SZ-Serie: Stadt der Frauen:Frau am Steuer

Ist sie auch wirklich hart genug für den Job? Plant sie heimlich eine Babypause? Und muss am Ende womöglich ein Mann zurückstecken? Mit weiblichen Führungskräften tun sich viele Münchner Betriebe noch immer schwer. Die SZ ist da nicht unbedingt eine Ausnahme

Von Nina Bovensiepen

Manchmal wirkt sie ja schon weit weg gerückt. Doch just, wenn dieses Gefühl überhandgenommen hat, kann es passieren, dass sie mit Karacho herunterzukrachen scheint. Bumm. Von wegen weit weg. Da ist sie wieder: die gläserne Decke.

Ein Beispiel aus dem Bekanntenkreis. Es geht um eine gut laufende Kanzlei in Bayern, für die sich der Senior, um die 70, um seine Nachfolge kümmert. Zwei seiner Kinder arbeiten im Unternehmen, beides top ausgebildete Juristen, beide ehrgeizig und tough. Der Unterschied: das eine ist der Sohn, das andere die Tochter. Nahezu beiläufig erfuhr sie eines Tages, dass der Vater längst festgezurrt hat, wer in der Chefposition nachrücken soll. Er, der Bruder. Der Grund? Es könne ja sein, dass die Tochter bald wegen einer Babypause ausfalle. Klar, kann sein. Genau so, wie es sein kann, dass dem Junior plötzlich einfällt, er habe zu wenig von der Welt gesehen oder dass er in eine Elternzeit verschwindet, wie es heute viele Väter tun.

Frauen kommen inzwischen leichter nach oben - bis zu einer bestimmten Hierarchie

Der Fall ist typisch, wenn es um den Aufstieg von Frauen in Führungsjobs geht. Bis zu einer bestimmten Hierarchie kommen sie heute leichter nach "oben". Aber ganz oben hakt es oft gewaltig. In Unternehmen, ob klein oder groß, in der öffentlichen Verwaltung, in Wissenschaft oder Spitzengastronomie. Die Quotendebatten bewirken etwas, aber es ist immer noch zu wenig.

Warum ist das so? Und wie stellt sich die Situation speziell in München dar? Das ist das Thema einer neuen SZ-Serie im Lokalteil. Sie leuchtet die Rolle von Frauen in vielen Bereichen der Gesellschaft aus. Sie untersucht, wie Frauen Städte bauen und Kunst sammeln, wie sie Firmen gründen oder das gestalten, was sie von ihren Vätern und manchmal Müttern übernommen haben. Auch um die Rolle der Frau in den Münchner Religionsgemeinschaften oder den großen Sportvereinen geht es.

Bevor wir auf andere schauen, beginnen wir mit einem Blick auf uns. Die Süddeutsche Zeitung ist eine Münchner Zeitung und in der Stadt tief verwurzelt, wir sind kein internationaler Großkonzern, aber ein wichtiger Bestandteil der Medienbranche - auf welche bei dem Thema Frauen auch kritisch geschaut wird. Wie sieht es also bei der SZ mit Frauen in Führungspositionen aus, mit der Förderung von weiblichem Nachwuchs? Wo geht es voran, wo hakt es?

SZ-Serie: Stadt der Frauen – Folge 1

Weibliche Vorbilder - wie sie München prägen und wo sie noch fehlen

Sicher ist so viel: Es geht voran. Und es hakt. Das zeigen allein die Zahlen. Im Impressum der SZ, das die leitenden Redakteure aufführt, sind heute neun Frauen zu finden. Ihnen stehen 36 Männer gegenüber. Macht einen Frauenanteil von 20 Prozent. Damit liegt die SZ zwar deutlich hinter anderen Leitmedien wie der Zeit, die laut der Journalisten-Initiative Pro Quote inzwischen einen Führungsanteil von 36,7 Prozent erreicht hat. Gemessen an der SZ, wie sie vor einigen Jahren war, hat sich trotzdem enorm viel getan.

Dass es vorangeht, hat mehrere Gründe. Die gesellschaftliche Debatte mit der Forderung nach Quoten ist einer. Auch bei der SZ haben damit neuartige Diskussionen begonnen. Denn obwohl die Zeitung sich gerne liberal und modern präsentiert und obwohl sie schon immer exzellente Autorinnen hatte: Frauen, die in eine Führungsposition wollten, wurden bis vor einigen Jahren häufig schlicht nicht ernst genommen. Sie seien zu jung oder zu unerfahren, wurde ihnen beschieden, während Männer im gleichen Alter selten als zu jung oder unerfahren galten. Zu einer Veränderung hat zudem die Erkenntnis der (rein männlich besetzten) Chefredaktion beigetragen, dass eine zu große Männerdominanz für die Zeitung, auch inhaltlich, nicht das Beste ist. Denn unter den Lesern der SZ sind jede Menge Frauen. Daher ist es wichtig, in der Frauenförderung voranzukommen.

So hat, später als in manch anderen Branchen, bei der SZ und vielen Medien ein Prozess eingesetzt, in dem unter anderem "Frauen-Arbeitsgruppen" berufen wurden und in dem es bisweilen heftig geknirscht hat - und immer noch knirscht. Zwischen Frauen und Männern. Auch zwischen Frauen und Frauen. Bekanntlich machen Frauen es Frauen nicht immer leicht. Sie verfügen nicht über eng geknüpfte Netzwerke, was auch nicht sein muss - wobei sie sehr hilfreich sein können. Zudem sind Frauen oft zu kritisch oder missgünstig einander gegenüber, was auch nicht immer sein müsste. Zugleich sind nach wie vor Stereotype in vielen Köpfen verankert: Männer sind ehrgeizig und tough, wenn sie nach oben drängen; Frauen sind zickig und verbiestert, wenn sie das gleiche tun.

Und natürlich ist das Thema ein Reizthema. Als 2013 bei der SZ auf einen Schlag mehrere Ressortleiterinnen berufen wurden, reagierten Branchendienste mit Anerkennung. Intern aber diskutierten Kollegen, nicht nur Männer, darüber, wer darunter nur "Quotenfrauen" seien. Zudem erklangen sorgenvolle Töne männlicher Kollegen, die ihre Karrierechancen zerrinnen sahen, nun, wo überall Frauenpower Einzug halte.

Um solche Ängste zu relativieren, reicht in der SZ an manchen Tagen immer noch ein Besuch in der Redaktionskonferenz. Dort sitzen in der Regel zwei bis vier Frauen mit gut 20 Männern zusammen und diskutieren über die Zeitung, über das, was auf der Welt und im Internet los ist, und was sonst noch zu besprechen ist. Dabei kann an schlechten Tagen eine aufgeladene Atmosphäre entstehen, in der Versuche von Kolleginnen, über "weichere" Themen zu reden, gnadenlos zum Scheitern verurteilt sind. Also etwa Fragen wie jene, wie viele Frauen täglich in der SZ als Autorinnen auftauchen, ob in mancher Bildauswahl nur Gedankenlosigkeit oder schon Chauvinismus zu erkennen ist, und ob sich das Arbeitsklima verbessern würde, wenn wir das redaktionelle Umfeld "freundlicher" gestalten. Das kann dann Augenverdrehen oder wortgewaltige Gegenreden auslösen.

SZ-Serie: Stadt der Frauen: Foto: Bene Rohlmann

Foto: Bene Rohlmann

In dieser Runde oder in der Führungsriege der meisten Ressorts der SZ ist es letztlich wie in Münchner Dax-Konzernen und vielen kleinen oder mittelständischen Betrieben in der Stadt ebenfalls: Es ist noch nicht jene kritische Masse an weiblicher Beteiligung erreicht, die es braucht, damit "das Frauenthema" nicht "das Frauenthema" ist, sondern damit ein Klima herrscht, in dem weiblicher Einfluss selbstverständlicher Teil des Alltags ist. Themen und Problemlösungen ändern sich, je gemischter Teams sind, Sichtweisen, Einstellungen und Ergebnisse auch. Stichwort Ergebnisse: Darum geht es ja - es geht darum, das beste Produkt zu machen. Die besten Häuser zu bauen, die beste Technologie zu produzieren, oder eben Lesern eine richtig gute Zeitung zu präsentieren. Die entsteht, wenn die besten Leute daran arbeiten. Nicht strikt nach Quote ausgewählt, sondern nach Qualifikation. Männer wie Frauen. Theoretisch wissen das alle, praktisch haben wir Aufholbedarf - in der Zeitungsredaktion wie in anderen Münchner Betrieben.

Doch auch, wenn der Wille größer geworden ist, kann der Prozess ins Stocken geraten. Frauen, die selbst in Führungspositionen gestalten können, müssen dann mitunter einräumen, dass es leichter war, einst über die Zustände zu jammern, als nun die Zustände selbst zu verändern. Es lässt sich ja leider nicht mehr einfach den Chefs in die Schuhe schieben, wenn es zu langsam geht. Wir müssen uns fragen, was die Gründe sind. Wir müssen uns manchmal eingestehen, dass für einen freien Führungsjob keine einzige Frau die Hand hebt. Ein Grund mag sein, dass es nicht genügend flexible Arbeitsmodelle gibt. Dann müssen wir Chefs und Personaler überzeugen, mehr zu ermöglichen. Wenn es andere Ursachen sind, müssen wir daran arbeiten.

Wenn heute keine Frau nach den Leitungsposten greifen mag, müssen wir dafür sorgen, dass es morgen mehr tun. Dass ein Klima entsteht, in dem junge Frauen Lust haben, Verantwortung zu übernehmen - sei es für ein Zeitungsressort oder die Abteilung einer Versicherung. Was das betrifft, gibt es, das ein Eindruck aus dem persönlichen Erleben, Grund zur Zuversicht. Denn wenig sichtbar ist oft, was sich unter der obersten Führungsebene tut; bei der SZ angefangen bei der Auswahl von Volontären, fortgesetzt bei der Besetzung von Redakteursstellen und niedrigeren Führungsebenen. Hier ist die Zeitung viel weiter als früher. Heute spielt die Frage nach dem Anteil von Frauen und Männern bei nahezu jeder Personalentscheidung eine Rolle. Das Thema ist in Zielvereinbarungen für Führungskräfte verankert. Und, noch wichtiger: Es ist in den Köpfen verankert. In vielen jedenfalls.

Trotzdem dauert es ungeduldigen Kolleginnen viel zu lange. Sie wünschen sich mehr Tempo. Sie klagen darüber, dass in den "Schaltstellen", am Newsdesk, in der Chefredaktion, immer noch keine oder zu wenig Frauen zu finden sind. Ja, das ist so. Bei anderen Kolleginnen ist es wiederum schwierig, sie zu überzeugen, zur Beschleunigung beizutragen, den Wandel mit zu gestalten. Damit dreht man sich dann manchmal im Kreis, etwa wenn Frauen davor zurückschrecken, mehr Verantwortung zu übernehmen, und das damit begründen, dass ihnen das Haus noch zu sehr männlich dominiert sei. So wird es zäh. So können sich eingefahrene Muster nicht verändern.

760 916 Münchnerinnen

waren am 31. Mai dieses Jahres im Melderegister der Stadt erfasst. Zahlenmäßig sind die Frauen damit bei 739 644 Männern in der Mehrheit. Das war auch schon bei der ersten getrennten Berechnung der Fall. So waren im Jahr 1794 in der Stadt 18 960 Münchnerinnen und 15 317 Münchner registriert. Bei einer Zählung im Jahr 1813 gab es mehr Männer als Frauen. Im Jahr 1900, als München knapp an der 500 000-Einwohner-Marke kratzte, teilte sich dies in 243 762 Männer und 256 170 Frauen auf.

Alle Frauen in verantwortlichen Positionen, nicht nur in der Medienbranche, können von diesen Mustern und Ritualen berichten. Etwa von jenen erstaunten Blicken, die (insbesondere etwas älteren) männlichen Gesprächspartnern ins Gesicht geschrieben stehen, wenn sie realisieren, dass sie eine Frau plötzlich ernst nehmen müssen und es sich nicht um die Sekretärin des Chefs handelt, der gleich um die Ecke kommt. Oder über Winkelzüge von Kollegen, die über die eingespielte Männerbünde versuchen, eine Chefin auflaufen zu lassen. Oder von Bemerkungen wie jener, auch dies eine Rand-Episode aus dem persönlichen Erleben, die dem Mann einer früheren Kollegin auf einem Fest herausrutschte: "Und so was geht jetzt bei der SZ. . ." Sein Blick musterte dabei skeptisch diese Frau vor ihm, die jetzt den Job macht, den vorher ein "gestandener Mann" hatte.

Ja, so was geht jetzt. Und es fühlt sich oft schon sehr gut an. Zwischendurch gibt es aber Tage, an denen die Glasplatte sehr real zu sein scheint. Tage, an denen wieder eine junge Kollegin da sitzt, die aufzählt, wie viele ähnlich qualifizierte Männer an ihr vorbeigezogen seien bei der Bewerbung um einen Korrespondentenposten. Oder wenn die Eignung einer Frau für einen Job mit der Begründung infrage gestellt wird, dass sie zu wenig "Ellenbogen" besitze oder dass sie für ein männerdominiertes Umfeld nicht durchsetzungsstark oder gar trinkfest genug sei. Gibt's nicht? Doch, gibt es. Es hakt eben noch. Aber trotzdem: Es geht voran.

In der nächsten Folge am Montag lesen Sie: Frauen in die Aufsichtsräte - aber wie?

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