SZenario:Obergrenze erreicht

SZenario: "Es freut mich, dass so viele Menschen kommen, wenn zwei alte Männer sich unterhalten", sagte Peter Gauweiler. Rechts: Oskar Lafontaine.

"Es freut mich, dass so viele Menschen kommen, wenn zwei alte Männer sich unterhalten", sagte Peter Gauweiler. Rechts: Oskar Lafontaine.

(Foto: Robert Haas)

Bei einer CSU-Veranstaltung mit Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine zur Flüchtlingspolitik dürfen nicht alle Zuhörer in den Saal - wegen Überfüllung

Von Gerhard Fischer

Beim Flüchtlingsthema ist es mittlerweile wie bei der Fabel vom Hasen und dem Igel. Wo immer man hinkommt, das Flüchtlingsthema ist schon da. Am Donnerstagabend ist es im Bayerischen Hof. Dort treffen sich Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine. Zwei Politiker, einer von der CSU, einer von den Linken. Und zwei, die sich duzen, als Freunde bezeichnen und schon gemeinsame Bild-Kolumnen verfasst haben. Aber sie reden nicht über Persönliches, nicht über Anekdoten, nicht über ihre erstaunliche Freundschaft. Sie reden nur über das Flüchtlingsthema. Über Obergrenzen. Über Politikversagen.

Offenbar interessiert es viele Leute, was Gauweiler, 66, und Lafontaine, 72, dazu sagen. Das Gespräch soll um 19.30 Uhr beginnen, aber schon um 19.15 Uhr werden die Türen zur Palaishalle im Bayerischen Hof geschlossen, "aus brandschutzrechtlichen Gründen". Hier ist also eine Obergrenze erreicht. Die Leute werden wütend. "Die CSU nimmt den kleinsten Saal in München", schimpft einer und dampft ab. Die CSU ist der Veranstalter, Lafontaine ist der Gast.

Es dürften knapp 200 Menschen da sein. Gauweiler freut sich darüber, "dass so viele Menschen kommen, wenn sich zwei alte Männer unterhalten". Eigentlich sagt er "oide" statt "alte", er ist bekennender Bayer. Peter Gauweiler, mit Fliege, ist witzig. Er sagt, er interessiere sich sehr dafür, was Lafontaine gleich sagen werde, und er hoffe, Lafontaine werde sich auch für seine, Gauweilers Meinung interessieren. "Oder er soll wenigstens so tun." Da hat er den Saal schon gewonnen.

Draußen vor dem Saal hört man plötzlich Gebrüll: "Tür auf! Tür auf!" Man wähnt sich in diesem Moment eher im Grünwalder Stadion als im Bayerischen Hof. Immer noch wollen Leute herein. Obwohl das Gespräch längst angepfiffen ist.

Aber was heißt hier Gespräch: Gauweiler monologisiert lange und sehr leidenschaftlich. Dann monologisiert Lafontaine kürzer und leidenschaftlich. Dann redet Gauweiler wieder länger. Dann Lafontaine wieder kürzer. Sie sprechen nicht miteinander, sie diskutieren nicht, sie reiben sich nicht. Jeder macht nur unwidersprochen seine Sicht der Dinge klar. Das ist schade.

Zunächst Gauweiler. Grundsätzlich findet er Seehofers Obergrenzen-Politik in Ordnung. Selbst das Anrufen des Verfassungsgerichts sei gut, was aber nicht verwundert, weil Gauweiler selbst ständig das Verfassungsgericht anruft. Von der Merkel-Regierung habe er den "Eindruck, sie versuche das Flüchtlingsthema auf der Basis des neuen Berliner Flughafens zu lösen". Die Leute lachen. Die meisten im Saal teilen Gauweilers Haltung. Ist ja auch eine CSU-Veranstaltung.

Oskar Lafontaine, der sich links von Gauweiler hingesetzt hat, fremdelt trotzdem nicht. Zwar ist sein Kopf während Gauweilers Rede immer röter geworden, aber das liegt wohl an der Wärme im dicht besetzten Saal. Lafontaine trumpft nicht auf wie Gauweiler. Er sagt nur, man dürfe eine Gesellschaft nicht überfordern und man müsse ein Signal an die unteren Schichten senden, die um Mieten, Rente, Arbeitsplätze fürchten. "Wir müssen Ihnen sagen: Ihr müsst das nicht bezahlen!" Wenn Deutschland gastfreundlich sein wolle, "muss der Tisch von den Reichen gedeckt werden".

Er redet sich langsam in Form. Sagt, dass die USA den "Vorderen Orient in Brand gesteckt" hätten und die Menschen nun aufnehmen müssten, wenn es gerecht zuginge; schimpft, dass man den "perversen Freihandel abschaffen" müsse, weil die großen Konzerne jeden kleinen Bauern in Asien und Afrika "platt machen". Lafontaine ist sich mit Gauweiler einig, dass es heute nicht mehr "Freiheit oder Sozialismus" heiße, sondern "Freiheit oder Goldman Sachs". Die Banker sind die Bösen. Es ist der Lafontaine, den junge Leute in den Achtzigerjahren liebten, der Linke, der Leidenschaftliche, der Politiker, der anders ist als die Eliten.

Und der friedensbewegte Oskar Lafontaine. Aber gerade da ist er auch in den Achtzigerjahren stecken geblieben. Lafontaine sagt, er möge das Lied von Sting, in dem es heiße: "Auch die Russen lieben ihre Kinder." Daraus leitet er ab, dass "wir im Nahen Osten nur Frieden erreichen, wenn wir erkennen, dass die Mütter in Syrien ihre Kinder genauso lieben wie wir". Das ist, mit Verlaub, auf der aktuellen Stufe der Eskalation naiv-pazifistisches Gesäusel und hilft den Syrern nicht, die von Assads Fassbomben angegriffen werden. Das ist die Realität. Raushalten, wie es Lafontaine fordert, mag eine denkbare Haltung sein. Eine Lösung ist es nicht. Nicht mehr.

Peter Gauweiler wechselt noch mehr als Lafontaine zwischen bedenkenswerten und bedenklichen Ansichten. Bedenkenswert ist: Flüchtlinge sollen sofort arbeiten dürfen, notfalls sollen sie ein Soziales Jahr machen; "Erdogans Sicherheitstrupps" die Außengrenzen sichern zu lassen, sei nicht humaner als selbst die eigenen Grenzen zu verteidigen; Ländern wie Polen müsse man die EU-Zuschüsse kürzen, falls sie keine Flüchtlinge aufnehmen würden.

Bedenklich sind seine Sprüche, etwa dass sich Europa in eine "EU-Bronx" verwandle, falls die Kölner Täter "uns zu sich herunterziehen". Dann lobt er Sahra Wagenknecht für den Satz, wer sein Gastrecht missbrauche, habe es verwirkt. "Das will ich mal von der Kanzlerin hören!", ruft er in den Raum. Eigentlich müssten sich die Balken in den holzgetäfelten Wänden der Palaishalle biegen, denn Gauweiler sagt an dieser Stelle nicht die Wahrheit. Merkel hatte kurz nach Köln den Gastrecht-verwirkt-Satz gesagt.

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