SZ-Serie: Helden der Arbeit:Der Tod als täglicher Begleiter

Lesezeit: 3 min

Thomas Sommerfeld arbeitet als Bestatter und ist darauf spezialisiert, Verstorbene zu konservieren und rekonstruieren. Es klingt zum Teil verstörend, was er von dieser Tätigkeit erzählt. Er sieht darin aber mehr Sinn als in seinem früheren Job. Trotzdem gibt es Momente, die auch für ihn hart sind

Von Eva Casper

Als Thomas Sommerfeld seine Frau kennenlernte, hat er ihr seinen Beruf am Anfang verschwiegen. Es gebe zwei Arten von Reaktionen auf das, was er macht. Die eine: "Iihh, wie kannst du nur!?" Die andere: "Boah, erzähl mal!", sagt der 35-Jährige. Seine Frau hat ihn dann trotzdem geheiratet. Aber sie möchte nicht, dass er ihr zu viel von seiner Arbeit erzählt.

Sommerfeld arbeitet seit zehn Jahren als Bestatter. Vor drei Jahren spezialisierte er sich auf Thanatopraxie, also auf die Konservierung und Rekonstruktion von Verstorbenen. Mit diesem Beruf gehört er zu jenen Menschen, die in ihrem Alltag Dinge tun, die viele sich nicht mal in ihrer Fantasie vorstellen wollen. Auch, wenn die Arbeit am Verstorbenen selbst für ihn nicht alltäglich ist: "Dieser Beruf ist ganz anders, als die Leute ihn sich vorstellen", sagt Sommerfeld. Der Großteil seiner Tätigkeit bestehe aus Bürokratie und Beratung. Er organisiert Trauerfeiern, tauscht sich mit Ämtern, Ärzten, Krankenhäusern aus und kümmert sich darum, dass Angehörige betreut werden. Das Abholen und Konservieren von Verstorbenen nehme im Vergleich viel weniger Zeit in Anspruch.

Thomas Sommerfeld würde sich selbst als fröhlichen Menschen beschreiben. Und als Perfektionisten. (Foto: Niels P. Joergensen)

Trotzdem versteht Sommerfeld die Reaktionen der Leute. Bestatter, das sei eben kein Beruf, den man schon von klein auf machen wolle. Die meisten seiner Kollegen beim Unternehmen Hanrieder in Dachau seien Quereinsteiger - so wie er auch.

Sommerfeld, der gebürtig aus Dachau kommt, hat Bürokaufmann gelernt. Doch seine Arbeit bei einem Energiekonzern machte ihn nicht glücklich. Irgendwo auf einem der Gänge zwischen Büro und dem nächsten Meeting sei ihm der Sinn verloren gegangen. Er fand ihn wieder über eine Zeitungsanzeige, in einem Unternehmen, an dessen Schaufenster man intuitiv lieber schnell vorbeihuscht: Wer hat schon gerne ständig den Tod vor Augen?

Alles zur Hand

1 / 1
(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Nierenschale mit Instrumenten liegt immer bereit auf der Liege. Die Grundausstattung: Nadel und Schere, Spatel, Pinzette, Gefäßhaken, Nadelhalter und Seperator. Damit schließt Sommerfeld den Mund der Verstorbenen, indem er eine Ligatur legt. Dabei wird der Faden durch den Unterkiefer und die Nasenscheidewand geführt. Alternativ könnte man auch Klebstoff verwenden, um den Mund zu schließen, sagt Sommerfeld. Doch der hinterlasse bei der Kühlung weiße Flecken. Das sehe unnatürlich aus und sei gerade bei der Aufbahrung unerwünscht. Für eine natürliche Hautfarbe benutzt Sommerfeld Airbrush. Außerdem ganz wichtig: der Tote ist im Gespräch immer der "Verstorbene", niemals eine "Leiche". eca

Für Sommerfeld war der Tod kein ganz neuer Anblick. Als Zivildienstleistender im Krankenhaus hatte er immer die Verstorbenen in den Abschiedsraum gebracht. Das sei am Anfang schon ein seltsames Gefühl gewesen, sagt er.

Seltsam ist es auch, einen Thanatopraxie-Raum zu betreten. Auf den ersten Blick hat es etwas von einem Operationssaal. Es gibt viel Edelstahl, Spritzen, Kittel, Verbände, Neonröhrenlicht und es ist der Krankenhaus-eigene Geruch nach Desinfektionsmittel wahrzunehmen. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Dinge, die zu der Behandlung eines Lebenden nicht passen wollen. Ein Schrank voll mit Chemikalien, eine Maschine zum Absaugen des Blutes, Schminke speziell für tote Haut. Vom martialisch aussehenden Trokar lieber kein Foto, sagt Sommerfeld. Man wolle die Menschen ja nicht verstören. Der spitze lange Stift wird allerdings auch im OP-Alltag genutzt, um den Zugang zu einer Körperhöhle zu schaffen und offenzuhalten.

Verstörend ist dann doch einiges, wenn Sommerfeld erzählt, wie eine Thanatopraxie abläuft: Was und wo hineingestochen, -gefüllt, -gespritzt wird. Formaldehyd, das sich dort ausbreitet, wo einst Blut floss. Nähen, spreizen, saugen - zu jedem Begriff malt die Fantasie Bilder in den Kopf. Dinge, von denen man gar nicht weiß, ob man sie wirklich wissen will. Schließlich landet nahezu jeder irgendwann auf einer Edelstahl-Liege unter Neonröhrenlicht und jemand wie Sommerfeld näht den Mund zu. Behandlungen wie das Mundzunähen werden tatsächlich bei allen Verstorbenen vorgenommen, selbst wenn danach die Einäscherung und keine Aufbahrung folgt.

Die Einäscherung sei nach wie vor die häufigste Bestattungsform, sagt Sommerfeld. Auch, wenn die Aufbahrung wieder häufiger wird. Sie sei vor allem für Angehörige wichtig, wenn der Verstorbene durch einen Unfall plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. "In so einem Fall ist die offene Aufbahrung ganz wichtig, um Abschied nehmen zu können und den Tod begreifbar zu machen." Aber auch durch die Mobilität der Menschen werde die Thanatopraxie wichtiger, sagt Sommerfeld. Wenn die Verwandten zum Teil in anderen Ländern wohnten, sei oft nicht genug Zeit, um die Bestattung, wie vorgeschrieben, innerhalb von 96 Stunden durchzuführen. Auch für Überführungen ins Ausland ist die Konservierung des Verstorbenen häufig Pflicht. Einmal musste Sommerfeld ein sechs Monate altes Baby für die Überführung behandeln. Das seien die Momente, in denen seine Arbeit sehr schwer sei. Wo sein Motto "Mitfühlen, aber nicht Mitleiden" nicht greift. Über solche Fälle spreche er viel mit seinen Kollegen. Trotzdem: "Ich kann nach wie vor gut schlafen", sagt Sommerfeld.

Sein Beruf habe ihn reifer gemacht, ist er überzeugt. Er lebe bewusster, nutze die Freizeit, verreise viel. Am liebsten nach Australien. Er würde sich als fröhlichen Menschen beschreiben. Und als Perfektionisten. Das müsse man auch sein, sagt Sommerfeld. "Bei der Ausübung unserer Arbeit gibt es keine zweite Chance. Absolute Perfektion ist das Maß aller Dinge, denn im Trauerfall ist nichts wiederholbar."

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: