SZenario:Das Bubenstück

Dieter Reiter nennt sich einen "Sendlinger Bub" und steht nun in einer Reihe mit Peter Ustinov, Franz Josef Strauß und Heino - als Träger des Karl-Valentin-Ordens der Narrhalla. Auch wenn er zu Beginn der Verleihung noch ein wenig zu fremdeln scheint

Von Thomas Becker

Das Orchester Klaus Ammann hat sie alle drauf, die Songs, die ein Narrhalla-Faschingsball halt so braucht. Abbas "Mamma Mia" geht locker über in Sinatras "New York, New York", und als "Rock'n'Roll is back" läuft, lässt sich im Deutschen Theater prima beobachten, auf wie viele verschiedene Arten man das doch tanzen kann: wild, gefühlig, im Schleudergang oder ganz eng beieinander. Schön sieht das aus. Auch nett: Wenn eher zögerliche Tanzmuffel von gar zauberhaften Prinzessinnen formvollendet aufs Parkett gezerrt werden - es herrsche die Emanzipation! Und sonst so? Tollitäten und Lieblichkeiten, wohin man schaut, das Faschingsprinzenpaar Christian III. vom güldenen Maisfeld und Petra IV. von der Speicherwiese im Dauerlächelstress, eine bunte Show der Prinzengarde zum Motto "Lichter des Nordens" - und mittendrin ein Oberbürgermeister, der mit der engen Fliege am Hemdkragen doch ein wenig zu fremdeln scheint.

Dieter Reiter, der Sendlinger Bub, wie er sich selbst nennt, wird als 45. Träger des Narrhalla-Ordens, benannt nach Karl Valentin, ausgezeichnet. Sein Auftritt gerät bombastisch: Eskortiert von acht knapp gewandeten Damen mit hell erleuchteten LED-Geweihen stolziert das Stadtoberhaupt zur feierlichen Musik des Orchesters Richtung Showtreppe und nimmt auf dem blau gepolsterten Ehrensessel Platz. Später sagt er über das ungewohnte Tamtam: "Auf so einem Sessel zu sitzen, ist schon was Besonderes, vor allem wenn man vorher gesehen hat, wer da schon alles drauf gesessen ist." In einem Video-Clip werden die bisherigen Preisträger seit 1973 an die Leinwand geworfen, um zu verdeutlichen, mit wem der Sendlinger Bub nun in einer Reihe steht: Peter Ustinov, Gert Fröbe, Mario Adorf, Rudi Carrell, aber auch Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber, Horst Seehofer, Heino und die Klitschkos. Gut dass Laudator Christian Springer den Orden für Reiter erst mal einordnet: "Jetzt spinnen's komplett! Fake News! Die Narrhalla gehacked von die Russn! Die einzige Plakette, die in München was zählt, ist doch die Feinstaubplakette."

Narrhalla Soiree im Deutschen Theater

Bei der Narrhalla-Soiree im Deutschen Theater wird Dieter Reiter zur Bühne geleitet - um den Orden umgehängt zu bekommen.

(Foto: Florian Peljak)

Überhaupt habe dieser Donald Trump ja das Politikmachen von Reiter gelernt, analysiert der Kabarettist: "Allein dieser Größenwahn!" Zu Christian Udes Inthronisation 1993 sei nur die norwegische Königin Sonja gekommen, bei Reiter dagegen mehr als 20 000 Flüchtlinge pro Tag. Mit gewohnter Verve haut Springer seine wunderbar würzige Lobrede ("Sozialer Wohnungsbau? Damit is doch nix verdient!") in den Saal, durchaus bierzelttauglich, wie Politiker befinden würden. Mei, wenn der Reiter irgendwann mal fertig hat . . .

Hat er aber noch nicht. Er steht laut Jury vielmehr für "Tradition und Bürgernähe, die er in seinem Auftritt des ehrlichen, ganz normalen Münchners vermittelt". Und weiter heißt es in der Würdigung: "Sein Ziel als Oberbürgermeister ist es, das Münchner Lebensgefühl zu bewahren und dass München eine Stadt für alle bleibt, weltoffen und tolerant. Er besitzt einen verschmitzt frechen Humor, den er, spontan doch mit heiterer Gelassenheit und Bedacht dosiert." Die Hintergründigkeit von Reiters Humor im Sinne von Karl Valentin muss man beim OB nicht lange suchen. Als ihm die Strategen des Münchner Verkehrsverbunds MVV unlängst die Pläne für das "modernste Tarifsystem Europas" vorstellten, meinte Reiter bloß: "Ein Warzenschweinvater findet sein Kind auch schön."

Narrhalla Soiree im Deutschen Theater

Im Deutschen Theater läasst sich prima beobachten, auf wie viele verschiedene Arten man das doch tanzen kann.

(Foto: Florian Peljak)

Reiter ist ein dankbarer Preisträger. "Es ist schön, dass wahrgenommen wird, dass man als Oberbürgermeister durchaus auch Humor haben kann. Und dass es goutiert wird, dass man ab und zu ein paar lose Sprüche hat." Zu Valentin hat er ein recht enges Verhältnis: "Er ist schon ein Vorbild für mich. Nicht so direkt, nicht plump, sondern eher hintergründig." Lieblingsszenen hat er gleich mehrere, in seiner Dankesrede referiert Reiter eine mit Liesl Karlstadt: "Geh Papa, heut' is' zünftig." Aber auch im Job komme ihm Valentins Humor oft zupass. "Seine Zitate sind so durchdacht, dass man sie immer wieder einbauen kann", sagt der OB und gibt ein Beispiel: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde - das passt derzeit sehr gut."

Mit dem Narrhalla-Treiben um ihn herum fremdelt Reiter da schon nicht mehr. Cowboy oder Indianer? Die Faschingskernfrage beantwortet er wie aus der Pistole geschossen: "Ich war immer Cowboy. Mittlerweile bin ich aber Pazifist, würde mir also keinen Colt mehr umhängen. Freier Zugang zu Waffen wie in den USA: Das ist der falsche Weg", sagt Reiter. "Ich wäre heute kein Cowboy mehr, vielleicht eher Rockstar. Das würde mir mehr Spaß machen." Und das Orchester spielt dazu Doris Day: "Que Sera, Sera". Was sein wird, wird sein.

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