SZ-Serie: 18/18, Folge 5:Vom Militärflugplatz zum Museum

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Auf einer ehemaligen Weide in Oberschleißheim war einst die ganze bayerische Luftfahrt angesiedelt. Heute starten dort immer noch Flieger

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Gerade einmal sechs Jahre war es her, dass im Frühjahr 1912 mit der Aufstellung von drei Zelten als Unterstand für Flugzeuge die Königlich Bayerische Fliegerkompagnie aufgebaut wurde, da war es mit der militärischen Luftfahrt in Oberschleißheim schon wieder zu Ende. Doch der Flugplatz auf einer Wiese bei den Schleißheimer Schlossanlagen und mit ihm der Ort Oberschleißheim erfuhren über das Kriegsende 1918 hinaus ein gewaltiges Wachstum. Denn der im August 1914 begonnene große Krieg trieb die junge Luftfahrt zu permanenten Entwicklungsschüben. Ein staatliches Papier vom Januar 1920 beurteilte den Flugplatz Schleißheim als "wohl den best ausgebauten in ganz Deutschland, auch räumlich einen der grössten und schönsten".

1918 wurde nach einem im Oktober 1917 festgelegten Masterplan mit einem weiteren Ausbau begonnen, der dann aber wegen des Kriegsendes und der folgenden Demilitarisierung nicht mehr umgesetzt wurde. Lediglich eine neue Flugwerft wurde am Nordende des Platzes aufgebaut. Hundert Jahre später ist sie das einzig erhaltene Relikt der Anfänge bayerischer Luftfahrt und Herzstück des Luftfahrtzentrum des Deutschen Museums.

Der Militärflugplatz der Bayerischen Fliegerkompagnie erstreckte sich bis 1918 annähernd in Dreiecksform von den Ökonomiegebäuden des Alten Schlosses südwärts mit einer rund 1500 Meter langen Westflanke entlang des Würmkanals und der Bahnlinie und verbreiterte sich dabei bis zu einer Ausdehnung von 1800 Metern am Südende. Bis 1916 war hier, auf einer ehemaligen Weide, wo Militärpferde ausgebildet worden waren, die gesamte bayerische Luftwaffe angesiedelt. Die Luftfahrt wurde im Ersten Weltkrieg zunächst nur zur Feindaufklärung und zur Lagebeobachtung genutzt. Erst von etwa 1915 an wurde in Flugzeugen auch Artillerie verwendet.

Die Geschichte der Werft ist von vielen Umbauten geprägt. Die Hallen im Hintergrund gibt es zum Beispiel nicht mehr. (Foto: N/A)

Üblich war es zunächst, dass in den zweisitzigen Luftschiffen der Beobachter eine Handkamera ebenso mit sich führte wie ein Maschinengewehr, das er bei Feindkontakt statt des Aufklärungsgeräts einsetzen konnte. In Schleißheim wurden alle bayerischen Piloten ausgebildet, dazu gab es für die Luftaufklärung auch eine Schule für Flugbeobachter, eine Funkerschule und eine Lichtbildstelle. Von 1916 an war der immer weiter wachsende Nachschubbedarf in Schleißheim nicht mehr zu bewältigen, sodass weitere Kompanien an anderen bayerischen Orten aufgestellt wurden.

Der Personalstand war bis auf weit über 500 ständige militärische und zivile Beschäftigte angewachsen, darunter 245 Offiziere, allein bis 1917 wurden 1338 Piloten ausgebildet. 1917 gingen am Postamt Schleißheim mehr als 61 000 Pakete ein, etwa 90 Prozent für die am Flugplatz stationierten Soldaten. Einer der Gefreiten, der hier Kriegsdienst leistete, war der Künstler Paul Klee, der 1916 in der Werftkompagnie Flugzeuge anstrich. Die Flugzeuge wurden gewartet, für den Fronteinsatz auf Eisenbahnwagen verladen und von hier aus an die Front transportiert.

Blick auf die Flugwerft im Rohbau. Die Aufnahme ist im Jahr 1918 entstanden. (Foto: Otto Bürger)

Als erstes Gebäude nach den provisorischen Zelten war von Oktober 1912 an ein Werkstättengebäude mit Wache und Kommandantur an der Nordwestecke des Platzes errichtet worden mit Sattlerei, Schreinerei, Schlosserei, Dunkelkammer, Motorraum sowie Schreibstube, Pissoir und Waschraum. In offenem Winkel wurden an dieses gemauerte Bauwerk beiderseits hölzerne Flugzeughallen angesetzt, die in etwa die Situierung des heutigen Deutschen Museums vorzeichneten. Wo jetzt die gläsernen Schauhallen des Luftfahrtzentrums sind, zog sich eine 180 Meter lange Halle entlang des Kanals. Am 1. August 1917 wurde nach vielen anderen Erweiterungen auch ein Bauantrag vorgelegt, wonach eine hölzerne Halle an der Nordflanke durch ein gemauertes Werftgebäude mit 51 Metern Länge und 28 Metern Breite ersetzt werden sollte.

Die Mustervorlagen der Militärverwaltung für derartige Anlagen wurden wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zu den Schlössern durch den Stab des Königlichen Obersthofmeisters zu einem "reduzierten Heimatstil" modifiziert. Im Frühjahr 1918 wurde mit Abbruch und Bau begonnen. Die Rüsthalle als Zentrum der Werft wurde mit einer gewölbten Deckenkonstruktion aus Stahlbeton überspannt, an der bewegliche Kräne befestigt waren, mit denen die Motoren zum Einbau an die Flugzeuge transportiert werden sollten. Der Raum reichte für die Unterbringung von 20 Maschinen gleichzeitig.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen gingen die Bauarbeiten zunächst weiter. Als das Deutsche Reich als Kriegsfolge aber mit dem Versailler Vertrag ein militärisches Flugverbot erhielt, konnte die neue Werft nicht genutzt werden. Auf dem Schleißheimer Flugplatz wurden darauf hin Dutzende Flugzeuge verschrottet, einige der Anlagen wieder demoliert und teilweise sogar abgebaut und als Kriegsreparation an die siegreichen Entente-Staaten geliefert. Das riesige Flugfeld wurde landwirtschaftlich genutzt, die brandneue Werft an Bauern der Gegend als Viehstall vermietet.

1925 begann wieder eine zunächst zivile fliegerische Nutzung, die in eine schleichende Remilitarisierung führte. 1934 unterstand die Flugwerft wieder der Reichsluftwaffe. Die Bombardements des Fliegerhorstes Schleißheim im Zweiten Weltkrieg überstand die Werft weitgehend schadlos. Die US Army, die den Platz 1946 requirierte, nutzte das Gelände rund um die Werft als Sammel- und Verwertungsstelle für Kriegsschrott. Bei der Übergabe der Anlagen 1973 an die Bundesrepublik Deutschland soll das Gebäude "vollständig intakt" gewesen sein, verfiel danach allerdings rapide. Die Bundeswehr wie auch der Bundesgrenzschutz, heute Bundespolizei, hatten als neue Nutzer für die alte Werft keine Verwendung. Bei einem bis heute mysteriösen Vorfall wurde 1975 ein Stützpfeiler gesprengt, was den östlichen Teil des Tragwerks zum Einsturz brachte. 1981 hat dann der Schnee das Dach des ältesten Bauteils, der alten Wache, eingedrückt. Erst auf Initiative von zwei in Oberschleißheim wohnenden Bundeswehrangehörigen wurde das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege auf das verfallende Kleinod aufmerksam und nahm die Ruinen in die vorläufige Denkmalliste auf.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Die Gemeinde Oberschleißheim wollte die verbliebenen Flugplatzrelikte ursprünglich schleifen und das Gelände südlich der Schlossanlagen für Wohnbebauung erschließen. Der seinerzeitige Bürgermeister Hermann Schmid nannte die Werft "ein schauerliches Glump, das weg muss". Dagegen gründete sich 1983 ein "Verein zur Erhaltung der historischen Flugwerft Oberschleißheim" aus Luftfahrthistorikern und alten Kameraden der Lüfte. "Würde diese Halle abgerissen, gäbe es keinen Bau mehr von auch nur ähnlicher kunsthistorischer Bedeutung in Deutschland, wahrscheinlich in Europa", sagte der Vorsitzende des Werftvereins, Ralph von Rettberg. Die bayerische Staatsregierung beschloss 1985, die Werft zu erhalten und mit ihrem Umgriff dem Deutschen Museum zur Verfügung zu stellen.

Das Museum nutzte bereits alte Kriegshallen auf dem südlichen Flugplatzgelände als Lagerflächen. Im Haupthaus auf der Münchner Museumsinsel wurde in jenen Jahren gerade an der Umgestaltung der Luftfahrtausstellung gearbeitet. Schon 1986 wurde mit der Restaurierung der alten Gebäude begonnen. Die 1918 erbaute Werft und die Kommandantur von 1912 bilden den Kern des Museums, dessen moderne gläserne Hallen die einstige Westflanke des Flugplatzes nachzeichnen.

Mit der zivilen Nutzung durch diverse Luftsportvereine und den regelmäßigen Flugtagen des Museums ist Schleißheim heute der älteste noch aktive Flugplatz nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland, der planmäßig als solcher angelegt wurde. Vom Start weg besuchten die Flugwerft jährlich um die 100 000 Interessenten - doppelt so viele, wie vom Deutschen Museum erwartet. 2016 wurden sogar 115 000 Besucher gezählt. Eine Erweiterung ist längst überfällig, steht aber wegen des laufenden Umbaus des Haupthauses auf der Museumsinsel derzeit hintan.

In der sechsten Folge am Dienstag geht es um die Straße durch den Ebersberger Forst.

© SZ vom 08.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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