Szene München:Freunde treffen? Nur zur Selbstoptimierung!

Lederhosentraining, Fitnessprogramm an der Wiese am Japanischen Teehaus im Englischen Garten

Lederhosentraining an der Wiese am Japanischen Teehaus im Englischen Garten.

(Foto: Florian Peljak)

Das typische Feierabendbier unter Freunden ist out. Heute trifft man sich zum Yoga, zum Joggen oder zum "Lederhosen Training" im Englischen Garten.

Von Laura Kaufmann

Früher, als bekanntermaßen noch alles besser war, konnte man sich ohne schlechtes Gewissen mit einer Flasche Wein oder einem Kasten Bier, einer Picknickdecke und netter Begleitung auf die Wiesen des Englischen Gartens setzen und den Abend gemütlich totschlagen.

Ohne schlechtes Gewissen, das heißt: ohne das Gefühl, die verstreichende Zeit eigentlich besser nutzen zu müssen. Zur Selbstoptimierung beispielsweise. Denn früher hüpften um die Picknickdecke nicht Dutzende im Takt Hampelmänner machende Menschen, mindestens ebenso gesellig wie die Picknicker, nur weniger faul.

Der Münchner verabredet sich heute nicht mehr auf ein Feierabendbier, er verabredet sich zum "Lederhosen Training" im Englischen Garten. Oder zur Skigymnastik. Frühmorgens zum "Wake up Yoga" vor der Arbeit, zum "City Run" quer durch die Stadt, inklusive Wadl stärkender U-Bahntreppen-Einheit. Die Sporttreffs, sie sind überall.

Lächelnde Frauen in eng anliegenden Neonfarben liegen auf dem Rücken und fuchteln mit ihren Beinen in der Luft; sie sind dekorativ unterhalb des Friedensengels um einen gestählten Trainer aufgereiht. Läufer mit ausdünnenden Haaren hecheln einem blonden Fitnessmodel am Isarufer hinterher, in der Hoffnung, so ihrer Wampe Einhalt zu gebieten.

Es ist schwer, dem Eifer dieser Treffs zu entfliehen. Jeder noch so kleine grüne Fleck wird zur körperlichen Ertüchtigung genutzt. Auf dem Weg zum Muffathalle-Biergarten stretcht sich gerade die Freeleticsgruppe. Sonntagspicknick auf der Pinakothekenwiese? Nebenan turnen die Capoeira-Tänzer ihren elegant anmutenden Kampfsport.

Am schlimmsten ist das euphorisierte Sportlergrinsen, das die guten Beispiele zur Schau tragen. Wenn sie denn wenigstens leiden würden unter ihrem vorbildlichen Verhalten, etwas verpassen würden, nämlich Picknicke und Biergartenabende oder Wiesnbesuche; aber offenbar fehlt es ihnen an nichts. Am Morgen schlüpft der trotzige Picknicker mit leicht dröhnendem Kopf in die Laufschuhe und dreht ein paar Runden gegen das schlechte Gewissen. Mit einem Mal fühlt er sich einsam dabei.

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