SZenario:Drei Über-Ichs und ein Irrer

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Aus Ernst wird Spaß - der Kabarettpreis ist geprägt von fulminanten Auftritten

Von Thomas Becker, München

Urban Priol hat es kommen sehen. "Wo der hinlobt, wächst kein Kraut mehr", sagt der Kabarettist und Moderator des Bayerischen Kabarettpreises. Und in der Tat: Als sein Kollege Georg Schramm eine so ergreifende wie fesselnde Viertelstunde später fertig ist mit dem Ehrenpreisträger, fragen sich die Zuschauer im Lustspielhaus am Montagabend nur noch, warum zur Hölle dieser Arnulf Rating den Preis erst jetzt bekommt.

Es ist ein Abend, den die Laudatoren dominieren, allesamt ebenfalls Kabarettisten. Zunächst Wolfgang Krebs, der seine Kollegin Christine Eixenberger als Senkrechtstarterin preist. Nur sein Versprechen, mal ohne seine Über-Ichs Ede, Horstl und Markus auszukommen, hält er keine zwei Minuten durch. Schauspieler Sebastian Bezzel lässt dagegen seinen knurrigen Eberhofer Franz, den Polizisten, den er in den Dampfnudelblues-Filmen gibt, daheim. Stattdessen charakterisiert er die "neidfreie Einheit" Hannes Ringlstetter und Stephan Zinner, die beiden Gewinner des Musikpreises, als "virile, brustbehaarte, heterosexuelle Best Ager mit frechen Bruce-Willis-Frisuren".

Preisträger eines Abends, an dem gelobt wird, was die Pointe hergibt: Arnulf Rating mit Georg Schramm (von links). (Foto: Stephan Rumpf)

So kumpelhaft kommt Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig nicht daher. Zur Vorbereitung ist er trotz vollem Terminkalender von Mainz nach Düsseldorf gefahren, um sich das neue Programm von Emmanuel Peterfalvi anzusehen, in der Szene bekannt als Alfons aus Fronkraich. "Dieses französische Gehauche kommt einfach gut an", sagt Barwasser, der dankbar ist für "seinen französischen Blick auf die deutschen Verhältnisse", Stichwort Gelassenheit. Barwasser erklärt, wo Peterfalvis Menschenliebe herrührt: von der Großmutter, die Auschwitz überlebt hat und danach eine jahrelange Freundschaft mit ihrem KZ-Wärter pflegte. Der Ur-Opa war in Auschwitz gestorben. Logisch, dass Alfons' Geschichte vom Hass in der Überwindung desselben endet.

Christine Eixenberger mit Wolfgang Krebs. (Foto: Stephan Rumpf)

Und dann kommt am Ende eben Georg Schramm, Bühnen-Eremit seit 2014 - und trotzdem noch die gewaltigste Stimme des deutschen Kabaretts. Für sein Loblied auf den zwei Jahre jüngeren Rating genügt dem 70-Jährigen ein Blatt, von dem er nur kurz abliest: "Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist." Sätze von Edward Bernays, Neffe von Sigmund Freud und Begründer der später in Public Relations umbenannten Theorie der Propaganda. Sätze, die auch für Rating so aktuell sind wie 1928: "Damals waren vier von acht Meldungen auf der Titelseite der New York Times PR-getränkt. Das ist heute nicht anders. Der nächste Faschismus wird ein fröhlicher sein. Wir müssen unsere Mittel überdenken."

Rating selbst hat in mehr als 40 Jahren Bühne so ziemlich jedes Mittel eingesetzt. Sein Credo: Der Zuschauer soll oben mit erweitertem Bewusstsein und unten mit nasser Hose nach Hause gehen. "Wir wollten die Verhältnisse verändern", sagt er, "damals ging das mit Humor."

Und mit Anarchie, wie Schramm berichtet. Ende der Siebzigerjahre hat er im Konstanzer Audimax Ratings Truppe "Die 3 Tornados" gesehen: "Ich hatte mit Kabarett nichts am Hut, hab' ganz normal in meinem Job gearbeitet - und dann legen die mit ihrem Apo-Kabarett alles in Stücke. Nie wieder werde ich das vergessen! Der ist Überzeugungstäter, ein Irrer! Wenn jemand einen Preis fürs Lebenswerk bekommt, dann er." Danach: kein Kraut mehr, nirgends.

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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