Szenario:Zurück in die Kindheit

Paul Breitner ist erst muffig und dann verzaubert, die Artisten sind erst nervös und dann erleichtert - das kann nur eins bedeuten: Bernhard Paul und sein Zirkus Roncalli sind wieder für ein Gastspiel in der Stadt

Von Philipp Crone

Die Artisten sind nervös", sagt Bernhard Paul, der sichtlich selbst nervös am Samstagabend zwischen den Premierengästen hin und her trippelt. Hier ein Küsschen für Musiker Konstantin Wecker, da ein Knuff für Schlagzeuger Pete York, ein Foto mit Ski-Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch, und während es sich Senta Berger mit Mann, Sohn und Enkel in der Loge neben Sterne-Koch Eckart Witzigmann gemütlich macht, erklärt der 70-jährige Roncalli-Gründer mit der Statur eines Zirkus-Bären: "Die sind nervös, weil München ja nicht irgendeine Stadt ist." Wobei dann den Artisten aus 22 Nationen an diesem Abend fast alles gelingt. Bis auf einen kritischen Moment.

Szenario: Zirkusclown Gensi verzaubert.

Zirkusclown Gensi verzaubert.

(Foto: Robert Haas)

Zunächst ist es jedoch das Münchner Premierenpublikum überhaupt nicht gewohnt, sich wie das gemeine Fußvolk in die Schlange zu stellen, ohne VIP-Bändchen und direkt an einer Straße. Manch einer sucht den Promi-Eingang, aber im Roncalli sind eben alle gleich: gehen vorne als Erwachsene rein und kommen am Ende als Kinder wieder raus.

Der frühere Fußball-Weltmeister und Roncalli-Routinier Paul Breitner steht mit seiner Frau in der Schlange. "Herr Breitner, eine Frage zum Zirkus?" "Nein!" "Zum Zirkus Roncalli!" "Ach der Zirkus. Ich dachte, Sie meinen den anderen." Der andere Zirkus, das ist der um den neuen alten Fußballer-Dompteur beim FC Bayern, der noch einmal zwei Jahre älter ist als Bernhard Paul.

Szenario: Pete York (Links) mit Zirkusdirektor Bernhard Paul.

Pete York (Links) mit Zirkusdirektor Bernhard Paul.

(Foto: Robert Haas)

Sofort macht Breitner eine Blitz-Metamorphose durch: vom grimmigen Alltags-Grant zur verträumt melancholischen Entspannung. Er schaut auf das mit 10 000 Glühbirnen hell erleuchtete Zelt, in dem gleich 1500 Menschen sitzen werden, und sagt: "Wir gehen immer drei Mal. Einmal zum Test, dann mit den Kindern und dann mit den Enkeln." Beim Roncalli gehe es nicht um Superlative, sondern "um Ruhe, Wärme, schon auch Höchstleistung, aber verpackt in ein traumhaftes Drehbuch". Und Theater-Intendant Thomas Pekny von der Komödie im Bayerischen Hof hinter ihm in der Schlange sagt: "Dass es das noch gibt in der heutigen Welt: ein Abend voller Poesie. Zirkus, das ist diese Zerbrechlichkeit, mit dem Geruch von Sägespänen und Staub, dieses Echte."

Szenario: Senta Berger, Sohn Simon Verhoeven, Enkel David, Simon Verhoevens Freundin Nina und Michael Verhoeven (v. l.).

Senta Berger, Sohn Simon Verhoeven, Enkel David, Simon Verhoevens Freundin Nina und Michael Verhoeven (v. l.).

(Foto: Robert Haas)

Echt, das ist zum Beispiel die Akrobatik der beiden Töchter von Bernhard Paul. Vivi an einem Ring und Lili mit Verrenkungen, bei denen selbst Olympiasiegerin Riesch der Mund offen stehen bleibt. Wobei die wahren Helden in diesem Zirkus eindeutig die Clowns sind. Was passiert, wenn 1500 sehr unterhaltungserprobte Premierengäste den beiden russischen KGB-Clowns zusehen, wie der eine versucht, den anderen nicht umfallen zu lassen? Brüllendes Gelächter. Wenn ihr Kollege Robert Wicke in seiner Nummer einen Teddy unter einem Stofftuch verschwinden lässt, indem er für alle sichtbar Tuch und Teddy vom Tisch zieht? Brüllendes Gelächter. Riesige im Halbdunkel schimmernde Seifenblasen? Andächtige Stille.

Es sind nicht immer neue Virtuositäten, immer neue und absurdere Gags, die Roncalli so faszinierend machen. Es ist die Fähigkeit dieses Ensembles, den Besucher in einen Zustand zu versetzen, in dem er wieder in der Lage ist zu staunen und zu lachen, über einen Spagat oder über einen Tritt in den Hintern. Bernhard Paul sagt: "Wenn man etwas mit Liebe macht, wird es geliebt." Und wenn etwas bis ins Detail stimmt, wie diese Show, dann glaubt man den Profis auch. Glaubt, dass alles, was in diesem mit Samtvorhängen die Außenwelt aussperrenden Zelt geschieht, eine Reise in die Kindheit ist, in der es nur darum ging, zu spielen, zu lachen und sich möglichst viel Popcorn in den Mund zu stopfen.

Vom virtuosen Saxofonisten bis zum gewollt verunglückten Akrobatik-Finale der Cedeños Brothers (dem eben einzigen heiklen Moment, der bei genauerem Überdenken aber wohl doch eher eine Rampe zum zweiten Versuch ist, der dann im leisen Trommelwirbel grandios gelingt) ergeht es den Gästen wie Regisseur Simon Verhoeven ("Willkommen bei den Hartmanns"), der mit Sohn, Freundin und seinen Eltern Senta Berger und Michael Verhoeven in einer Loge zusieht: "Das hat mir meine Kindheit wiedergebracht", sagt er hinterher. "Eine zusätzliche Dimension an Zauber und Poesie" erlebe man im Roncalli, und ein bisschen was davon nimmt dann auch jeder mit nach Hause.

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