SZ-Serie: "Wo Nachbarn ins Gespräch kommen", Folge 8:Wie auf dem Dorf

Das Olympiawerk ist ein Handwerkerladen der besonderen Art. Er funktioniert ein bisschen so wie früher die Gemischtwarenhandlung

Von Ulrike Steinbacher, Olympiadorf

Die Szene ist typisch: Eigentlich feiern die Mitarbeiter des Olympiawerks mit ihren Kunden gerade einjähriges Bestehen, da kommt eine Frau mit einer kleinen Rampe ins Geschäft am Helene-Mayer-Ring. Gekauft hat sie das Ding, damit ihr alter Hund leichter ins Auto steigen kann. Doch dem Tier ist die schiefe Ebene zu schmal, daher will sie sich jetzt etwas Breiteres bauen lassen. Und schon stellt Christian Treffer sein Weißbier ab und misst gemeinsam mit Stefano, dem neuen Mitarbeiter, die Rampe aus.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger.

(Foto: Florian Peljak)

Das Olympiawerk ist ein Handwerkerladen der besonderen Art. Er funktioniert ein bisschen so wie früher auf dem Dorf die Gemischtwarenhandlung. Nur dass man sich hier nicht zwei Pfund Zucker holt und die Geburtstagskarte für Tante Trudi. Stattdessen können die Olympiadörfler ihre Klamotten für die Reinigung abliefern, ihre Pakete abholen, Schreinerarbeiten in Auftrag geben, Faxe verschicken und E-Mails abrufen. Sie finden aber auch Einbruchschutz und Schlüsseldienst, jemanden, der verstopfte Spülbecken freimacht, Wasserschäden beseitigt, Markisen abbaut, Fliesen ausbessert oder altes Mobiliar aus der Wohnung räumt. Alle Mitarbeiter leben im Dorf - und was sie nicht selber machen, das vermitteln sie, wie den Nähmaschinen-Reparaturdienst in Trudering, den ein Anwohner empfohlen hat.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Eine Adresse für alle: Das Olympiawerk ist beliebter Treffpunkt für Jung und Alt.

(Foto: Florian Peljak)

"Das Olympiadorf hat alles", sagt Christian Treffer, "man muss es nur zusammenbringen." Wie das geht, hat er schon als Kind in der Schreinerei des Vaters lernen können. Da kamen Leute, die etwas repariert haben wollten, und Leute, die eine Beschäftigung suchten. Nicht viel anders funktioniert heute das Olympiawerk. Beispiel: Schreinermeister Treffer hat einen Auftrag in der Wohnung einer Flugbegleiterin und erfährt nebenbei, dass sie sich gerne wieder einen Hund zulegen möchte, aber nicht weiß, wer ihn ausführen soll, wenn sie im Schichtdienst um die Welt fliegt. Und schon fällt ihm "unsere Wunderwaffe Maximilian" ein. Der Rentner ist im Serviceladen für die Mülltrennung und -entsorgung zuständig, hilft dabei, Pakete auszufahren - und hat selber Hunde.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Christian und Martine Treffer.

(Foto: Florian Peljak)

Geschichten wie diese lassen sich nach nur einem Vormittag im Laden dutzendfach erzählen. An einer Wand lehnt ein sehr, sehr schmales, sehr, sehr großes Paket. Später wird man erfahren, dass es ein Fahrrad birgt und unterwegs nach Barcelona ist. Der Absenderin hat Christian Treffer einen Spezialservice vermittelt, der Räder günstiger verschickt als die üblichen Paketdienste. Den Kontakt hat er auf einer Radlmesse in Berlin geschlossen, Ersparnis für die Kundin: 200 Euro. Verdient wird an dieser Art Geschäften natürlich wenig bis nichts, aber Geld ist für Christian Treffer und seine Leute nicht alles. Sie wollen Spaß an ihrer Arbeit haben und mögen den Kontakt mit Menschen. "Das Ziel ist, dass es passt", sagt der 54-Jährige. Gemeint sind zufriedene Mitarbeiter ebenso wie zufriedene Kunden.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Das Olympiawerk ist ein Handwerkerladen der besonderen Art. Spannende Attraktionen gibt es hier für Jung und Alt.

(Foto: Florian Peljak)

Für die junge Frau, die an diesem Morgen als erste durch die Ladentür tritt, lässt sich das ziemlich schnell erreichen: Ihre Mutter hat das Zahlenschloss am Fahrrad neu eingestellt, ohne sich die Kombination zu notieren. Da hilft nur noch der Bolzenschneider, mit dem Edi Gar der Frau zu Hilfe kommt. Der Service-Handwerker ist fast von Anfang an dabei. Er meldete sich auf ein Internet-Inserat und konnte sofort anfangen. Zunächst auf 450-Euro-Basis, so macht es Christian Treffer immer, um die Kosten erst einmal in Schach zu halten. "Aber der hat mich dann gleich voll eingespannt", erzählt Edi Gar. Es passte halt.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Für die Gäste im Laden gibt es Weißwürste. Hier fühlen sich die Besucher wie früher auf dem Dorf.

(Foto: Florian Peljak)

Auch die anderen Mitarbeiter kamen fernab der üblichen Bewerbungsroutine zu ihren Jobs. Evita Preuß, die Christian Treffer schon lange kennt, wollte eigentlich nur mal vorfühlen wegen eines Jobs. Am nächsten Arbeitstag habe sie dann angefangen, erzählt die 64-Jährige - Dienstpläne, Urlaubspläne, das immerwährend klingende Telefon. Inzwischen teilt sich die gelernte Bürokauffrau die Arbeit mit Wila Li, ehe nachmittags Treffers Frau Martine das Büro übernimmt. Dass Neuzugang Stefano nicht genauso überfallartig requiriert wurde, lag nur daran, dass er noch eine Stelle im Flüchtlingsheim hatte, als er wegen eines platten Fahrradreifens auf der Suche nach Flickzeug den Laden entdeckte.

Der Allround-Dienstleister Olympiawerk feiert einjähriges Bestehen. Olympiadorf. Serie Funkstelle

Luftballons und Seifenblasen: Auch für Kinder hat das Olympiawerk einiges zu bieten.

(Foto: Florian Peljak)

"Supergenial, superfreundlich, ein absolutes Muss im Dorf", lobt Kundin Iris Selch aus der Nadistraße das Olympiawerk. Sie ist gekommen, um ein Jackett von der Reinigung abzuholen und Schuhe zum Besohlen zu bringen - alles Leichtgewichte im Verhältnis zum allerersten Auftrag, den sie für das Team hatte: Da war ein zentnerschwerer Granitblock aus dem Auto zu heben, auf den sie ihren Plattenspieler stellen wollte. "Flexibilität hat bei uns oberste Priorität", sagt Evita Preuß zur Vielfalt der Aufträge. "Was wir brauchen, sind Idealisten, die zupacken können."

Zum Gemischtwarenladen Olympiawerk gehört auch der Büchertausch-Tisch vor der Tür, an dem sich jeder Passant bedienen, aber auch Lesestoff ablegen kann. In der Spendenbox daneben kamen vergangenes Jahr 1000 Euro zusammen. Ein Drittel ging an bedürftige Dorfbewohner, der Rest an caritative Stiftungen. Rein optisch aber bietet der Büchertisch noch Spielraum für Verbesserungen, und da hofft Christian Treffer auf die Nutzer. An diesem Vormittag kommt Irene Erben von der Genossenschaft Olywelt mit einer Idee dafür vorbei: Eine Bücherkiste mit Fächern soll es werden, auf leichtgängige Räder montiert, die sich abends schnell ins Geschäft zurückrollen lässt. Schon zückt Christian Treffer Bleistift und Meterstab.

Sein Wunschtraum wäre, die Geschäftsidee Olympiawerk zu verbreiten, dafür zu sorgen, dass in anderen Vierteln ähnliche Servicezentralen eröffnen. Zugleich ist er Realist genug, um zu wissen, dass es Dorfläden von der Stange nicht geben kann. Jede Ecke der Stadt ist anders, und es muss passen zwischen der Kundschaft und dem Betreiber. Letzterer muss Zeit und Herzblut ins Geschäft stecken, da sein, mit den Nachbarn ins Gespräch kommen. Dann lassen sich die unsichtbaren Netzwerke knüpfen, die dieses Modell tragen. Im Olympiadorf ist das offenbar geglückt. "Die meisten Leute gehen lächelnd aus dem Laden raus", sagt Christian Treffer. Das stimmt.

Am Mittwoch lesen Sie: der Second-Hand-Laden an der Fürstenstraße in der Maxvorstadt

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