Szene München:Bahnwärter Thiel: Feiern im Kuriositätenkabinett

Bahnwärter Thiel

Der Pavillon, ohne Schienenbus, war einst provisorischer Service-Bereich für den Kunstbau.

(Foto: Veranstalter)

Der 25-jährige Daniel Hahn hat auf dem Viehhof seine Vision eines Veranstaltungsortes verwirklicht. Für ein paar Monate zumindest.

Von Michael Zirnstein

Es ist ein Ort des Staunens, und das tut der Künstler des Abends auch. Obwohl er als Tubist von La Brass Banda, mit den Philharmonikern und als Kabarettist schon an vielen kuriosen Spielstätten in aller Welt aufgetreten ist.

So etwas aber hat Andreas Martin Hofmeir noch nie gesehen: "Das Pissoir is a oids Badwandl!", sagt der Echo-Klassik-Preisträger , bevor er sich vor seinem Auftritt noch einmal hinter die Bühne zurückzieht. Dazu dient ein ausrangierter, noch mit Sitzbänken möblierter Schienenbus, der die Wand zu der dreieckigen Halle durchbrochen zu haben scheint.

Hier, im Bahnwärter Thiel, hält der Tubaprofessor Hofmeir gleich eine auf fünfeinhalb Stunden angesetzte Lesung mit Musik. Der schelmische barfüßige Tausendsassa passt wie sein Mundstück auf die Lippen zu dieser Spielstätte im Alten Viehhof, nur der Name seiner Biografie klingt wie Hohn in dieser Halle: "Kein Aufwand".

Es bedurfte enormer Anstrengungen, das Projekt Bahnwärter Thiel zu verwirklichen. "Meine Jugend und mein Idealismus haben mir sehr geholfen", sagt Daniel Hahn, 25 Jahre jung. Er ist eine Art Zirkusdirektor hier: Programmmacher, Baumeister, Strippenzieher und Besitzer. "Wenn mir einer vor einem halben Jahr gesagt hätte, dass wir hier heute so eine Halle stehen haben, ich hätte ihn für wahnsinnig gehalten."

Eine Art Tollwood wie in den Anfangstagen

Vielleicht ist auch Hahn der Verrückte. Im positiven Sinn. Allein schon, wie er das Gebäude gekauft hat. Für seinen Kunst- und Kulturverein Wannda - eine Art Tollwood wie in Anfangstagen - ist er ständig auf der Suche nach Geländen, auf denen er seine zwei Zirkuszelte aufschlagen und seine 25 Container Material lagern darf wie schon am Leonrodplatz, in Fröttmaning oder hier im Viehhof.

Vergangenes Jahr zeigte ihm ein Immobilien-Händler ein Foto von den Bauteilen für einen dreieckigen Pavillon, bis 2009 habe ihn der Kunstbau beim Lenbachhaus während des Umbaus als Service-Bereich zur großen Kandinsky-Ausstellung genutzt. Er habe fünf Minuten, sich zu entscheiden, ansonsten ginge alles an eine Entsorgungsfirma.

Daniel Hahn

Daniel Hahn besitzt auch schon Karussells und eine Ponyreitbahn.

(Foto: Michael Zirnstein)

Hahn handelte, und der WG-Bewohner handelte sich "für ein Vermögen" exklusive der fortlaufenden Einlagerungsmiete einen Haufen Probleme ein. Ohne zu wissen, wo und wie er die Halle würde aufstellen können. Bauanleitung und alle teuren Spezialschrauben hatte man weggeschmissen. Das einzige, was er hatte, war ein Foto der einstigen Frontansicht aus Google. Ein Riesenpuzzle für Erwachsene.

Er und sein Team haben es gelöst - "fast zu krass, der Aufwand". Zudem haben sie die Ausschreibung der Markthallen München zur Zwischennutzung des Viehhofs gewonnen. "Ein Geschenk!", jubelt Hahn. In einem der seltenen Momente der Ruhe überblickt er von einem Hochsitz aus den Pavillon.

Schiffschaukeln, Berggondeln, eine Ponyreitbahn und andere Wunderdinge

Alles ist voller Flitter, am Tag zuvor wurden hier oben das Sektballett, der vegane Jäger und andere Freaks vom Chapeau Club für eine Performance herausgeputzt. Zufrieden schaut Hahn, wie sich unter monströsen Discokugeln, Kronleuchtern, Schiffschaukeln und Berggondeln die 200 Stühle zur Tuba-Lesung füllen. Danach wird eine Elektro-Party bis morgens früh steigen. "Wir wollen einen Ort der Begegnung schaffen. Wir befriedigen menschliche Bedürfnisse - nach Kultur und wilder Feierei."

Für die Idee ist er als 15-jähriger Sendlinger noch ausgelacht worden. Da kam er auf dem Schulweg jeden Tag an einer alten Bahnwärter-Station vorbei und spann sich ein "Traumprojekt" aus: ein Kulturhaus namens Bahnwärter Thiel, nach der Hauptmann-Novelle, die sie gerade im Unterricht durchnahmen.

Die Bahn verkaufte nicht an den Schulbuben. So kaufte Hahn einem Zirkus ein Zelt ab. Es kamen Karussells dazu, Schießbuden (eine beherbergt nun eine Bar), eine Ponyreitbahn und andere Wunderdinge. Man hat es bei Hahn offensichtlich mit einer jungen Version vom Kulturhallenkönig und Kuriositätensammler Wolfgang Nöth zu tun. Der hat ein altes Bahnwerk, das Zenith, Hahn wollte immer eine Münchner U-Bahn besitzen.

Nur darf der MVV nicht an Privatleute verkaufen. Nach jahrelanger Suche fand Hahn einen von noch sieben MAN-Schienenbussen von 1952 in einer Halle in Berlin, hergestellt in München. Sammlerglück! "Hat ein Vermögen gekostet", dazu kam der Schwerlasttransport mit 15 Sattelschleppern zum jetzigen Standort. Eine verrückte Aktion, aber was für ein Blickfang.

Auf der Toilette klingelt ein altes Wählscheibentelefon

Und eine perfekte Bar. "Kunst muss immer einen Nutzen haben", sagt Daniel Hahn. Er sieht den Bahnwärter Thiel als Skulptur, begehbar und effektiv. Sonntags ist hier Platz für den "Krims & Krams"-Flohmarkt oder Filmeschauen wie in den alten Bahnhofskinos nach dem Krieg.

Bei den "Schienenbuskonzerten" am Mittwoch spielen, wie am 17. Februar das Speedblues-Duo Skinny Phil and Fat E. van G., Straßenmusiker bei freiem Eintritt, und lassen danach den Hut herumgehen. "Ganz unverfälscht."

Bei den Partys wie "Die Wilde 13" um ein Segelboot oder "Unser Laster" um einen Lastwagen dominieren Elektro-DJs. Die hat Hahn, der selber Geige gelernt hat, auch schon mit den Münchner Philharmonikern und 3D-Videokünstlern zusammengebracht, allerdings auswärts in den Postgaragen.

Er hat Kontakte, er hat die Gebäude, Ideen, Elan und Geld für die Miete. Was ihm fehlt, ist ein Ort zum Bleiben. Im Mai muss er hier alles abbrechen, dann zieht das Volkstheater auf den Viehhof um. "Wir suchen so sehr nach einem Platz", sagt er draußen vor seiner Halle und blickt auf eine alte Telefonzelle. Wenn man hier abhebt, klingelt auf der Toilette oder in der Bahn ein altes Wählscheibengerät. So kommen die Gäste ins Gespräch - und ins Staunen.

Bahnwärter Thiel, Programm von Mittwoch bis Sonntag, Alter Viehhof, Tumblinger Str. 29

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