Tag der offenen Tür:Neun Fäden für ein Leben

Tag der offenen Tür: Am Tag der offenen Tür können Kinder den Fundus des Münchner Marionettentheaters bewundern: etwa 500 selbstgemachte Puppen.

Am Tag der offenen Tür können Kinder den Fundus des Münchner Marionettentheaters bewundern: etwa 500 selbstgemachte Puppen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit 18 Jahren leitet Siegfried Böhmke das Marionettentheater

Von Inga Rahmsdorf

Draußen begrüßt ein Drehorgelspieler auch ältere Frauen mit "Hallo, Mädchen". Und wenn einer das darf, dann ein noch älterer, gestandener Drehorgelspieler vor einem Marionettentheater, das in diesem Jahr sein 160-jähriges Bestehen feiert. Drinnen tanzen Puppen an mindestens neun Fäden. So viele braucht eine Marionette als Minimum, um sich bewegen zu können, von den Händen bis zum Po. Für einen Handstand reicht das allerdings noch nicht. Es ist Sonntag und Tag der offenen Tür im Münchner Marionettentheater.

Theaterchef Siegfried Böhmke führt durch die Räume hinter und über der Bühne, bis hinauf ins Dachgeschoss. Es ist eng, die Besucher wandern an hölzernen Bäumen, Schlössern und Häusern entlang, und eine schmale Wendeltreppe hinauf. An Ritter Rost, dem kleinen Bären und Frau Holle vorbei. Zwischen Clowns, Königen, Ratten und Drachen hindurch, die in allen Größen und Formen an Haken hängen, in Regalen stehen oder an den Wänden lehnen. Mehr als 500 Figuren wohnen in dem Theater, alle sind selbst gemacht. Darunter sind nicht nur Marionetten, sondern auch Stabpuppen, Handpuppen und Klappmaulpuppen. "Und um Mitternacht werden sie alle lebendig", sagt Böhmke.

Er ist seit 18 Jahren Intendant des Münchner Marionettentheaters, führt Regie, macht die Beleuchtung, entwirft Bühnenbilder, ist Sprecher, kann Comicstimmen imitieren und baut Puppen. Bis auf die Technik und die Beleuchtung wird noch alles handgemacht in dem Marionettentheater. Gemeinsam mit sechs festangestellten und bis zu 15 freien Mitarbeitern führt Böhmke derzeit 25 verschiedene Stücke auf. Im Winter sei das Theater zu 100 Prozent ausgelastet, im Sommer sei es abhängig vom Wetter.

Als Böhmke elf Jahre alt war, kam er zum ersten Mal an dem Gebäude in der Blumenstraße vorbei, das der Architekt Theodor Fischer im Jahr 1900 eigens für das Marionettentheater entworfen hatte und das seitdem der Stadt gehört. Über dem Eingang hing damals das Schild mit der Aufschrift: "Heute wird gespielt". Der Elfjährige besuchte eine Vorstellung und "als der Vorhang aufging und ich das erste Bild sah, da war es um mich geschehen", erinnert sich Böhmke. Seitdem lässt ihn das Puppenspiel nicht mehr los. Er absolvierte eine Ausbildung in London bei Jim Henson, dem Erfinder der Muppet Show, und arbeitete mehrere Jahre für die Fernsehserie Die Fraggles, bevor er das Marionettentheater in München übernahm. "Das ist mein Leben", sagt er. Das mag zwar etwas pathetisch klingen, doch wer sich von Böhmke das Theater zeigen lässt und seine Begeisterung erlebt, der hat keine Zweifel mehr daran, dass es genau so ist.

Neben den Stücken für Kinder richten sich etwa 30 Prozent der Aufführungen an Erwachsene, die Zauberflöte etwa oder Don Giovanni. Während einer Vorstellung arbeiten jeweils drei bis neun Puppenspieler hinter der Bühne, je nachdem wie aufwendig die Produktion ist. Sie stehen auf zwei hohen Brücken, die sich auf Rollen verschieben lassen, und bewegen von dort die Figuren, die an langen Fäden unter ihnen hängen. Und an den Tagen, an denen auf der Bühne etwas geboten wird, hängt wie eh und je draußen über der Tür das Schild: "Heute wird gespielt".

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