Münchner Nachtleben:Nur nach Hause will er nicht

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Heimgehen oder weiterziehen? (Foto: Alessandra Schellnegger)

Über den einen in der Gruppe, der beim Weggehen unbedingt weiterziehen will.

Kolumne von Laura Kaufmann

Manchmal gibt es diesen einen in der Runde, der brüllt: "Ihr wollt doch jetzt nicht nach Hause gehen, das ist nicht euer Ernst!" Er schützt Euphorie vor und bearbeitet seine Begleiter mit einer Dringlichkeit, als gehe es an diesem Abend und vor allem in dieser Nacht um alles - und noch mehr. Nur, den anderen reicht es langsam mit dem Abend. Sie wollten gemütlich im Bavarese im Dreimühlenviertel was essen und vielleicht auf ein weiteres Helles sitzen bleiben. Oder sie wollten nur beim Wolfi in der Pestalozzistraße Whiskey-Cocktails trinken, gemütlich sitzend. Oder kurz auf der Geburtstagsparty an der Isar vorbeischauen. Was sie nicht wollten: Weiterziehen. Langsam sind sie müde, morgen früh rufen die Berge, die Kinder, und überhaupt. Aber was dieser eine merkt: Dass die Stimmung langsam einschläft. Und was er auf gar keinen Fall will: Dass die Nacht schon aufhört.

Er fährt also aus dem Ruhemodus hoch, wird hektisch, es gilt, das Unglück zu verhindern und noch einen Club anzusteuern. Nur noch ganz kurz ins Charlie schauen, es wäre ja gar nicht weit und wenn es doof ist, könne man doch sofort wieder gehen. Oder sonst, im Blitz ist heute, nur heute, dieser geniale DJ. Oder warum nicht endlich mal wieder alle zusammen im Paradiso abspacken, so wie früher? Nur ganz kurz hierhin oder dorthin, noch ein Getränk. Was ist denn so schlimm an noch einem Getränk?

Der Nicht-nach-Hause-gehen-Wollende durchläuft mehrere Phasen, es reicht von der subtilen "Ihr wollt doch keine langweiligen Schnarchnasen sein?"-Erpressung bis zum bettelnden "Bitte, nur kurz halt!" Die, die diesen einen gut kennen, merken, dass er nicht ganz so energiegeladen und begeistert ist, wie er tut. Er ist allein. Egal ob seit kurzem, mit frischem Schmerz, oder seit langem, mit dumpfem Schmerz. Niemand wartet zu Hause. Für diesen einen ist jede Nacht eine Chance, dass etwas den Schmerz lindert. Eine Zufallsbegegnung, die ihn hoffnungsfroh stimmt oder jemand, der mit ihm das Bett teilt für die Nacht. Manchmal lässt sich der Schmerz einfach wegtanzen, in echter Euphorie auflösen. Aber allein macht das keinen Spaß. Allein ist verzweifelt.

Vielleicht erbarmt sich also einer aus der Runde. Weil er diesen einen gern hat, weil er sieht, was hinter der Schnarchnasen-Beschimpfung steckt. Vielleicht lohnt es sich sogar für beide. Die besten Nächste sind schließlich solche, auf die man gar keine Lust hatte.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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