Fahnder in München:So arbeiten Detektive am Schreibtisch

Fahnder in München: Für die LKA-Beamten des Sachgebiets für Wirtschaftsvergehen an der Barbarastraße gehört Aktenstudium zum Tagesgeschäft.

Für die LKA-Beamten des Sachgebiets für Wirtschaftsvergehen an der Barbarastraße gehört Aktenstudium zum Tagesgeschäft.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Die Abteilung für Wirtschaftskriminalität, Korruption und Umweltvergehen hat es meist mit komplizierten Delikten zu tun - deshalb ermitteln dort auch ausgebildete Banker und Betriebswirte.

Von Ralf Scharnitzky

Der lange Gang mit den gut einem Dutzend Zimmern ist menschenleer. Umzugskisten stehen rum, aufgereiht und übereinander gestapelt. Die meisten Schreibtische sind verwaist. Die Damen und Herren Kommissare sind unterwegs. Dienstlich, nicht etwa wegen eines Umzugs: "Gerade jetzt passiert ein wichtiger Zwischenschritt", sagt Jürgen Miller, der am Flurende in einem kleinen Büro des Landeskriminalamt-Gebäudes an der Barbarastraße die Stellung hält.

Der 47-jährige Kriminaloberrat ist seit fünf Jahren bei der SG 625 und Chef dieses Sachgebiets, das sich um Wirtschaftskriminalität, Korruption und Umweltvergehen kümmert. Wenn seine Leute zurück sind, werden noch mehr Umzugskartons herumstehen, diesmal allerdings in den Zimmern.

Monatelang hatten die Erstermittlungen in einer Urheberrechtssache gedauert. Als der zuständige Sachbearbeiter sich sicher war, alle relevanten Fakten wasserdicht zusammenzuhaben, erteilte der Staatsanwalt die Zustimmung zum Zugriff: Zeitgleich fanden in mehreren Objekten in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Durchsuchungen statt. Mehr darf Miller nicht erzählen: "Denn der Fall ist noch lange nicht abgeschlossen."

Die etwa 20 Frauen und Männer des Sachgebiets werden immer dann aktiv, wenn es um "Betrug mit besonderer Vorgehensweise" geht: Kapitalanlagebetrug, Umsatzsteuerbetrug, Schädigung von Unternehmen oder Patent- und Urheberechtsverletzungen. Das LKA wird tätig, "wenn uns Ministerium, Gericht oder Staatsanwaltschaft damit beauftragen", sagt Miller. Also vor allem bei größeren Fällen, bei bandenmäßigem Vorgehen und grenzüberschreitendem Betrug.

Am Beispiel eines Kapitalanlagebetrugs lässt sich das Alltagsgeschäft der Ermittler gut darstellen. Ein Delikt, das derzeit Konjunktur hat: "Wenn die Zinsen bei den Banken hoch sind, gibt es diese Betrugsmasche kaum. Wenn sie niedrig sind wie jetzt, dann versprechen Betrüger hohe Renditen mit obskuren Projekten", erläutert der SG-Chef. Und viele Anleger fallen darauf rein, investieren ihr Geld in die in Hochglanzbroschüren angepriesenen Objekte; zum Beispiel in Ferienanlagen oder Seniorenheime, aber auch in Schiffe und Firmenbeteiligungen.

Geprellte Anleger und obskure Projekte

Oft nichts als heiße Luft: Die angeblich so lukrativen hochverzinslichen Anlagen bringen keine Rendite, null, niente. Die Betroffenen schalten Anwälte ein, mancher Geschädigte bekommt dann tatsächlich Zinsen ausgezahlt - aber nicht aus erwirtschafteten Gewinnen, sondern mit dem Geld, das neue Anleger in den Fonds gezahlt haben. Eine Masche, die als "Schneeball-System" bekannt ist.

Und irgendwann hagelt es dann Anzeigen der geprellten Anleger - der Fall landet beim Landeskriminalamt. Dann beginnt die Kleinarbeit. Bei der SG 625 heißt das "nicht offene Phase der Ermittlungen". Die Beamten recherchieren im Internet, in den Wirtschaftsteilen, besorgen sich Geschäftsberichte und Broschüren - alles, was über die vermeintliche Betrugsfirma zu erfahren ist, wird gesammelt.

Kollegen von der Abteilung Cyber-Crime, der Geldwäscheabteilung oder der Steuerfahndung werden eingeschaltet. Miller: "Alle, aber auch alle Möglichkeiten werden ausgeschöpft." Bis hin zur Telefonüberwachung. Von den Ermittlungen darf nichts nach außen dringen, die observierten Firmen dürfen nichts mitbekommen.

Polizisten im Schnelldurchgang

Wenn die Verdachtsmomente sich erhärten, kommt der Augenblick, in dem die Büromenschen dann doch zu Polizisten werden, wie man sie aus TV-Krimis kennt: Und wenn die Gefahr besteht, dass Akten oder Daten vernichtet werden, geht es sogar mit Blaulicht zu den Durchsuchungen. "Unsere wichtigste Prämisse ist der zeitgleiche Zugriff in allen Objekten - auch bundesweit", sagt Miller. Damit sich die Verdächtigen nicht gegenseitig warnen können.

Und trotzdem: "Manchmal schaffen es die Betrüger, noch zu reagieren, wenn sie uns kommen sehen. Der Aktenschredder ist noch warm, wenn wir den Raum betreten." Hilft aber nicht viel. Es gibt meist noch genug Material für die Umzugskisten. Darin verpackt landen die Akten in den Büros der Sachbearbeiter.

Fahnder in München: Kriminaloberrat Jürgen Miller leitet das Sachgebiet 625 im Landeskriminalamt, das sich mit schweren Wirtschaftsdelikten befasst.

Kriminaloberrat Jürgen Miller leitet das Sachgebiet 625 im Landeskriminalamt, das sich mit schweren Wirtschaftsdelikten befasst.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Es beginnt der "akribischen und diffizilen Arbeit zweiter Teil", so Miller. Festplatten, Dateien, Akten, E-Mail-Verkehr, Konto-Unterlagen und Bilanzen müssen gesichtet und gelesen werden. Verdächtige werden vernommen. Bis Ende der Siebzigerjahre reichte es, dass sich einzelne Beamte in den Ermittlungsabteilungen um Wirtschaftskriminalität kümmerten. Dann wurde eine eigene Abteilung gegründet.

2006 kam die gravierendste Neuerung: Im SG 625 arbeiten seither auch studierte Betriebs- oder Volkswirte und Banker, die statt in drei in einem Jahr zum Polizisten ausgebildet wurden. Miller ist davon begeistert: "Das hat sich bewährt, dass es beide gibt: Polizisten und Spezialisten."

Denn vor allem die Spezialisten können die immer besser verschleierten Geldflüsse entschlüsseln: Ist das Geld der Anleger tatsächlich in die Anlageobjekte geflossen oder in private Immobilien-Käufe und Urlaubsreisen der vermeintlichen Betrüger? Es gilt eine hieb- und stichfeste Beweislage für die Anklage herzustellen: "Der Staatsanwalt muss ja jeden einzelnen Beklagten einer ganz persönlichen Beteiligung an dem Betrug anklagen. Die Beweismittel müssen jedem einzelnen Beschuldigten zugeordnet werden", erläutert Miller.

Umzugskartons mit wichtigen Akten

Und deshalb stehen im Gang des Sachgebiets 625 immer wieder Umzugskartons rum: Schön sortiert, geordnet und mit Aufklebern versehen - die Beweismittel eines ermittlungstechnisch abgeschlossenen Falls für den Staatsanwalt. In den Büros aber lagern die Kartons mit den Unterlagen, die erst noch Beweismittel werden sollen. Noch nicht so sortiert und geordnet wie auf dem Gang: "Manchmal kommen wir kaum noch zu unseren Schreibtischen", sagt der Mitarbeiter, der die Akten der jüngsten Durchsuchung sichten und für den Staatsanwalt aufbereiten muss.

Bei einem Tag der offenen Tür lassen sich die Polizisten des Landeskriminalamts am Samstag, 11. Juni, über die Schulter schauen - und zwar von 10 bis 16 Uhr in der Maillingerstraße 15. Von 15 bis 20 Uhr ist auf dem Gelände auch ein Biergarten geöffnet.

Die Maschen der Betrüger

Die Zahlen sind seit Jahren ungefähr gleich, lediglich die Häufigkeit bestimmter Betrugsmaschen variiert: 2015 verzeichnet die Statistik etwa 10 000 Wirtschaftsstraftaten in Bayern. Das sind 2,9 Prozent aller Delikte im Freistaat, also nur ein ganz kleiner Teil der Gesamtkriminalität. Aber: Die Schadenssumme von 400 Millionen Euro entspricht 50 Prozent des Gesamtschadens, der durch Straftaten in Bayern entsteht. Die Aufklärung von Wirtschaftsdelikten ist kompliziert und langwierig: "Oft haben wir eine Straftat, aber keinen Täter. Oft aber auch einen Täter und keine Straftat. Wir müssen erst nachweisen, dass sein Handeln strafbar war", sagt Kriminaloberrat Jürgen Miller vom Landeskriminalamt.

Derzeit stehen in Augsburg Angeklagte wegen organisierten Steuerbetrugs vor Gericht: Die Durchsuchungsaktion fand bereits vor vier Jahren statt - und war eine der spektakulärsten. In den frühen Morgenstunden des 14. Juni 2012 durchsuchten mehr als 700 Kriminalbeamte und Steuerfahnder mehr als 100 verschiedene Firmen und Privathäuser im ganzen Bundesgebiet und im Ausland.

Derzeit besonders beliebt: Der CEO-Fraud. Bei dieser Betrugsmasche geben sich Täter beispielsweise als Geschäftsführer (CEO) eines Unternehmens aus und veranlassen einen Mitarbeiter zum Transfer eines größeren Geldbetrages ins Ausland. Die Täter nutzen Informationen, die Unternehmen in Wirtschaftsberichten, im Handelsregister oder auf ihrer Homepage veröffentlichen. Sie legen ihr Augenmerk insbesondere auf Angaben zu Geschäftspartnern und künftigen Investments und geben sich dann als leitende Angestellte, Geschäftsführer oder Handelspartner aus. Dabei fordern sie etwa über gefälschte Email-Adressen wegen einer angeblichen Unternehmensübernahme oder einer geänderten Kontoverbindung den Transfer größerer Geldbeträge auf Konten in China und Hongkong, aber auch in osteuropäischen Staaten. So konnten Kriminelle in den vergangenen Monaten mehrere Millionen Euro erbeuten.

In vielen Fällen waren die Täter nicht erfolgreich, weil die Mitarbeiter sich nicht täuschen ließen. Auch weil sie gewarnt waren. Denn auch Prävention und Aufklärung sind Aufgabe des LKA. "Viele Betriebe, die betrogen wurden, fürchten um ihr Image, wenn der Betrug bekannt wird", so Miller. Und auch so mancher Privatanleger, der Geld verliert, scheut den Weg zur Polizei: "Vielleicht auch, weil das Geld aus dubiosen Quellen stammt." Dabei ist das LKA auf die Informationen angewiesen: "Firmen und Privatleute müssen sich melden und das auch möglichst schnell, damit wir andere warnen können." rsy

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