Szenario:Vorglühen und vorglitzern

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Vor zehn Jahren spielte Sängerin und Schauspielerin Natalia Avelon die Rolle der Uschi Obermaier in "Das wilde Leben". Am Wochenende posierte sie vor dem Juwelierladen Tiffany an der Perusastraße. (Foto: Robert Haas)

Noch bevor auf der Wiesn die erste Mass Bier eingeschenkt ist, trifft sich die Schickeria zum "Frühstück bei Tiffany"

Von Stephan Handel

Es knistert, es vibriert, es ist eine Spannung und ein freudiges Erwarten spürbar, so schmerzhaft schön fast, dass alles der Erlösung entgegenfiebert. Die wird kommen, um Punkt 12 Uhr im Schottenhamel - aber kurz vorm Anzapf-Zeitpunkt kann auch die Schützenfesthalle es schon nicht mehr aushalten. Dann schießt's zwölf Mal von der Bavaria herüber, der OB hat das erste Fass angestochen, die Menge brüllt vor Glück, die Kapelle spielt den Defiliermarsch, die Bedienungen tragen die Massen hinaus. Das Oktoberfest hat begonnen.

Mittendrin in dem ganzen Trubel steht eine schmale Frau im Dirndl und schaut, als könne sie noch nicht ganz begreifen, wo sie da hingeraten ist: Sandra Mohsni ist die neue Geschäftsführerin bei Tiffany, und weil sie erst seit einer Woche im Amt ist, ist ihre erste Amtshandlung eine Veranstaltung, die ihr Vor-Vorgänger Wolfgang Bierlein erfunden hat, die dessen Nachfolgerin Gitta von Lambsdorff fortgeführt hat; Mohsni hat sie sozusagen geerbt: "Frühstück bei Tiffany", eine Art Vorglühen der gehobenen Art im Geschäft an der Oper, bevor's dann mit gut 300 Gästen hinaus geht unter die Bavaria. "Ist doch selbstverständlich", sagt Mohsni, "dass wir eine so traditionsreiche Veranstaltung weiterführen".

Es regnete ja am Samstag in der Früh, so dass einer der lustigsten Aspekte des rituellen Herumstehens auf der Perusastraße großteils ausfiel: der stete Versuch der Security, die Gäste von den Trambahn-Gleisen zu scheuchen. Dieses Mal standen die Leute sich lieber drinnen auf den Füßen, vorbeispazierende asiatische Touristen staunten trotzdem über die Menge an Fotografen, die sich auf Franziska Knuppe stürzten, oder auch auf Sibel Kekilli und auf Susanne Wuest, die beiden Schauspielerinnen. Axel Milberg, ansonsten treuer Tiffany-Gast, kam mit seiner Frau Judith erst später ins Zelt - da ging's dann schon hoch her, Tiffany-Frau Alexandra von Wangenheim ignorierte ebenso wie Franziska Knuppe souverän die Schilder mit der Bitte, doch vor 19.30 Uhr nicht auf die Bänke zu steigen.

Es soll aber niemand glauben, auf der Wiesn sei nur Platz für Remmidemmi und nicht auch für Kultur und gehobene Lebensart. Die Wirtefamilie Reinbold trägt einiges zur Volksbildung bei, seitdem in den neu gestalteten Herrentoiletten Sprüche großer deutscher Denker an der Wand hängen, Nietzsche, Luther und Heinz Erhardt unter anderem. Drüben in der Hausbox schauen Franz Georg Strauß und Max Dietl ebenfalls ganz so aus, als seien sie in eine existenzphilosophische Diskussion vom Werden und vom Sein versunken, während es bei Tiffany unter anderem um die Besonderheiten des Lufttransports von Delfinen geht sowie um die Frage, wie groß das schlechte Gewissen eines Mannes sein muss, der erst nach 38 Jahren Ehe dazukommt, seiner Frau den Verlobungsring zu schenken. Nach der Größe des Steins geschätzt: sehr groß.

So startet also die Wiesn 2017 auch für die so genannte Prominenz so ähnlich wie in den vergangenen Jahren, auch wenn Birgitt Wolff, die später mit Harold Faltermeyer und Schauspieler Francis Fulton-Smith ins Weinzelt kommt, beklagt, dass sie doch alle heimatlos seien, seit es Sepp Krätz und sein Hippodrom nicht mehr gibt. Das "Frühstück bei Tiffany" gibt's immer noch, und die prickelnde Spannung auch, bevor das erste Fass angestochen ist - gut, dass manche Sachen sich nicht ändern auf der Wiesn.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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