Kiosk Milchhäusl:Freizeitoase mit Bio-Siegel

Kiosk Milchhäusl, Königinstraße 6, Englischer Garten

Das Milchhäusl liegt praktisch für alle Sonnenfreunde im Englischen Garten.

(Foto: Florian Peljak)

Das Milchhäusl am Eingang zum Englischen Garten ist kein klassischer Kiosk, sondern eher ökologisch wertvolle Erlebnis-Gastronomie - wo sogar Vegetarier Fleisch essen.

Von Michael Morosow

Wer sich unter einem Kiosk ein kleines Verkaufshäuschen vorstellt, in dem es so eng ist, dass der Mensch auf gar keinen Fall unter Klaustrophobie leiden sollte, der würde hier Augen machen groß wie Schokotaler. An der Stelle, wo das Hippe und Bunte des alten Schwabing in das Grün des Englischen Gartens übergeht, wenige Meter hinter dem Eingang an der Königinstraße, steht das Milchhäusl.

Davor und dahinter bieten Dutzende Bierbänke Platz für mehrere Hundert Besucher. Während der Fußball-Europameisterschaft wird hier Public-Viewing geboten. Mit ein bisschen Glück erhascht man auch ein freie Hängematte. Ganze Scharen von Buben und Mädchen vergnügen sich an schönen Tagen auf dem angrenzenden Kinderspielplatz, und selbst eine eigene Toilettenanlage mit Stuckdecke, Kronleuchtern und klassischer Musik gehört zum Milchhäusl. Sowie eine Belegschaft, die zahlenmäßig jeden Kioskrahmen sprengt: 50 bis 70 Aushilfen, zumeist Studentinnen und Studenten, verdingen sich hier. Aber auch ein Mädchen, das vor 13 Jahren zu den ersten Gästen auf dem Kinderspielplatz gehörte. Früher, so sagt Betreiber Axel Bansemir, sei das ein reiner Kiosk gewesen. Und heute?

Heute steht man vor einem Kiosk, dem es offenbar zu eng geworden war in seiner hölzernen Haut, der 2003 alle Fesseln sprengte und sich zu einer Freizeitoase ausweitete - mit integriertem Kiosk, wenn man so will. Und einem Alleinstellungsmerkmal: Alles Bio, mit Brief- und Ökosiegel - von fair gehandelten Öko-Gummibärchen über die Dinkel-Vollkornsemmel, einem "Glas frischer Bio-Vollmilch direkt aus den Eutern von Carmen und Eva", einem "Kartoffelsalat ohne Industriemüll" bis hin zur "Sausemmel" mit Fleisch von den Hermannsdorfer Landwerkstätten. Ach ja, leere Handys und Laptops werden im Milchhäusl mit "sauberem Strom" aufgeladen.

Man nimmt es Axel Bansemir ab, wenn er sagt: "Wenn es mir nur ums Geld gehen würde, würde ich's anders machen." Nach ökologischen Gesichtspunkten einkaufen, habe seinen Preis, den er aber gerne akzeptiere, zumal er strikt gegen die Massentierhaltung sei.

Wer von handgemischten Öko-Saftschorlen (3,90 Euro) oder einer Öko-Cola nicht viel hält, der kann sich auch eine Flasche HB-Bier zum Mitnehmen kaufen oder sich im Biergarten servieren lassen. "Alle Getränke und alles, was es auf dem Teller gibt, gibt es auch zum Mitnehmen", betont Axel Bansemir. Aber ein klassischer Kiosk mit Zigaretten, Getränken, Zeitungen und Süßigkeiten ist es wohl dennoch nicht.

Von der Lebensmittelvergabestelle über Penner-Kiosk zu Latte-Macchiato-Mamis

Der Betreiber hat in Zeiten sterbender Kioske die Not zur Tugend gemacht, hat mit "Heißer Hexe" und Ähnlichem aufgeräumt und eine Art Erlebnis-Kiosk auf die Beine gestellt. Zeitungen und Zigaretten sucht der Gast vergebens. Auf Anraten eines Betriebsprüfers habe er nach und nach beides aus dem Sortiment geworfen, zuletzt sogar die Öko-Zigaretten. Die Gewinnmargen bei Tabakprodukten und Zeitungen seien so gering, dass er draufzahle, wenn er die Pacht mit einrechne.

In gewisser Weise ist das Milchhäusl, was die Angebote an Brotzeiten und Getränken angeht, eine reizende Alternative zum Chinesischen Turm, weist sogar eine ähnliche Dachform auf. Die erste schriftliche Erwähnung des Gebäudes datiert aus dem Jahr 1896. Gebaut wurde es als Geräteschuppen für die angrenzenden Pferdestallungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde darin eine Ausgabestelle für Milch, Brot und andere Grundnahrungsmittel für die hungernde Schwabinger Bevölkerung eingerichtet, danach dümpelte das Häusl vor sich hin, beherbergte eine Zeitlang einen kleinen Kiosk mit Café und kleinem Biergarten.

Als Axel Bansemir und sein damaliger Kompagnon 2003 den "Kiosk zum Sigl" übernahmen, war das Häuschen ein heruntergekommener Treff für ältere Männer, die sich Stehbiere hinter die Binde gossen. "Das war ein Penner-Kiosk", erinnert sich der 41-Jährige. In ihrem Konzept, das sie der HB-Brauerei vorlegten, standen die Schlagworte: öko, regional, fair, nachhaltig, handgemachte Lebensmittel und die Philosophie, den Park nicht verändern zu wollen, sondern Teil dessen zu werden, nicht laut und nicht schrill. Das Konzept überzeugte den Verpächter - und wenn man an schönen Tagen den Betrieb am "Kiosk" betrachtet, die Kundschaft auch.

Etwa die "Latte-Macchiato-Mamis" (Bansemir), die es sich hier gut gehen lassen, während ihre Kleinen am Spielplatz toben. An Wochenenden kommt die Zeit der Weißbier-Papis, die Gleiches tun, nur mit einem anderen Getränk in der Hand. Viele Schwabinger gehören zur Stammkundschaft, wie auch Studenten der nahen Universitäten, in großer Zahl von der tierärztlichen Fakultät gleich um die Ecke. Was Axel Bansemir "ganz witzig" findet, und eine Art Ritterschlag für seine konzeptionelle Ausrichtung ist: "Zu uns kommen einige Vegetarier zum Fleisch essen." Wenn schon Fleisch, dann aus tiergerechter Haltung, sei deren Devise.

Da das Milchhäusl am Eingang zum Englischen Garten liegt, hat man hier auch eine gute Sicht auf das Kommen und Gehen. Man sieht Parkbesucher, wie sie aufrechten Ganges den Biertempel unterhalb des Chinesischen Turmes ansteuern, und wie sie Stunden später in weniger korrekter Haltung zurückkommen. Einige Schluckspechte habe er schon in ein Taxi gesetzt, andere, die sich neben dem Rausch auch eine Wunde eingehandelt hatten, habe er ins nahe Schwabinger Krankenhaus gefahren. "Aber es war nie schlechte Stimmung und es gab noch keine Schlägerei." Am 1. Juni werden zwei Frauen ihre Hochzeitsfeier im "Kiosk" veranstalten. Oder, besser gesagt: In der Freizeitoase mit integriertem Kiosk.

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