SZenario:Selfie ohne Söder

Bei der Eröffnung der Baselitz-Ausstellung im Dachauer Schloss genießt der Künstler die Bewunderer

Von Viktoria Großmann, Dachau

Das nennt man wohl gute Kundenbetreuung. Kommt ein Mann zu seiner Bank und sagt: Ich kenn übrigens den Baselitz. Den könntet ihr doch auch mal ausstellen. Klaro, als genossenschaftliche Provinzbank. Die zwar schon länger das Programm "Kunst und Bank" aufgelegt hat. Aber: So sehenswert die bisherigen Ausstellungen - etwa die Retrospektive auf den Münchner Akademieprofessor Rudi Tröger - waren, sie waren doch eher für Insider. Die Bank traut sich nun an Baselitz und gleich will jeder eine Rede halten. Dazu muss man kein Kunstkenner sein, ausreichend Sendungsbewusstsein genügt. Deshalb kommt zur Eröffnung der Ausstellung im Dachauer Schloss auch Heimat- und Finanzminister Markus Söder. Hausherr ist eigentlich der Präsident der bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung Bernd Schreiber, aber dessen Chef ist wiederum Söder - und wenn man als CSU-Minister die Gelegenheit hat, eine gute Erfahrung mit einer Bank zu machen, dann ergreift man sie auch.

Georg Baselitz, 78, ganz in schwarz, rote Krawatte, sitzt mit seiner Frau Elke in der ersten Ehrenreihe und bringt das Konzept der Veranstalter durcheinander. Der Künstler ist so gut aufgelegt, dass er nach fünf Ansprachen noch selbst ans Rednerpult turnt, um zu sagen: "Dass für meine Bilder Kronleuchter abgenommen wurden, habe ich noch nie erlebt." Und dann führt er den Minister und seinen Tross persönlich durch sein druckgrafisches Werk der vergangenen 20 Jahre. Es findet auf einem ausgeklügelten System von Stellwänden gerade so Platz unter der prächtigen, hölzernen Renaissancedecke im Festsaal der Wittelsbacher. Deren Porträts in Öl wurden gemeinsam mit den Kronleuchtern abgehängt und eingelagert. Sie passen nicht zu "Ohne Hose in Avignon".

Minister, Landrat und Oberbürgermeister rufen Dachau in ihren Reden zur Kunststadt aus, wofür sie die Sommerfrischler und Freiluftmaler aus München im 19. Jahrhundert anführen und es schaffen, den Biedermeier-Maler Carl Spitzweg, der auch mal in Dachau war, und Baselitz in einem Satz zu verstauen. Baselitz hört und lächelt. Ob er sich als Künstler verstanden fühlt, ist nicht zu erkennen. Aber Bewunderung ist neben hohen Marktpreisen wohl das Beste, was ein Künstler erzielen kann. Baselitz sonnt sich sichtlich darin. Kein Selfie, kein Autogramm wird verwehrt. Um Minister Söder schart sich später wenigstens der Ortsverband der CSU-Frauen-Union.

Baselitz kratzt Dachau als Kunststadt genauso wenig wie Dachau als KZ-Stadt. An beiden Themen, an der Ordnung der Kunst und der Unordnung der Welt, hat er sich sein Leben lang abgearbeitet - und dass er dabei zu einem eigenen Ordnungsprinzip gefunden hat, ist in der Dachauer Ausstellung sehr schön nachzuvollziehen. Das ist wiederum das Werk der Kuratorin Bärbel Schäfer. Nach all den Ansprachen, in denen der Landrat irrtümlich einer falschen Bank dankt und Söder über Hitlers Gelüste auf das Wittelsbacher Erbe räsoniert, gelingt es Schäfer, prägnant die Bedeutung der Ausstellung zusammen zu fassen - nicht nur für Dachau, überhaupt. "Die Wahrheit kann man nicht auf den Kopf stellen", erklärt sie denen, die nichts anderes als verdrehte Bilder erkennen können. Nur manchmal muss man sie anders zeigen, damit sie an Kraft gewinnt. Der Adler stürzt nicht, er steigt. In den Himmel hinein und über ihn strömen schwarze Tränen. Manchmal ist der Himmel unter uns. Die Volksbank Dachau kann sich jedenfalls dazu gratulieren, eine promovierte Kunsthistorikerin angestellt zu haben. Und Geisteswissenschaftler lernen: Man muss keine Banklehre machen, um es zu etwas zu bringen.

Sowieso ist nicht alles verkehrt herum. Das stellen nun die Dachauer Stadträte fest, die beseelt zwischen den fast 200 Bildern herumstehen, einige wie betäubt von der schieren Menge. Manche beginnen sich zu fragen, ob sich in irgendwelchen Untiefen des Haushalts noch ein paar Tausender für den Ankauf eines Bildes finden.

Ein kleines Kunstwerk hat SPD-Oberbürgermeister Florian Hartmann seiner Stadt gesichert: Für Georg Baselitz war die erste Seite in einem neuen Band des goldenen Buches der Stadt reserviert. Der OB hat dem Künstler extra eine Auswahl an Buntstiften mitgebracht. Baselitz setzt seine runde Brille auf, Baselitz lächelt, Baselitz posiert. Aber die Buntstifte lässt er liegen. Dass er in Dachau war, das bekommt die Stadt schwarz auf weiß.

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