken des Kreisverwaltungsreferats 182 Tankstellen in Betrieb. Vor fünf Jahren konnten Autofahrer noch an 196 Stationen Diesel und Benzin nachfüllen.

Dafür gibt es Gründe, die mit der Stadt München nichts zu tun haben: Die Autos verbrauchen schlicht weniger Sprit, weshalb die Tankstellen trotz vielerorts steigender Zulassungszahlen weniger Benzin und Diesel verkaufen. In den vergangenen zehn Jahren sei die verkaufte Menge im schnitt um drei Prozent gefallen, sagt Tankstellen-Funktionär Friedl.

Dazu kämen ein Wust an Dokumentationen, schwierige Genehmigungen und knüppelharte Verträge der großen Minerölkonzerne. Das führe dazu, dass deren Pächter drei bis vier solcher Stationen führen müssten, um wirtschaftlich überleben zu können. Mit einer bleibt man "gerade mal über Hartz-IV-Niveau", sagt Friedl. Diesel und Benzin seien branchenübergreifend dabei nur noch das Nebengeschäft, hängen bleibe nur etwas in Shops und Waschanlagen. Das führt zu einer Konzentration auf große, leistungsstarke Stationen mit einer Art Supermarkt.

München: Umgenutzte TANKSTELLE

Die charakteristischen Bauten lassen sich für vielerlei Zwecke nutzen: In der Dachauer Straße wird Maler- und Künstlerbedarf verkauft.

(Foto: Johannes Simon)

Das ist der Punkt, an dem sehr spezifische Münchner Ursachen für das Tankstellen-Sterben greifen. Hier sei der Kampf um jede freie Fläche, egal ob für Gewerbe oder den Wohnungsbau, besonders hart, sagt Friedl. "Eine Tankstelle rechnet sich nicht, schon mit einem zwei- oder dreistöckigem Gebäude verdient man als Eigentümer viel mehr." Umgekehrt beginnen für einen Unternehmer, der ein teures Grundstück ergattert hat, erst die Herausforderungen, wenn er neu bauen will. Tankstellen-Funktionär Friedl zitiert dabei gerne sein persönliches Ranking der kompliziertesten Baugenehmigungen im Land: "Atomkraftwerk, Start- und Landebahn für einen Flughafen, Tankstelle." Na ja, Chemiefabriken gehörten wohl auch noch den Highlights, legt er nach.

Einer, der es trotzdem immer wieder probiert mit neuen Ideen, ist Christian Amberger. Seine Familie betreibt unter dem Namen Allguth 30 Stationen in München und im Umland. "Tankstellen sind in denkbar schlechter Situation, wenn sie um Flächen handeln. Überall dort, wo Verträge auslaufen, wird es schwierig, einen Anschlussvertrag zu bekommen", sagt Geschäftsführer Amberger. Die Zeiten, in denen im Parterre eines Mehrfamilienhauses mal eben eine Tankstelle einziehen konnte, sind schon lange passé. Sein Erfolgsrezept beschreibt Amberger auf der Homepage: "Wir sind die Frau unter den Tankstellen. Wir können nämlich vier Dinge gleichzeitig: Tankstelle, Waschstraße, Getränkemarkt, Shop."

Es gibt keine Grundstücke für Tankstellen mehr

Allguth-Tankstellen stehen vielen Getränkeläden in nichts nach. In einer Station gibt es seit Ende 2016 eine LED-Waschstraße, die den "Kunden eine Lichtershow" bietet. "Wir entwickeln uns ständig weiter, gerade auch in den Shops", sagt Amberger. Zum Repertoire gehöre zum Beispiel neben der Lotto-Annahme mittlerweile auch ein Ticketschalter für Konzertkarten. In Trudering betreibt seine Firma eine Wasserstofftankstelle, "als Investition in die Zukunft". Amberger würde gerne mehr neu bauen, doch "es gibt kein Grundstück auf dem Markt".

Falls doch, können in München nur noch finanzkräftige Investoren oder die Ölkonzerne selbst bauen. Die kleinen Stationen mit zwei Zapfsäulen würden immer mehr verschwinden, prophezeit Geschäftsführer Amberger. "Das funktioniert nicht mehr." Einen großen Konzern wie Aral kann das nicht beunruhigen, er konnte die Zahl seiner Tankstellen in München in den vergangenen zehn Jahren sogar steigern: von 27 auf 29. "Größere, leistungsfähigere und effizientere Tankstellen" würden weniger wirtschaftliche ersetzen, teilte ein Sprecher mit.

München: Umgenutzte TANKSTELLE

Auf diesem Grundstück in der Ligsalzstraße konnten früher Autos betankt werden, heute werden sie dort repariert und verkauft.

(Foto: Johannes Simon)

Kraftstoffe haben dort nur noch eine geringe Bedeutung: Etwa elf Prozent seines Umsatzes verdient ein Pächter laut Aral noch mit Benzin oder Diesel, 62 Prozent im Shop und 18 Prozent in den Waschanlagen. Der Rest verteilt sich auf kleinere Posten. Trotz der sinkenden Zahl an Tankstellen insgesamt würden die modernen Stationen mit den vielen Zapfsäulen den Bedarf der Autofahrer decken, heißt es in der Mitteilung. Sieht Aral die Gefahr einer Unterversorgung? "Nein", heißt es darauf lapidar.

Schon jetzt betreiben die Großkonzerne laut dem Verband des Tankstellengewerbes in Bayern etwa 60 Prozent der Stationen selbst, die sie an Pächter vergeben. Etwa 35 Prozent gehören privaten Unternehmern, die einen Liefervertrag mit einem Ölkonzern haben. Nur etwa fünf Prozent agieren völlig eigenständig am Markt. Alle Betreiber haben aber laut dem Tankstellen-Verband das gleiche Problem: Sie suchen verzweifelt nach gutem, verlässlichen Personal.

Das liegt laut Verbandschef Friedl aber nicht an der Angst vor Überfällen, wie der Laie angesichts der zumindest gefühlt häufigen Polizeimeldungen mit entsprechendem Inhalt vermuten könnte. Denn der Hauptteil des Geschäfts wird über EC- und Kreditkarten abgewickelt, größere Mengen Bargeld sind oft nicht mehr zu holen. "Das hat sich bei den Kriminellen rumgesprochen." Zumindest bei denen, die noch rational denken könnten. "Die sprengen lieber irgendwo einen Tresor", sagt Friedl. Ihm und seiner Branche machten andere Gesetzesübertreter zu schaffen: Angestellte, die ihm Shop Waren mitgehen ließen. "Ich habe 2018 schon zwei erwischt."

Dennoch wird Friedl weiter seine Tankstelle betreiben, denn den entscheidenden Schritt für mehr Lebenssicherheit hat er schon vor einigen Jahren getan: Seine jetzige Station pachtet er nicht mehr von einem Ölkonzern. Und mit dem Autohaus im Rücken kann er so lange Kraftstoffe verkaufen, wie es sich noch rechnet.

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