Szenario:Geht nie vorbei

Die Fraunhofer-Gerti feiert 70. Geburtstag - fast so wie früher.

Von Thomas Becker

Natürlich ist es nicht so wie früher. Aber nah dran. Als das Licht aus ist, nur noch die Kerzen auf den Weinflaschen brennen, als der Egon und die Conny mit Quetsch und Gitarre Jacky Brown und Baby Miller den "Kriminal-Tango" tanzen lassen und alle mitsingen und -schunkeln, danach die Gläser klingen und die nächste Runde Schnaps kommen lassen, dann ist die gute alte Fraunhofer Schoppenstube tatsächlich nicht mehr weit. Warum sollte sich auch was ändern, nur weil bei der Gerti jetzt ein Siebener vorne dran steht? Richtig gelesen: Gerti Guhl, jahrzehntelang Gastgeberin der lustigsten, rauschendsten Münchner Nächte, ist gerüchteweise 70 Jahre alt geworden. Unverschämt gut sieht sie aus, prima Farbe im Gesicht, wuselig und umtriebig wie immer, räumt ständig Gläser ab, fragt hier einen Wunsch ab, vernetzt da zwei andere Menschen, ordert der Freundin ein Taxi, gibt noch flott ein Interview, um sich im nächsten Moment mit der Schiffsglocke wieder Gehör zu verschaffen und weitere Gastsänger anzukündigen. Wenn so 70 ist, dann her damit!

Seit vier Jahren gibt es die Schoppenstube nicht mehr. In einem Laden namens Müller wird dort nun Retrokram vertickt. Und die Gerti? Lebt in der Diaspora, in Germering. Dabei geht sie doch so gern aus! Zum Feiern, Singen, Fröhlichsein. Seit der vermaledeiten Schließung ihres Lebenswerks feiert sie gegen den Herzschmerz zweimal im Jahr einen Schoppenstuben-Abend, mal im Hofbräuhaus, mal im Paulaner am Kapuzinerplatz, mal in der Kulisse des Fraunhofer-Theaters. Richtig funktioniert hat das nirgends. Mit dem Wirtshaus Maximilian (dem ehemaligen Kreuzberger) im Glockenbachviertel hat sie nun einen guten Ort gefunden. Schon allein weil über der Theke ein Schild hängt: "Nicht so viel granteln, mehr schmusen!" Und wenn es dort auch noch Augustiner vom Holzfass gibt, dann muss man sich die Gäste als glückliche Menschen vorstellen.

Und so sehen die Gäste von Gertis Geburtstagsparty in der Tat aus: glücklich. Gut, die Schüchternen unter ihnen müssen zunächst ertragen, dass die Jubilarin keine Rede hält, sondern coram publico jeden einzeln begrüßt und eine Geschichte zu ihm erzählt. Nicht nur Altersgenossen sind gekommen, sondern auch viele Junge. Die sind erstaunlicherweise bei "Seemann, lass das Träumen" genauso textsicher wie bei "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da", und wem rauschbedingt mal eine Strophe fehlt, für den hat die Gerti die Texte vorab auf DIN-A4-Papier eingeschweißt. Auch klar, dass sie für den Schuss am Ende der zweiten Strophe im "Kriminal-Tango" auf den Tischen Luftballons zum Platzenlassen bereit gelegt hat.

Es geht doch nichts über eine gute Vorbereitung - am besten kombiniert mit Spontaneität: Opern-Tenor Anton Leiss-Huber, der gerade noch im Prinzregententheater beim Bayerischen Fernsehpreis mit Ilse Aigner ein schickes Selfie geschossen hat, macht seine Krawatte zum Einstecktuch und zärtelt mit Thea Schütte, Sopranistin vom Wiener Konservatorium, ein wunderbares "Lili Marleen"-Duo in den Raum. Echtes Schoppenstuben-Feeling. Und das ist halt wie dieser Kriminal-Tango: "Geht nie vorbei, geht nie vorbei, geht nie vorbei!"

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