SZenario:Schwerelos

Alexander Gerst

An Visionen fehlt es nicht: Alexander Gerst informierte sich an der TU in Garching über die Forschungsarbeiten der Studenten.

(Foto: Lukas Barth)

Ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen: Astronaut Alexander Gerst erzählt in Oberpfaffenhofen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt über seine Mission. Stunden später begeistert er an der TU in Garching die Studenten mit einer Vision: "Die Raumfahrt wird in absehbarer Zeit für viele bezahlbar sein."

Von Martina Scherf und Patrizia Steipe

Seine fröhlichen Grüße aus dem All sind unvergessen: Alexander Gerst, der Sonnyboy mit rotem Kinnbart, erzählte stets gut gelaunt von seinem Alltag 400 Kilometer über der Erde, ob in der "Tagesschau" oder bei der "Sendung mit der Maus". Wie schläft man in der Schwerelosigkeit, was isst man, wie putzt man sich die Zähne? Kein Problem, Gerst gab bereitwillig Auskunft. Er twitterte vom Genuss des Schwebens und funkte phantastische Fotos von Sonnenaufgängen und Sternschnuppen auf die Erde - kein Astronaut vor ihm ließ seine Fangemeinde so hautnah und so gelassen an seiner Mission teilnehmen. Millionen Fernsehzuschauer verfolgten seinen Außeneinsatz, als es galt, schwerelos im All an der ISS-Hülle eine defekte Kühlpumpe zu reparieren. Am Ende hatte Gerst 2566 Mal die Erde umrundet.

Wichtigste Verbindung zur Erde während der sechs Monate im All war das Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen. Den Kollegen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat Gerst am Dienstag den ersten Besuch seit seiner Rückkehr abgestattet - und ist gleich herzlich begrüßt worden. Auch für ihn sei es ein wenig "wie nach Hause kommen", sagt der Astronaut. Mit dem Columbus-Team habe er während seiner Mission auf der ISS viel kommuniziert, "schön, dass ich die Leute jetzt treffe, die ich im Orbit nur auf Video-Konferenzen gesehen habe", sagt Gerst. Das sei wie bei der Formel-1, wo auch nur eine Person im Blickpunkt steht, aber Hunderte für den Erfolg verantwortlich seien.

Astronaut Alexander Gerst

Selfie im Weltraum: Kein Astronaut vor Alexander Gerst ließ seine Fangemeinde so hautnah an seiner Mission teilnehmen.

(Foto: dpa)

Am Nachmittag erwarten ihn dann die Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität (TU) in Garching. Gemeinsam mit Wirtschaftsministerin Ilse Aigner informiert sich der Astronaut über die aktuellen Forschungsprojekte. Eine Studentengruppe entwickelt einen Space Elevator, mit dem der Nachschub zur ISS befördert werden könnte, einfacher und günstiger als heute. Claas Olthoff, Doktorand am Lehrstuhl von Professor Ulrich Walter, der Gersts Besuch in Garching eingefädelt hat, tüftelt an der Weltraumkommunikation. Noch geht die Verbindung von Oberpfaffenhofen zur ISS per Unterseekabel in die USA und dann per Satellit in den Weltraum - die Amerikaner wollen das so.

Seit Claas Olthoff als Kind mit seinem Vater in Cape Canaveral war, ist er vom Astronauten-Dasein fasziniert. "Ich hätte mich für diese Mission beworben, wenn ich nicht zu jung wäre", gibt er unumwunden zu. "Aber", so fügt er mit voller Überzeugung hinzu, "ich bin jetzt 31 und werde es in meiner Lebenszeit sicher noch erleben, dass die Raumfahrt so günstig wird, dass ich mir das von meinem Ingenieursgehalt leisten können werde."

Als Alexander Gerst dann in seinem blauen Overall, den er auch in der ISS trug, den Hörsaal betritt, empfängt ihn tosender Applaus. So voll ist es hier noch nie gewesen, sein Vortrag wird in den Nachbarsaal übertragen. "Sie hätten locker auch die Allianz-Arena gefüllt", sagt Moderatorin Ursula Heller. Ilse Aigner entpuppt sich als Weltraum-Fan, sie würde sofort abheben, gibt sie zu, wenn sich die Gelegenheit böte. Einen Parabelflug, bei dem die Schwerelosigkeit unter extremem Sturzflug getestet wird, hat sie schon einmal mitgemacht. TU-Präsident Wolfgang Herrmann genießt den Besuch ebenfalls und appelliert an die "jungen intelligenten Leute hier bei uns", in Gersts Fußstapfen zu treten. Auch Samantha Cristoforetti, die Gerst auf der ISS abgelöst hat, ist TU-Alumna. Die Italienerin hat in München Raketentechnik studiert.

Als Gerst zu seinem Vortrag anhebt, wird es still in dem vollgestopften großen Hörsaal. 166 Tage im All, das verändert einen Menschen - wie kaum ein anderes Erlebnis. Immer wieder betont der Astronaut, wie wunderbar der Blick auf die Erde von dort oben sei, und wie zerbrechlich einem der blaue Planet dort vorkomme. "Sie sieht aus wie eine Steinkugel mit ein bisschen Atmosphäre und Wasser - und ist doch das kostbarste, was wir haben."

Blue Dot hieß seine Mission, blauer Punkt, als solchen nehmen die Astronauten die Erde wahr. Doch bei aller Schwärmerei - sein Einsatz auf der ISS war harte Arbeit. Mehr als 100 Experimente hatte er zu vollziehen, von der Frage, wie Verbrennung im All funktioniert über Materialtests bis zu Untersuchungen am eigenen Blut. Und manchmal musste er improvisieren, etwa wenn er einen klemmenden Sicherungsbolzen mit Sägeblatt und Rasierschaum gefügig machte - "auf so eine Idee wäre ein Roboter bestimmt nicht gekommen", sagt er. Es gibt also noch viel zu forschen, appelliert er an den Nachwuchs. An Visionen fehlt es nicht.

Freizeit gab es wenig im All, aber den "Tatort" am Sonntagabend ließ er sich selten entgehen. Als Mitglied des Astronauten-Corps steht Gerst für weitere ESA-Missionen parat. "Der Mensch ist ein Entdecker", philosophiert er, und "ja", auf den Mars würde er gerne fliegen. "Das ist das größte Abenteuer der Menschheit." Dennoch, nach der Weltraumreise hat er sich auf den ersten Waldlauf und den ersten Salat zu Hause gefreut. Es werden aber sicher noch weitere Reisen anstehen, da ist er sicher. "Die Raumfahrt wird in absehbarer Zeit möglich und für viele bezahlbar sein." Claas Olthoff sitzt in der ersten Reihe und strahlt selbstbewusst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: