Szene München:Fass mir an die Schulter

Szene München: Eine Kellnerin bringt den Tee. Ob sie die Leute beim Servieren berührt hat, wissen wir nicht.

Eine Kellnerin bringt den Tee. Ob sie die Leute beim Servieren berührt hat, wissen wir nicht.

(Foto: Catherina Hess)

Früher musste man eine echte Münchner Bedienung stundenlang bezirzen, damit man den Schweinebraten überhaupt bestellen durfte. Heute berühren einen die Kellnerinnen ständig - warum nur?

Von Jakob Biazza

Man muss sich für das Folgende gedanklich nicht unbedingt in ein Steak-Lokal begeben - das Phänomen begegnet immer öfter auch in anderem Umfeld. Aber helfen würde es schon etwas, weil es da nun mal besonders gut hinpasst. Nobel-Kalb-Kosmos also: Wein, der vermutlich etwa ab 80 Euro die Flasche dekantiert wird, in der Karte mehrere Absätze Informationen über das Grillholz, lange Vorträge über die Marmorierung des "Prime-Cut-dry-aged-Grain-Fed" vor meterhohen Kühlschränken. Gäste, deren bluthochdruckrote Köpfe aus karierten Button-Down-Hemden herausleuchten, während sie die Vorträge anhören. Und die dazu passenden Kellner. Und Kellnerinnen.

Interessant sind hier die Kellnerinnen. Weil, ohne jetzt unbedingt eine Gender-Debatte provozieren zu wollen: Denen geht die Distanz gerade verstärkt verloren. Doch, doch. Und zwar in einem ganz buchstäblichen Sinne. Kellnerinnen fassen einem momentan sehr oft an die Schulter. Oder den Oberarm. Und in Steak-Lokalen eben noch etwas öfter. Und wenn sie es tun, dann nicht ein Mal. Und auch nicht wie aus Versehen. Sondern ständig. Wenn sie die Karte bringen. Wenn sie zum argentinischen Grass-Fed-Irgendwas-Cut raten ("Das ist was für euch, Jungs!"). Wenn sie hinterher Käsekuchen aufschwatzen, der dann immer "Cheesecake" heißt ("Der ist was für euch, Jungs!"). Wenn sie kassieren. Da eh.

Natürlich ließe sich das irgendwie auch als Fortschritt verbuchen. Früher musstest du eine echte Münchner Bedienung ja stundenlang bezirzen, um den Schweinebraten überhaupt erst bestellen zu dürfen, den sie dir dann blicklos auf den Tisch geworfen hat. Aber der Grund ist freilich ein anderer: Studien haben gerade wieder gezeigt, dass eine Bedienung, die den Gast regelmäßig berührt (das gilt übrigens für beide Geschlechter, aber die Männer schöpfen das gefühlt noch nicht so aus), deutlich mehr Trinkgeld bekommt.

Vor allem, wenn dezent Komplimente eingestreut werden: "Ihr seid echt mein absoluter Lieblingstisch heute, Jungs", war jüngst etwa wieder zu hören. "Fass mir an die Füße", müsste man da eigentlich antworten. Leider gibt es diese Redewendung aber eher nur in Norddeutschland.

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