Gewohnheiten bestimmen die Wahrnehmung. Wer zum ersten Mal ein Fußballspiel sieht, wundert sich, warum in der Fröttmaninger Arena Männer mit roten Hosen bejubelt und alle anderen ausgepfiffen werden. Schon beim zweiten Besuch wird er aber vielleicht bereits mitgrölen und mitschmähen. So läuft das hier also, lernt man.
Auch derjenige, der zum ersten Mal ein Konzert im Gasteig hört. Er fragt sich, wie es die Menschen schaffen, synchron in den Pausen zu hüsteln. Bald wird klar, dass es sich nicht um ein Unisono handelt, sondern um eine Äußerung des Publikums: Kein Geräusch soll das Jahrhundertereignis stören, wir räuspern uns nur in der Pause. Und auch wer das erste Mal das Schumann's besucht, wie zwei Herren neulich, wundert sich über Dinge, die Stamm-Schumännern längst nicht mehr auffallen.
Der Name verbreitet ja Ehrfurcht. Debütant eins war unsicher, ob er überhaupt in Jeans und T-Shirt eingelassen werde. Wurde er, an der türsteherfreien Tür. Debütant zwei, seines Zeichens Bierkenner, schlägt die Getränkekarte auf. Nur Pils und Guinness? Die Ehrfurcht sinkt mit jedem Schluck. Ist das hier doch nur ein ganz normaler Laden? Nicht ganz. Im Eck hockt ein Filmboss mit einem Regisseur. Die Prominenz ratscht hier, während der Mann am Piano seichte Akkordteppiche ausrollt.
Eine Frau fragt, ob er denn nicht auch etwas von Chopin spielen könne. "Ja gerne, nur nicht auswendig", antwortet er. Sie wirkt empört - er auch. Chopin! Da hüstelt man in den Pausen, statt mit dem winzigen Pilsglas anzustoßen.
Die Debütanten sind das nächste Mal wieder an anderer Stelle verabredet, wo es eine Jukebox und Münchner Bier in großen Gläsern gibt. Aus Gewohnheit.