Szene Kolumne:Problem: Alk

Die Jahreszeit für Chaos, Exzess und Zweituniform

Von Anna Hoben

S-Bahnhof Marienplatz, im Zwischengeschoss, vormittags unter der Woche: Drei junge Kerle stehen herum, offenbar wartend, auf etwas oder jemanden. Sie tragen Lederhosen, weißes Hemd, darüber Jacketts, die Frisuren sehen aus wie gemeißelt. Die Bierflaschen, die sie in der Hand halten, tragen sie wie Aktentaschen. Sie haben sich wohl frei genommen, von der Arbeit oder vom Praktikum, aber sie sehen nicht nach einem entspannten, freien Tag aus, sondern eher ziemlich angestrengt. Aus ihrer Sicht ist das sogar irgendwie verständlich, vor ihnen liegt ein langer Tag, und Trinken kann man ja mit demselben Eifer betreiben wie Arbeiten.

München steht Kopf. Wo sonst Ordnung herrscht wie nirgendwo sonst im Land, regiert zweieinhalb Wochen lang der Exzess, aber der geordnete, mit Taschenkontrollen und Sperrstunde. In der Stadt, in der am Hauptbahnhof Alkohol vom späteren Abend an komplett verboten ist, da ist es jetzt total okay, sich am selben Ort zum Frühstück eine Flasche Bier zu öffnen - bitte, man braucht doch eine ordentliche Grundlage! Wo sonst Menschen am Morgen angestrengt in Erstuniform zur Arbeit hasten, da hasten sie nun angestrengt am Morgen in Zweituniform zum Volksfest. Wenn sie dort ihr Tagwerk verrichtet haben, dann brummt ihnen der Schädel von all dem strapaziösen Zuprosten, Tanzen und Grölen. Sie stolpern dann in der Stadt umher, auf der Suche nach einem wohlverdienten Feierabendbier.

Kurz vor Mitternacht, am Wochenende, Sonnenstraße: Tirolerhüte torkeln, Trachten taumeln, Dirndl schwanken, alles Banane auf der Feierbanane. Am nächsten Tag ist Bundestagswahl, und kurz, ganz kurz, schießt einem die Frage durch den Sinn, ob das allgemeine Wahlrecht wirklich so eine gute Idee ist. Vor den Geschäften liegen Obdachlose, in manchen Eingängen sind es ein halbes Dutzend Leute oder mehr, sie haben sich zur Nacht gebettet, aber sie haben nicht mit den After-Wiesn-Menschen gerechnet. Man macht sich nun Sorgen, um die slalomlaufenden After-Wiesn-Menschen, vor allem aber um die schlafenden oder wahrscheinlich eher unruhig wachenden Menschen in den Eingängen.

Bald kommt wieder die Zeit, da es nicht der Normalzustand ist, zum Frühstück in der Öffentlichkeit Bier zu trinken, sondern wahlweise: Politik-Frühschoppen oder asozial. Eine Münchner Boulevardzeitung bringt die Sache ein paar Tage später in der unscheinbaren Bildunterschrift zu einer kleinen Meldung auf den Punkt, die kürzeste Formel aller Zeiten. Das Bild zeigt einen auf den Biertisch herabgesunkenen Sepplhut nebst einem vollen und mehreren halb leeren Masskrügen, darunter nur zwei Worte, verbunden durch einen Doppelpunkt: "Problem: Alk."

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