Geburten:Der Hebammen-Mangel wird in München zur bitteren Routine

Geburten: "Die Väter wollen heute mit dabei sein", sagt Hebamme Claudia Lowitz (im Bild). Als sie vor 30 Jahren anfing, war das noch ganz anders.

"Die Väter wollen heute mit dabei sein", sagt Hebamme Claudia Lowitz (im Bild). Als sie vor 30 Jahren anfing, war das noch ganz anders.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kreißsäle sind überfüllt, werdende Mütter verzweifelt. Claudia Lowitz ist seit fast 30 Jahren Hebamme und sorgt sich, dass eine neue Regelung die Situation noch weiter verschärfen könnte.

Interview von Inga Rahmsdorf

Claudia Lowitz, 52, arbeitet seit fast 30 Jahren als Hebamme in München. Sie hat schon bei Hausgeburten, im Geburtshaus und in Kreißsälen mitgeholfen, Babys auf die Welt zu bringen. Heute betreut sie Frauen vor und nach der Geburt zu Hause und bietet Kurse an.

SZ: Eine Hebamme zu finden, ist in München sehr schwierig. Wann sollte eine schwangere Frau am besten mit der Suche beginnen?

Claudia Lowitz: Die Frauen rufen mittlerweile so früh bei uns an, dass ich mich manchmal frage, ob es ihr Mann überhaupt schon weiß. Sie haben gerade den Schwangerschaftstest gemacht und sofort beginnen sie damit, eine Hebamme zu suchen. Dass eine Schwangere ohne Babybauch vor mir sitzt, das habe ich früher nie erlebt. Das gibt es erst seit ein paar Jahren. Vielen Frauen müssen wir auch absagen.

Wie reagieren die Frauen dann?

Viele sind verzweifelt. Manche weinen, manche sagen, sie geben es jetzt auf, eine Hebamme zu suchen. Sie fragen mich, ob ich eine Buchempfehlung für sie hätte. Viele bleiben ohne Hebamme. Für sie ist die Versorgung in München schon zusammengebrochen. Das Netz wird löchriger. Das betrifft ja nicht nur uns Hebammen, sondern auch die Kinderärzte, die Notaufnahmen in den Kinderkliniken und die Kreißsäle.

Immer wieder berichten Frauen, dass sie unter Wehen abgewiesen wurden in der Klinik, in der sie sich angemeldet hatten.

Es gibt keine aktuellen Zahlen dazu, aber in jedem Kurs für Rückbildungsgymnastik sitzt bei mir mindestens eine Frau, die unter Wehen in der Klinik abgewiesen wurde. Ich führe eine Statistik darüber, und da ist etwa jede zehnte Frau betroffen. Es ist eine Katastrophe. Verbessert hat sich nichts. Wie sollte es auch? Die Geburtenzahl steigt in München, aber die Zahl der Kreißsäle und Hebammen nimmt ja nicht in dem Maße zu. Und in den Kreißsälen arbeiten die Hebammen bereits alle an ihrem Limit.

Aber die Stadt arbeitet doch gemeinsam mit den Kliniken und den Hebammen daran, die Situation zu verbessern?

Es hat sich eine gewisse Routine in der Mangelverwaltung eingestellt. Wir sagen den Frauen, wenn sie Wehen bekommen, sollen sie unbedingt vorher im Kreißsaal anrufen, bevor sie dorthin fahren. Die Kliniken tauschen sich auch untereinander aus, wo es noch freie Plätze gibt. Aber trotzdem bleibt es ein großer Stress für die werdenden Eltern. Sie haben sich in einer Klinik angemeldet, haben einen Infoabend besucht, sich vielleicht die Kreißsäle angesehen, dann beginnt die Geburt und sie müssen an einen unbekannten Ort. Der Mangel wird nicht ernsthaft angegangen. Es darf nicht sein, dass wir es in so einem reichen Land nicht hinbekommen, die Frauen anständig zu versorgen.

Die originärste Aufgabe der Hebamme, die Betreuung während der Geburt, machen Sie nicht mehr. Warum?

Als ich vor 20 Jahren selbst Kinder bekommen habe, habe ich mich dazu entschlossen, nur noch die Vor- und Nachsorge zu machen und Kurse anzubieten. Wenn man Hausgeburten betreut, dann muss man in Dauerrufbereitschaft sein. Das ist mit einem Familienleben nicht vereinbar.

Bei der Nachsorge hat eine Hebamme doch auch keine festen Arbeitszeiten.

Wir arbeiten an sieben Tagen in der Woche. Am Anfang nach der Geburt besuche ich die Frau und ihr Baby jeden Tag zu Hause, auch sonntags und an Feiertagen. Wenn die Kinder zwei Wochen alt sind, komme ich nur noch werktags. Ohne Rufbereitschaft zur Geburt kann ich auch mal für einen halben Tag die Stadt verlassen, an den See fahren, oder in die Berge.

Geburten sind ja nicht planbar. Wie machen Sie es, wenn sie ein Wochenende oder in den Ferien wegfahren wollen?

Dann brauche ich immer eine Vertretung. Aber dadurch, dass die Versorgung mit Hebammen so knapp ist, ist es auch sehr schwierig, eine Vertretung zu finden. Besonders schlimm ist es um Feiertage herum und in den Sommerferien. Im letzten August hatte ich meinen Jahresurlaub, aber wenn ich in der Stadt war, habe ich trotzdem bei einigen Frauen vorbeigeschaut. Sonst hätten sie gar keine Betreuung gehabt. Das macht auch etwas mit uns Hebammen, zu wissen, dass so viele Frauen unterversorgt sind. Dann versorgen wir sie doch noch, auch wenn wir eigentlich frei haben.

Eine Geburt kostet immer gleich viel, egal wie lang sie dauert

Wie könnte die Stadt die Situation verbessern?

Mir wäre schon geholfen, wenn ich den Frauen sagen könnte, nächstes Wochenende bin ich nicht da, bei Problemen könnt ihr aber eine Hotline anrufen und eine Vertretungshebamme kommt zu euch.

Sie fahren mit dem Fahrrad zu ihren Hausbesuchen.

Die Anfahrt zu den Hausbesuchen ist für uns Hebammen praktisch unbezahlt. Deswegen lohnt es sich auch nur, wohnortnah Frauen zu betreuen. Das verschärft natürlich das Problem in Bezirken, in denen es wenig Hebammen gibt. Aber wir können es uns einfach nicht leisten, quer durch die Stadt zu fahren. Außerdem wäre ich sonst den ganzen Tag mit Parkplatzsuche beschäftigt.

Wie hoch ist die Pauschale, die Sie von den Krankenkassen für einen Hausbesuch erhalten?

Wir bekommen 37 Euro, egal ob wir die Frauen und Kinder zwei Stunden, oder, wie von den Krankenkassen vorgesehen, 20 Minuten besuchen.

Was hat sich bei der Arbeit verändert in den vergangenen dreißig Jahren?

Es gibt heute eine eklatante Unterversorgung. Aber es gibt auch positive Veränderungen. Wenn wir zusammensitzen, um einen Termin zu vereinbaren, dann holt heute oft auch der Mann den Kalender raus und will mit dabei sein. Das ist neu. Männer helfen heute viel mehr mit. Die zwei Monate Elternzeit haben schon viel gebracht, auch wenn es immer noch nicht viel Elternzeit ist, die von Männern übernommen wird. Aber die Verunsicherung bei den angehenden Eltern nimmt zu.

Woran liegt das?

Es gibt eine Vielzahl neuer Diagnosemöglichkeiten, die aber auch Ängste schüren. Die Ultraschalluntersuchungen werden immer besser. Dadurch werden Anomalien aber auch sichtbarer. Das ist eine diagnostische Mühle, in der die Frauen viel schneller drin sind. Je mehr man untersucht, desto mehr Unruhe bringt man in die Schwangerschaft. Die gute Hoffnung zu bewahren, ist für schwangere Frauen mittlerweile nicht mehr so einfach.

Wenn Sie noch einmal vor der Wahl ständen: Würden Sie wieder den Beruf als Hebamme ergreifen?

Ja, es ist ein sehr schöner Beruf. Man darf an einem ganz besonderen Ereignis teilnehmen und ist nah dran am Leben. Es ist ein medizinischer Beruf, aber er hat mit Gesundheit und nicht mit Krankheit zu tun.

In Deutschland liegt die Kaiserschnittrate bei etwa 30 Prozent.

Das ist auch ein Systemfehler. Warum ist der Kaiserschnitt die teuerste Geburt? Warum rechnen sich Geburten am besten, wenn sie schnell gehen? Die Kliniken werden für eine normale Geburt pauschal bezahlt, egal wie lange sie dauert.

Egal, ob zwei oder zwölf Stunden?

Ja. Und der Stress und Druck wachsen natürlich, wenn die Frauen schon Schlange stehen. Es gibt Studien, die belegen: Je intensiver die Betreuung durch eine Hebamme ist, desto weniger medizinische Maßnahmen im Kreißsaal sind notwendig. Wir bräuchten mehr Personal und mehr Kreißsäle. Ideal wäre eine Eins-zu-Eins-Betreuung unter der Geburt, aber die Krankenhausträger sind nicht dazu bereit, den Personalschlüssel anzuheben, oder die Vergütung zu verbessern. Von den großen Parteien wird zwar große Betroffenheit und Hilfsbereitschaft proklamiert, aber echte Reformen sind nicht in Sicht.

Dieses Jahr tritt eine neue Regelung in Kraft: Freiberufliche Hebammen dürfen nur noch zwei Frauen gleichzeitig bei der Geburt betreuen.

Ja, aber für angestellte Hebammen gilt das nicht. Die Idee ist ja gut, dass Hebammen nicht mehr so viele Frauen gleichzeitig betreuen. Aber warum gilt das nicht für die angestellten Hebammen im Kreißsaal? Es geht nur darum, Geld zu sparen. Und man müsste das auch langfristig planen. Kurzfristig führt das nur zu noch mehr Engpässen in den Kreißsälen. Pflege und Hebammen waren immer ein Frauenthema, und wo Frauen arbeiten, gibt es weniger Geld. Aber Geburtshilfe ist kein Frauenthema: Es geht darum, dass die nächste Generation gesund und sicher auf die Welt kommt.

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