SZenario:So wertvoll wie ein Akropolis-Grillteller

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Johlen, Lachen, Beifall: Münchens Ex-Oberbürgermeister Christian Ude moderiert das Gespräch mit dem griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis in astreinem Oxfordian-Bavarian. Sein Auftritt wird anerkennend kommentiert, mehr Lob erhält allerdings der Grieche: "Guter Mann!"

Von Christiane Schlötzer

Was tut einer, der einst die ganze Stadt als Bühne hatte, dem es nie an Worten fehlte in seinem ganz eigenen Idiom, und der nun einen ganzen Abend lang in einer fremden Sprache reden muss? Und zwar nicht, das ginge ja noch, in Mykonos' Greeklish (tria usakia, please). Christian Ude hat sich am Dienstagabend in der Münchner Muffathalle für die Flucht nach vorn entschieden. Er betritt das Podium als Erster, bekennt, dass er im Englischen einst der "Schlechteste nicht nur in der Klasse, sondern in der ganzen Schule" war. Jüngst aber, sagt Ude, habe er seine alten Vokabelhefte herausholen und dann auch noch zwei Bücher von einem gewissen Yanis Varoufakis lesen müssen. Sagt dies in astreinem Oxfordian-Bavarian (weshalb dieser Text eigentlich ein Hörbuch sein müsste) und fügt hinzu: Wenn das Publikum ihn jetzt nicht verstehe, "then is this your problem". Johlen. Lachen. Beifall. Da hat Ude das Publikum in der Halle schon gewonnen, bevor Showman Number Two überhaupt ins Scheinwerferlicht tritt.

Yanis (den ganzen Abend bleibt man auf der Bühne beim Vornamen) kontert dann, indem er erst einmal den Titel der Veranstaltung dekonstruiert. "Under Construction: Europe" hat das Muffatwerk den Abend überschrieben, der Auftakt zu einer ganzen Reihe in diesem Jahr sein soll. Europa befinde sich gar nicht "under construction", sagt Yanis Varoufakis, sondern im Gegenteil im Zustand der "deconstruction". Was eine unmittelbare Überleitung zu Griechenland ist.

Der griechische Ex-Finanzminister, der am 6. Juli nach nur fünfeinhalb Monaten zurückgetreten war, ist offensichtlich immer noch sehr mit seiner Amtszeit beschäftigt. "You left power, but your party did not, have you failed?", fragt Moderator Ude dann knapp und bündig - nach eher kurzem Varoufakis-Solo - im interessantesten Teil der Veranstaltung: dem Frage-und-Antwort-Spiel. Leicht überrumpelt (es kann von Vorteil sein, wenn Fragen aus sprachlichen Gründen zugespitzt werden müssen) antwortet der Gast aus Athen ebenso gerade heraus: "I failed", sure.

"Als würde ich ihnen die Nationalhymne von Schweden vorsingen."

Aber zu den Schuldigen für das fortwährende Griechenland-Desaster zählt sich Varoufakis explizit nicht. "Kapituliert" habe die Regierung des linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, mit dem er seit August nicht mehr gesprochen hat. Schon seit Beginn der Krise sei klar gewesen: "Griechenland sollte bestraft werden" von seinen internationalen Geldgebern. Mit seinen eigenen Vorschlägen aber sei er in der Euro-group, bei den Finanzministern der anderen Euro-Staaten, auf Ignoranz gestoßen: "Als würde ich ihnen die Nationalhymne von Schweden vorsingen."

Da springt Ude mit eigener Erfahrung dazwischen. "You know how complicate it is to pay tax in Mykonos?", hakt er bei Varoufakis nach. "Ja", sagt der, wenn der Steuerbeamte mit dem Schiff komme, dann wüssten das alle immer schon im Voraus.

Die kabarettistische Verknappung beherrschen Varoufakis wie Ude, wobei der Grieche dazwischen dann doch immer wieder in einen elaboriert-schnoddrigen Redefluss verfällt. Vor allem, wenn es darum geht, was alles hätte besser laufen können in Hellas. "Technically it's very simple", sagt er oft. Beispielsweise über die Einführung einer Parallelwährung zum Euro. Leider dann praktisch nicht durchführbar. Oder seine Forderung nach einem tiefen Schuldenschnitt - politisch leider gescheitert, weil die EU-Partner nicht mitzogen.

Bisweilen täuscht sich Varoufakis gründlich, beispielsweise über die Zusammensetzung des Publikums in der ausverkauften Halle. "Die meisten werden nicht erfreut sein, mich hier zu sehen", sagt er, schließlich sei er ein Linker. Da gibt es Zurufe, sogar von ganz hinten: "not true, not true." Die Frage, warum die Karten für den Abend mit 19 Euro so teuer waren wie ein Akropolis-Grillteller mit allem, hat Ude gleich am Anfang geklärt: "I have to explain the price." Varoufakis' angeblich astronomische Honorare waren zuletzt in der griechischen Presse schon ausführlich bespöttelt worden, worauf sich dieser mit dem Argument wehrte, er müsse schließlich seine Familie ernähren, und übrigens verlange er auch nicht immer etwas. In München, so ließ Ude wissen, habe man sich an eine alte "sozialdemokratische Tradition" gehalten. (Das war ein Schienbeintritt gegen den Ex-SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der sich sehr gut für Vorträge bezahlen ließ, lustvoll ausgeführt von Münchner Ex-OB.) Diese "Tradition" habe der Redner aus Athen "as a sign of cultural exchange" akzeptiert. Man darf also annehmen, dass Varoufakis nicht mit leeren Taschen nach Hause gegangen ist.

Angela Merkels Flüchtlingspolitik "hat mich stolz gemacht, ein Europäer zu sein"

Als Ude nach zwei Stunden Fragen aus dem Saal erbittet ("only one minute, each question"), da zeigt sich Interesse vor allem an der neuen politischen Bewegung, die Varoufakis am 9. Februar in Berlin vorstellen will. Paneuropäisch soll sie sein, Grenzen überwindend, erst mal in den Köpfen, helfen, die EU "zu demokratisieren". Eines Tages soll das EU-Parlament, so der 54-Jährige, fähig sein, "die Eurogruppe zu entlassen". Auf Nachfragen bleibt er vage, rät: abwarten. Ude schaut skeptisch.

Der Grieche hat da schon den schwarzen Ledersessel verlassen und läuft am Bühnenrand auf und ab, wie ein Professor im Hörsaal. Zuvor hat das Bühnenbild geradezu harmonisch gewirkt: zwei Männer in schwarzen Anzügen (auch bei Varoufakis steckt mittlerweile das blaue Hemd in der Hose), jeweils ein Bein über das andere geschlagen, als hätte ein Regisseur ein Duett choreografiert. Ob er nicht, statt mit einer neuen Bewegung auf die Linke zu setzen, jetzt mit der politischen Mitte kooperieren müsse, angesichts der neuen Egoismen in Europa, dem Aufschwung der Rechten, der Flüchtlingskrise, will einer aus dem Publikum wissen. Ude hat das vorher auch schon besorgt gefragt. "Ich bin viel optimistischer", antwortet der Grieche, "obwohl ich ein Pessimist bin." Dann lobt er Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik: "Sie hat mich stolz gemacht, ein Europäer zu sein." Und noch was: Varoufakis hat sich vorgenommen, 2016 nie mehr "die Deutschen", oder "die deutsche Regierung" zu kritisieren, weil alle Pauschalurteile - auch über "die Griechen" - dem Rassismus Vorschub leisteten. Da gibt es deutlicheren Beifall als beim Lob für Merkel, das Varoufakis mit dem Kommentar garniert, es sei für ihn "a perverse joy", sich mit einer Gegnerin einig zu wissen.

Leichtes Stöhnen geht dagegen durch den Saal, als Ude, der als OB dafür bekannt war, kaum ein Ende zu finden, immer noch eine Frage zulässt. Dann verdirbt er fast noch seine Performance, als er seltsamerweise sagt: "I am not so stupid as my questions were, I wanted to provoke you." Auch wenn Letzteres nicht ganz gelungen ist, Udes Premiere als internationaler Conferencier wird nach dem Schlussbeifall überwiegend anerkennend kommentiert: "Das war mutig, ich dachte, es wird peinlich."

Varoufakis' Auftritt wird noch ein bisschen euphorischer bedacht: "Guter Mann." Wahlweise auch: "Hervorragend, brillant". Aber auch: "Er ist doch ein Fantast, aber er hat die EU so schön aufgemischt." Ude selbst wundert sich beim Hinausgehen, dass es "gar nicht so schlecht ist, wenn einem die Worte fehlen, weil man sich dann als Moderator kurz fasst".

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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