Szene München:Zähe Koalitionsverhandlungen im Nachtleben

Bar "Freebird" in München, 2014

Gute Drinks in einer netten Bar: Weggehen mit Freunden könnte so einfach sein, doch meistens wird es kompliziert.

(Foto: Florian Peljak)

Alexander schmollt, Christian wird es zu blöd, weil nichts weitergeht. Und plötzlich taucht Martin auf. Wer mit Freunden weggehen will, muss sondieren und koalieren können.

Kolumne von Bernhard Hiergeist

Mehr als 100 Tage ist das Land jetzt schon ohne eine richtige Regierung. Armes Deutschland, danke Merkel, lächerlich das. Wie unfähig muss man sein? Einigt euch endlich! Was kann denn daran eigentlich so schwer sein?

So geht - seit fast genauso vielen Tagen - das Empörungs-Bingo, und man muss auch mal sagen: Das ist hochgradig ungerecht. Eigentlich dürften nur die klagen, die noch nie Probleme hatten, sich in einer Gruppe auf irgendetwas zu einigen. Sondieren und Koalieren ist schwer, das sollten alle wissen, die schon einmal einen Weggeh-Abend mit Freunden planen durften (oder mussten). Die Nacht hat so schön begonnen, wo geht's jetzt zum Tanzen hin? Die Stimmung ist gut, bestimmt ziehen nun alle an einem Strang.

Schlaglichter eines Abends, irgendwo in München: Angela hat zum Vorglühen in ihre WG eingeladen. Wo es hingehen soll? Ihr ist das egal. Sie freut sich, dass alle da sind, und spricht den ganzen Abend über kein Wort. Anton und Claudia sagen, sie wären dabei, bei allem. Hauptsache, sie könnten dann morgens um fünf noch heimradeln.

Alexander will in die Hopfendolde, wie jeden Abend in den vergangenen zwölf Jahren, seit er in München wohnt. Jetzt hebt er an zu einem lautstarken Lamento, darüber, dass alle Welt nur noch auf Techno- oder Schranzpartys gehe, dass er bei dieser Diktatur nicht mehr mitmachen wolle, er wolle jetzt in den Kunstpark Ost. Sein Spezl Horst, früher, als die Disco noch Disco hieß, immer der Erste auf dem Tanzpodest in ebenjener Disco, jetzt altersmilde, legt ihm den Arm auf die Schulter. Alexander schmollt.

Christian wird es jetzt zu blöd, weil nichts weitergeht. Er kippt den Rest Wodka Bull hinunter und fährt dann mit dem Uber-Taxi allein ins P1. Das lässt die anderen in Schockstarre zurück. Christian rauscht ab, draußen steht aber schon - Überraschung - Martin. Den hätte heute nun wirklich keiner mehr erwartet, der hatte eigentlich schon abgesagt. Wegen des Winters, wegen des Sofas, wegen Streaming-Angeboten. Aber jetzt ist er doch da, mit einem Literpack Chianti unter dem Arm. Andrea und Natascha haben ihn mitgeschleppt. Man müsse nach so einer harten Arbeitswoche jetzt richtig steil gehen, sagt er, davon hänge alles ab, auch für ihn persönlich. Einen Vorschlag, wo man hin könnte, hat er aber nicht.

Hier blenden wir aus. Klingt das vertraut? Sage noch einer, das Politische wäre nicht privat.

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